QU: Basler
Zeitung; 22.07.2010
Von Susanna Petrin
Zu
90 Tagessätzen à 120 Franken (10 800 Franken), unbedingt
verhängt, hat das Basler Strafgericht gestern den Rechtsextremen
Philippe Eglin verurteilt – wegen Rassendiskriminierung.
Diese Strafe übertrifft die Forderung der Staatsanwältin.
Bubenhaft
sieht Philippe Eglin aus. Kindliches Gesicht, linkischer Gang,
schlanke Statur. Man mag kaum glauben, dass dieser 22-Jährige
unter dem weissen Kurzarmhemd auf seinem Rücken das Wort
«Eidgenosse» eintätowiert hat, wie ein Foto seines
Facebook-Auftritts belegt.
Doch
dieser junge Mann ist ein umtriebiger, international vernetzter
Rechtsextremer. Bis vor Kurzem war er Präsident der Pnos-Sektion
Baselland und Basel-Stadt. Auf deren Webseite stellte er einen
Text, der die Echtheit des Tagebuchs des jüdischen Mädchens
Anne Frank sowie den Holocaust leugnet (die BaZ berichtete). Deshalb
stand Eglin gestern Vormittag vor dem Basler Strafgericht; beschuldigt,
gegen den Antirassismusartikel verstossen zu haben.
gibt
verantwortung zu. Im Gegensatz zur Voruntersuchung bejahte Eglin
gestern die Frage, ob er den rassendiskriminierenden Artikel selbst
verfasst habe. Genauer gesagt ist er aber derjenige, der ihn auf
die Pnos-Webseite gestellt hat. Denn geschrieben hat Eglin den
Text nicht selber, wie Staatsanwältin Eva Eichenberger klarstellte.
Vielmehr stamme dieser von der Internetseite eines berüchtigten
Revisionisten, der schon mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt
worden ist.
Das
Verschulden des Angeklagten wiege schwer, betonte Eichenberger
in ihrem Plädoyer. Eglin verleugne den Massenmord an Millionen
von Menschen durch die Nationalsozialisten. Er verletze die Menschenwürde
dieser Opfer und ihrer Angehörigen. Nicht zuletzt drehe er
die Fakten um und stelle die Opfer als Lügner und damit als
die Täter dar. Der Schlusssatz des Textes fasse seine Haltung
zusammen: «Genauso wie andere Lügen über Deutschland
in der Zeit von 1933–1945, ist auch das Tagebuch der Anne
Frank eine geschichtliche Lüge.»
Als
die Staatsanwältin vor dem Prozess auf die Pnos-Seite geschaut
hatte, war der Text noch immer aufgeschaltet – wie schon
seit über einem Jahr. Warum, wollte sie vom Angeklagten wissen.
Dieser zuckte die Schultern. Es ändere ja doch nichts am
Prozess, lautete seine Antwort.
«Dem
Angeklagten geht jede Einsicht ab», befand Gerichtspräsidentin
Liselotte Henz. Auch deshalb ging sie in ihrem Urteil über
den Antrag der Staatsanwältin hinaus: Statt zu 60 Tagessätzen
à 120 Franken verurteilte sie ihn zu deren 90. Zudem verlängerte
sie die Probezeit für sein früheres Delikt, eine Körperverletzung,
um ein Jahr. Henz drohte mit weiteren Strafverfolgungen, sollte
Eglin nicht dafür sorgen, dass der Text endlich von der Pnos-Seite
entfernt werde.
pnos
löscht artikel. Diese Drohung hat offenbar Wirkung gezeitigt.
Schon gestern Nachmittag war der gesetzeswidrige Artikel nicht
mehr auf der Pnos-Seite abrufbar. Eine Tatsache, die auch Buddy
Elias freuen dürfte. Der in Basel wohnhafte Cousin von Anne
Frank hatte namens seines Anne-Frank-Fonds Anzeige erstattet.
Nach dem Urteil zeigte Elias den Anwesenden ein Faksimile des
Original-Tagebuchs sowie eine Erstausgabe von 1947. Und er sprach
von seinen gemischten Gefühlen: Einerseits freue ihn die
Verurteilung, andererseits werde diese Geldstrafe wohl aus der
Pnos-Parteikasse berappt und ändere nichts an der Situation.
«Das
Gericht ist richtig vorgegangen», sagt Rechtsextremismus-Experte
Samuel Althof auf Anfrage. «Mit programmatischen Rechtsextremen
muss man eine klare Sprache reden.» Eine Einsicht sei meist
erst nach mehreren Verurteilungen möglich. Eglin verkündete
gestern, das Urteil anfechten zu wollen.
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Unorthodoxe
Ansichten über böse Äusserungen
Anlässlich der Verurteilung ihres Ex-Präsidenten
protestiert die Pnos Basel gegen das Antirassismusgesetz
QU: Basler Zeitung; 23.07.2010
Von Susanna Petrin
Zum Spannungsfeld zwischen Antirassismusartikel und Meinungsfreiheit
hat Staatsrechtsprofessor Markus Schefer seine eigene «unorthodoxe
Meinung».
Philippe
Eglin, Ex-Präsident der Pnos-Sektion beider Basel, ist am
Mittwoch vom Basler Strafgericht wegen Rassendiskriminierung verurteilt
worden (BaZ von gestern). Der Rechtsextreme hatte die sogenannte
Holocaustlüge verbreitet. Nach dem Prozess sagte Eglin vor
laufenden Kameras, es sei «traurig für die Schweizer
Eidgenossenschaft, dass man die freie Meinung unterdrücken
lässt». Er werde das Urteil anfechten.
Gestern
doppelte die Pnos in einer Mitteilung nach: Eglin sei zu einer
unbedingten Geldstrafe «verdonnert» worden, weil er
«von seiner Meinungsfreiheit anscheinend zu exzessiv Gebrauch
gemacht hat und es gewagt hat, die Echtheit der Tagebücher
von Anne Frank infrage zu stellen».
grenzen
der freiheit. Die Pnos versuche «mit dieser Widerstandshaltung
ihre Klientel zu festigen», sagt der Rechtsextremismus-Experte
Samuel Althof. Es sei zudem ein Ablenkungsmanöver: «Mit
der Holocaustleugnung wird klar die Strafnorm verletzt. Die Pnos
probiert, ein anderes Problem daraus zu konstruieren.»
«Wo
die Grenzen der Meinungsäusserung liegen, hat unsere Gesellschaft
demokratisch bestimmt», sagt auch Strafgerichtspräsidentin
Liselotte Henz. Das Antirassismusgesetz ist 1996 von 55 Prozent
der Schweizer Stimmbürger angenommen worden.
Seit
der Artikel 261bis in Kraft ist, protestieren nicht nur Rechtsextreme
dagegen. Auch Vertreter des rechtskonservativen Lagers, etwa Christoph
Blocher und Roger Köppel, setzen dem Antirassismusartikel
das Recht auf freie Meinungsäusserung entgegen.
Dafür
etwas Verständnis hat der Basler Staatsrechtprofessor Markus
Schefer. Zum Antirassismusartikel habe er eine «unorthodoxe
Meinung». Zwar sei es «einfach nur dumm und böse»,
etwa einen historisch belegten Völkermord zu leugnen, sagt
Schefer, «aber der Staat kann nicht historische Wahrheiten
rechtlich schützen». Der Schutz gewisser Bevölkerungsgruppen
gehe zu stark auf Kosten der Meinungsfreiheit.
Handlungen
Ahnden. Schefer wünscht sich, dass der Schweizer Rechtsstaat
mehr in der Hand hätte, um diskriminierende Handlungen zu
verfolgen anstatt Äusserungen. Denn an verbalen Angriffen
müsse man sich mehr gefallen lassen als an Taten.
Bei
der Holocaustlüge sieht Schefer eine Ausnahme – im
Gegensatz zur Leugnung des Völkermordes an den Armeniern.
Der lange offen existente Antisemitismus sei latent weiterhin
vorhanden, deshalb sei es sinnvoll, die Holocaustlüge unter
Strafe zu stellen – um zu verhindern, dass der Antisemitismus
wieder offen aufflackere. Althof sieht den Grund für das
Verbot drastischer: «Die Leugnung retraumatisiert die Opfer,
sie ist eine Form psychischer Gewalt.»
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