QU:
Basler Zeitung, 09.03.2007
Interview: Hannes Hänggi
Samuel
Althof von der Aktion Kinder des Holocaust sagt, dass Rechtsextremismus
ein weitläufiges Problem ist.
baz:
Dank guter Bildung könnte man doch davon ausgehen, dass Rechtsextremismus
kein Thema mehr ist › ein Trugschluss?
Samuel
Althof: Das historische Bewusstsein ist nicht bei allen Leuten
genügend ausgeprägt, nicht alle wissen, was Nationalsozialismus,
was Neonazitum ist; und auf der anderen Seite ist es so, dass
die Schweiz in ihrem Umgang mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges
ein Defizit hat. Man kann davon ausgehen, dass die Schweiz nicht
alles unternommen hat, um das historische Bewusstsein optimal
zu fördern, oder den Rechtsextremismus nicht mehr in Erscheinung
treten zu lassen.
Woher
kommt dieses Gedankengut?
Es
gibt verschiedene Faktoren: Zum Beispiel muss ein rechtsextrem
orientierter Jugendlicher immer wieder bei sich selber Ausgrenzungserfahrungen
gemacht haben. Man muss aber unterscheiden zwischen den symptomatischen
und den programmatischen Rechtsextremen: Bei den symptomatischen
kommt das Gedankengut nur in einem sehr rudimentären Rahmen
daher. Es hat nichts mit dem ausgereiften programmatischen Bewusstsein
einer nationalsozialistischen Politik zu tun. Rechtsextreme Jugendliche
möchten ein Signal setzen: «Schau zu mir, mir fehlt
etwas.»
Es
ist einfach eine andere Art, seine Sorgen und Probleme auszudrücken?
Es
ist eine höchst problematische, schwierige, teilweise auch
gefährliche Art, sich auszudrücken. Aber man darf nicht
davor zurückschrecken, auf diese Leute zuzugehen und zu verstehen,
was bei ihnen vorgeht. Man darf Rechtsextreme nicht vorverurteilen
in Bezug auf die Integrität ihrer Person, man muss aber das
Gedankengut verurteilen.
Warum
ist dieses Gedankengut so attraktiv?
Die
Frage, warum das rechte, dominanzorientierte Denken attraktiv
ist, hat mit den unaufgearbeiteten Erfahrungen der Betroffenen
zu tun. Basis für diese Erfahrungen ist immer wieder die
Ausgrenzung. Von daher ist Rechtsextremismus ein attraktives Mittel,
um auf sich aufmerksam zu machen. Der Lösungsansatz für
die Problemstellung wird also aus der eigenen Diskriminierungserfahrung
als Lösung in die Realität übertragen: «Ich
wurde geschlagen, also schlag ich auch.» Anstatt dass sich
die Rechtsextremen mit ihrem Leiden identifizieren, wird die Identifikation
über den Aggressor geführt. Dadurch wird das eigene
Leiden verdrängt, indem «das Täter-Sein»
zur Lösung des Problems herangezogen wird.
Und
um aus diesem Lösungsgebilde hinauszukommen, müssten
die Betroffenen ihr eigenes Problem an den Wurzeln fassen?
Das
stimmt, und darum drehen sich auch meine Gespräche, die ich
mit den Rechtsextremen führe. Es geht nicht in erster Linie
darum zu fragen, was jemand an den Türken, an den Juden blöd
findet, sondern «Wie geht es dir?» Denn ich als Jude
muss gewisse Fragen schon gar nicht mehr stellen, wenn sich ein
Rechtsextremer mit mir an einen Tisch setzt. Ich frage dann: «Du
sitzt jetzt mit einem Juden am Tisch. Wie ist das?» Von
daher ist meine Identität manchmal ein Vorteil. Aber das
bedingt eine intensive Vorarbeit, bis es so weit ist.
Wer
macht den ersten Schritt?
Das
Projekt entstand so, dass wir im Internet suchend auf die Rechtsextremen
zugegangen sind. In der Zwischenzeit ist das Projekt schon so
bekannt, dass alle Formen von Begegnungen möglich sind: Wir
werden aufgesucht, eine Beratungsstelle wendet sich an uns, besorgte
Mütter oder Lehrmeister rufen uns an. Oft bringt es von der
Situation her mehr, wenn der Jugendliche seine Erfahrungen im
rechtsextremen Milieu sammeln kann, ob wir dies mögen oder
nicht. Er muss einfach als Mensch akzeptiert sein, so lange er
nicht sich oder andere Menschen gefährdet. Denn wenn wir
den Jugendlichen herausreissen würden, könnte die Folge
eine komplette Destabilisierung der ganzen Persönlichkeit
sein, weil die Zugehörigkeit zur Szene allein schon eine
substituäre Angelegenheit ist. Es ist also manchmal besser,
wenn ich warte und beobachte, und er weiss, dass ich warte und
beobachte.
Gibt
es einen Ausweg?
Ich
denke schon. Aber ohne eine strukturierte Präventionsarbeit
geht es nicht. Die Personen müssen sich mit sich selber auseinandersetzen.
Manchmal braucht es dazu leider einen Schicksalsschlag.
Zwei
Typen von Rechtsextremen
Symptomatische:
Rechtsextreme lassen sich grob in zwei Gruppen teilen. Am auffälligsten
sind die symptomatischen Rechtsextremen. Sie erregen durch Äusserlichkeiten
(kahle Köpfe, Springerstiefel), gewalttätiges Verhalten
und hierarchische Strukturen Aufmerksamkeit, verfolgen aber kein
Parteiprogramm. Die meisten symptomatischen Rechtsextremen sind
Jugendliche, die sich in der Pubertät von rechten Ideen angezogen
fühlen.
Programmatische:
In ihrer Ideologie gefährlich sind die programmatischen Rechtsextremen,
wie zum Beispiel der Dornacher Bernhard Schaub oder führende
Pnos-Köpfe. Solche Rechtsextreme fallen weniger durch Äusserlichkeiten
auf, verfolgen aber ein totalitäres Parteiprogramm, dessen
Inhalt sie umsetzen möchten. Dabei haben sie oft den Bezug
zur Realität verloren, da sie sich mit ihrer Ideologie in
einem abgeschlossenen Gedankengebilde abkapseln. hsh
|