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Mein
Bezug zum Olivenbaum
Meine Sehnsucht nach gerechtem, lebbarem Frieden
Sami Daher
1952. Die
"Nakba", die Katastrophe für Palästina ist vier Jahre
alt. Der Staat Israel konfisziert sämtliche östlich gelegenen
Hügel von Nazareth um eine Siedlung namens Nazaret Elit (Oberes Nazareth)
zu bauen. Die Fläche Nazareths schrumpft von 17'500 Dunam Land auf
7'500 Du-nam. Davon direkt betroffen sind meine Grossmutter, Grossonkel,
Grosstanten... Ihre Olivenhai-ne sind mit Stacheldraht eingezäunt.
Sie dürfen sie nicht pflegen, auch nicht ernten. Reife Oliven fallen
Jahr für Jahr zu Boden, ohne dass jemand sie nutzen kann.
Frühling 1959. Die Siedlung wird erbaut. Buldozzer reissen die Olivenbäume
aus. Eine hässliche Narbe entsteht an ihrem Platz. Vier Monate später
stirbt meine Grossmutter, erst 60 Jahre alt und bei bester Gesundheit,
aber voller Trauer und Wut und nicht ohne den Dieb und Zerstörer
(und seine Komplizen) vorher zu verfluchen. In jener Zeit bin ich ein
vier Monate junges Leben, noch im Bauch meiner Mutter.
Anfang der siebziger Jahre nutze ich jede Schulpause, um mit meinen Kameraden
Fussball zu spielen. Der Spielplatz ist nichts anderes als ein Olivenhain.
Er heisst "Al-Bustan", was "Garten der Fruchtbäume"
bedeutet. Die Tore sind zwei alte, wunderschöne, würdige Olivenbäume.
Die-ser "Bustan" ist vermutlich über Jahrhunderte vom Mariabrunnen
bewässert worden. In den spä-ten siebziger Jahren müssen
diese Bäume dem Bau von Häusern weichen, denn Nazareth lei-det
unter Mangel an Bauland. 20 Jahre nachdem es mehr als die Hälfte
seiner Fläche an die jüdische Siedlung verloren hat, verdoppelt
sich seine Bevölkerungszahl von 13'500 auf 30'000 Menschen, denn
es nimmt 'zig Tausend Flüchtlinge aus der Umgebung auf.
Der Weg von der Schule nach Hause führt durch zwei Gassen. Die kürzere
verläuft entlang der Friedhofsmauer, die längere durch den "Suq
El-Najjareem", den Schreinermarkt. Ich gehe fast immer den längeren
Weg, denn so kann ich sehen wie Kamele in allen Grössen, Störche
mit langen Würmern im Schnabel, Weihnachtskrippen und Figuren aus
Olivenholz hergestellt wur-den. Aufgrund der Diskriminierung Nazareths
auf allen Ebenen durch den Staat Israel existiert dieses Handwerk heute
nicht mehr.
30.3.1976. Tag der Erde, Generalstreik in ganz Palästina. Wir protestieren
gegen die massive und seit der "Nakba" ununterbrochene Enteignung
von Land in arabischem Besitz, ebenso ge-gen die rassistische "Judaisierung
des Galilai". Ich werde vor der Schule von einer Polizeipa-trouille
verhaftet und für drei Stunden festgehalten. Anklage: Streikagitation.
Freigelassen werde ich nur, weil einer der Polizisten ein Kunde meines
Vaters ist.
1990/91. Ariel Sharon, damals Bauminister, nutzt die Aufmerksamkeit der
Welt für den Golfkrieg und die Angst der arabischen Bevölkerung
vor allfälligen irakischen Angriffen, die auch sie tref-fen können.
Seine Behörde konfisziert 5'000 Dunam arabisches Land rund um Nazareth.
Naza-ret Elit soll zu einer Oktopussiedlung ausgebaut werden. Dabei werden
zwei Ziele verfolgt: die Oktopusarme sollen die arabischen Dörfer
von einander und von Nazareth trennen, damit sie nicht zu einer grossen
Stadt zusammenwachsen. Das zweite Ziel ist, russische Einwanderer aufzunehmen.
Diesmal sind die Olivenhaine meiner Schwester betroffen. Mehr als zwei
Jahr-zehnte pflegten die Marii's ihre 15 Dunam Land. Kaum haben ihre jungen
Bäume begonnen Früchte zu tragen, müssen sie zusehen, wie
die Buldozzer Sharons sie entwurzeln. Damit geht für mich ein Ritual
verloren: Jeder Besuch bei meiner Schwester beinhaltete für mich
einen Aus-flug in die Olivenhaine. Immer wenn die Sonne über dem
westlichen Horizont stand, war die Zeit gekommen, um unter den Olivenbäume
alte Lieder zu singen. Heute blickt eine scheussliche Siedlung von dieser
Gegend arrogant auf das Dorf meiner Schwester Maschhad hinunter. Sie erinnert
uns an Ariel Sharon und an ein rassistisches Gesetz namens "Aliah",
dass es allen Ju-den der Welt ermöglicht (von der niederen Welt hinauf)
nach Israel zu emigrieren, denn "Aliah" heisst hinaufsteigen.
Heute bin
ich 42 Jahre alt. Die Trauer, die Wut und der Fluch meiner Grossmutter
sind noch immer in mir. Jeder wird hier meine Trauer und Wut verstehen,
aber auch fragen, wie sich der Fluch meiner Grossmutter, den ich in mir
weitertrage und Zusammenarbeit mit Juden in der Kampagne Olivenöl
vertragen.
Gott sei Dank, nicht die Trauer, die Wut und der Fluch allein bestimmen
mein Leben und meine Beziehung zu Juden. Unzählige menschliche Kontakte
und Begegnungen mit Juden waren - neben unmenschlichen - schon im frühen
Alter möglich. Es waren jüdische Kunden und Liefe-ranten meines
Vaters, später die Freundinnen und Freunde meines Bruders, der an
der Uni Je-rusalem studierte. Akiva, ein religiöser jüdischer
Student, starb an einer Demonstration gegen die israelische Invasion vor
den Augen meines Bruders. Jüdische Extremisten hatten ihn ermor-det.
Sein Tod machte mich sehr traurig, denn ich hatte ihn zwei Jahre zuvor
in Paris kennenge-lernt. Mein Bruder heiratete im gleichen Jahr seine
jüdische Freundin. So bin ich mit Juden ver-wandt geworden und so
geht es in meinem leben in der Schweiz weiter: während meines politi-schen
Engagements lernte ich mehrere Schweizer Juden kennen, unter ihnen Anjuska
und Jo-chi Weil. Da fragt es sich: Ist dieser Fluch noch immer in meinem
Herzen? Die Antwort lautet ja, alles andere wäre gelogen. Der Fluch
ist eine Erbschaft, die ich nur durch Anstrengungen gegen das Unrecht,
das meiner Grossmutter - sie steht da stellvertretend für mein ganzes
Volk - wider-fahren ist, aufgehoben werden kann. Dabei unterstützen
mich meine jüdischen und meine christ-lichen Schweizer Freunde im
Verein Kampagne Olivenöl. Jedenfalls ist diese Kampagne ein kleiner
Beitrag dazu, diesen Fluch des Unfriedens und der Ungerechtigkeit aufzuheben.
DER OLIVENBAUM
IST EIN SYMBOL FÜR ERKENNTNIS, VERTRAUEN UND ZUNEIGUNG, siehe das
Gedicht von Zaghul Eddamur
Der Olivenbaum,
dessen Zweige so reich behangen sind,
dass sie die Wunden der Könige
mit dem Balsam ihres Öls heilen, Sami Daher
Hoffnung und Erkenntnis
liegen in ihm.
Das Symbol
für Vertrauen ist er,
die Quelle für Grosszügigkeit
und Zuneigung.
An unsere
Väter
vererbten ihn die Grossväter,
an unsere Kinder vererben wir ihn.
Wir sind Menschen,
die sich begnügen.
Dieses Gedicht
ist eingelegt in die Sympathiekarte, aus deren Erlös der Ölkrug
einer armutsbe-troffenen palästinensichen Familie gefüllt wird.
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©
Aktion Kinder des Holocaust
2001
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