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Basellanschaftliche Zeitung, 10.10.2005
Von Regula Wenger
Rechtsextreme
/ Die rechtsextreme Szene werde von den Medien viel bedrohlicher
dargestellt, als sie sei, kritisiert Samuel Althof. Er werde dadurch
in seinem Kampf gegen den Rechtsextremismus behindert.
MÜNCHENSTEIN.
Der Brandanschlag auf eine Synagoge im Tessin, der Auftritt der
Skinheads auf dem Rütli, CDs mit rechtsextremem Inhalt, die
auf Pausenhöfen verteilt wurden: Rechtsextreme standen in
den letzten Wochen und Monaten vermehrt wieder in den Schlagzeilen.
Samuel Althof aus Münchenstein ist darüber nicht nur
glücklich.
«Die rechtsextreme Szene wird in den Medien viel bedrohlicher
dargestellt als sie tatsächlich ist», ärgert sich
Althof, der selber seit einigen Jahren gegen den Rechtsextremismus
ankämpft. «Ich muss es immer und immer wieder erklären.
Meine eigentliche Präventionsarbeit wird dadurch behindert»,
kritisiert Althof weiter. Vor fünf
Jahren haben der Gründer der «Aktion Kinder des Holocaust»
und seine Mitarbeiter das psychosoziale Präventionsprojekt
«Internet-Streetworking» für jugendliche Rechts-,
aber auch Linksextreme entwickelt, das noch bis Ende Jahr vom
Bund finanziert wird. Gleichzeitig versucht er die Öffentlichkeit
auf das Thema zu sensibilisieren.
Andere
gesellschaftliche Probleme seien viel grösser
Wie als Bestätigung für Althofs Kritik klingelt es zehn
Minuten später, am Handy ist eine Schweizer Wochenzeitschrift.
Fünf Tage lang in Folge sei in der grössten Boulevardzeitung
der Schweiz die «Rütlischande» thematisiert worden,
erklärt Althof: «Ich möchte mal erleben, dass
eine Schweizer Zeitung mit gleichem Aufwand ein wirklich grosses
gesellschaftliches Problem bekämpft wie zum Beispiel den
Alkoholismus.» Die Vorwürfe, die rechtsextreme Szene
zu verharmlosen, treffen Samuel Althof nicht. Jemand, der seiner
Arbeit genau zuschaue, merke sehr schnell, dass es nicht stimme.
Den Kontakt mit den jugendlichen Rechtsradikalen nimmt der 49-jährige
Psychiatriepfleger via Internet auf. Oft wird er heute auch von
Eltern, Arbeitgebern oder Kollegen eines Rechtsextremen auf entsprechende
Seiten aufmerksam gemacht. Bei seiner Arbeit unterscheidet Althof
zwischen programmatischen, rassistischen Rechtsextremen, gegen
die politisch und juristisch vorgegangen wird, und zwischen meist
jugendlichen, symptomatischen Rechtsextremen. Bei diesen bestehe
die Chance, sie zum Ausstieg aus der Szene zu bewegen.
Da
ist zum Beispiel Tom* aus dem Oberbaselbiet. Althof verweist auf
dessen Webseite, auf der sich der Jugendliche mit kurz geschorenem
Kopf in Angstmacherpose wirft. «Viele solche Seiten sind
wie moderne Poesiealben», sagt Althof, «manchmal halt
recht geschmacklos.» Althof stuft Tom anhand der Texte und
Bilder, die dieser in die Webseite hineinkopiert und nicht selbst
verfasst hat, als einen symptomatischen Rechtsextremen ein. «Ich
kenne ihn aber auch persönlich, habe mit ihm gesprochen und
denke, dass er auf der Kippe steht, sich zum programmatischen
Rechtsextremen zu entwickeln.» Wenn das passiert, ist ein
Ausstieg kaum mehr möglich. Das nach aussen hin abgeschlossene
Gedankengebäude, die Ideologie wird dann zum Lebensinhalt.
Es kann ein Eintritt in die rechtsextreme Partei National Orientierter
Schweizer (Pnos) folgen. Von den 1000 bis 1200 Rechtsextremen
in der Schweiz schätzt Althof den grössten Teil allerdings
als nicht programmatisch ein. «Wenn ich die Jugendlichen
treffe, führe ich nie politische Diskussionen», erklärt
Althof. «Wir wissen inzwischen, dass die Ursachen der Probleme
meist anderer Natur sind.» Denn bei den Begegnungen habe
er es ausnahmslos mit Jugendlichen zu tun, die in komplexen oder
sehr problematischen Familiensituationen oder Ausbildungssituationen
stünden. «Wenn man diese Probleme angeht, kommt es
schnell zur Entlastung.» So erzählt er vom jungen Skinhead
Chris*. Althof hatte über längere Zeit Kontakt zu Mutter
und Sohn und stellte fest, dass sich Chris mit seinen rechtsradikalen
Äusserungen vor allem von seiner überfürsorglichen
Mutter abgrenzen wollte. Rechtsextremismus habe halt viel Provokationspotenzial.
Samuel Althofs
Arbeit ist aus seiner persönlichen Geschichte heraus gewachsen.
«Ich bin einer, der nicht anders kann», sagt Althof
mit sanfter Stimme. Die Mutter floh 1933 vor den Nazis aus Deutschland,
zwei Schwestern seines Grossvaters wurden in Auschwitz vergast.
Doch er könne mit seiner Geschichte umgehen. «Ich kann
einem Rechtsextremen begegnen und weiss, dass es kein Nazi im
historischen Sinne ist. Das können nicht alle.» Manchmal
fragt sich Althof, wie es wäre, ein Leben zu führen,
das nicht von den Folgen des Zweiten Weltkrieges bestimmt ist.
Er wird es nie erfahren. Und sich weiterhin mit Skinheads und
Neonazis an einen Tisch setzen.
(*Namen
geändert)
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