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"Die
Worte des alten Psalms steigen aus unserem Herzen auf: 'Ich bin
geworden wie ein zerbrochenes Gefäß. Ich höre
das Zischeln der Menge - Grauen ringsum. Sie tun sich gegen mich
zusammen; sie sinnen darauf, mir da Leben zu rauben. Ich aber,
Herr, ich vertraue auf dich, ich sage: ,Du bist mein Gott.'"(Ps
31,13-15)
An
diesem Ort der Erinnerungen verspüren Verstand, Herz und
Seele ein äußerstes Bedürfnis nach Stille. Stille,
um sich zu erinnern. Stille, um den Erinnerungen, die wie eine
Flut wiederkehren, einigermaßen Sinn zu geben. Stille, weil
es keine Worte gibt, die stark genug wären, um die entsetzliche
Tragödie der Shoah zu bedauern. Meine persönlichen Erinnerungen
richten sich auf das, was geschah, als die Nazis Polen während
des Krieges besetzten. Ich erinnere mich an meine jüdischen
Freunde und Nachbarn, einige von ihnen sind umgekommen, während
andere überlebten.
Ich
bin nach Yad Vashem gekommen, um die Millionen jüdischer
Menschen zu ehren, die all dessen beraubt wurden, was sie hatten,
insbesondere ihrer menschlichen Würde, und die während
des Holocaust ermordet wurden. Mehr als ein halbes Jahrhundert
ist seitdem vergangen, aber die Erinnerungen bleiben.
Hier,
ebenso wie in Auschwitz und an vielen anderen Orten Europas werden
wir überwältigt von dem Echo der herzzerreißenden
Klagen so vieler. Männer, Frauen und Kinder schreien zu uns
aus der Tiefe des Schreckens, den sie erfahren haben. Wie können
wir ihren Schrei nicht hören? Niemand kann das, was geschehen
ist, vergessen oder ignorieren. Niemand kann das Ausmaß
verringern.
Wir
wollen uns erinnern. Aber wir wollen uns mit einem bestimmten
Ziel erinnern, nämlich dafür zu sorgen, dass solches
Böse nie wieder die Überhand gewinnt, so wie es für
Millionen unschuldiger Opfer der Nazis der Fall war.
Wie
konnte der Mensch den Menschen derart verachten? Weil er zu einem
Punkt gelangt war, an dem er Gott verachtete. Nur eine gottlose
Ideologie konnte die Auslöschung eines ganzen Volkes planen
und ausführen.
Die
Ehrung als "Gerechte der Völker", die der Staat
Israel in Yad Vashem denjenigen zuerkennt, die in heroischer Weise
gehandelt haben um Juden zu retten, bis hin zum Einsatz des eigenen
Lebens, ist eine Anerkennung dafür, dass nicht einmal in
der dunkelsten Stunde jegliches Licht verlöscht. Aus diesem
Grund wird in den Psalmen und in der ganzen Bibel - ohne die Möglichkeit
des Menschen zum Bösen zu verneinen - auch unterstrichen,
dass das Böse nicht das letzte Wort haben wird. Aus der Tiefe
des Schmerzes und des Leides ruft das Herz des Gläubigen:
,Ich aber, Herr, ich vertraue auf dich, ich sage: ,Du bist mein
Gott.' (Ps 31,14)
Juden
und Christen haben ein gemeinsames geistliche Erbe, das aus der
Selbstoffenbarung Gottes erwächst. Unsere religiösen
Lehren und unsere geistliche Erfahrung verlangen, dass wir das
Böse durch das Gute überwinden. Wir erinnern uns, aber
nicht aus dem Bedürfnis nach Rache oder als Anstachelung
zum Hass. Erinnern bedeutet für uns, für Frieden und
Gerechtigkeit zu beten und uns dem Einsatz für diese Ziele
zu verpflichten. Nur eine Welt in Frieden, mit Gerechtigkeit für
alle, kann vermeiden, die entsetzlichen Fehler und kriminellen
Handlungen der Vergangenheit zu wiederholen.
Als
Bischof von Rom und Nachfolger des Apostels Petrus versichere
ich dem jüdischen Volk, dass die katholische Kirche, motiviert
durch das biblische Gesetz der Wahrheit und der Liebe und nicht
durch politische Überlegungen, tiefste Trauer empfindet über
den Hass, die Verfolgungen und alle antisemitischen Akte, die
jemals irgendwo gegen Juden von Christen verübt wurden. Die
Kirche verurteilt Rassismus in jeder Form als eine Leugnung des
Abbildes Gottes in jedem menschlichen Wesen (Gen. 1,26).
An
diesem Ort der feierlichen Erinnerung bete ich eindringlich dafür,
dass unser Bedauern über die Tragödie, die das jüdische
Volk im 20. Jahrhundert erlitten hat, zu einer neuen Beziehung
zwischen Christen und Juden führen möge. Lasst uns eine
neue Zukunft bauen, in der es nie mehr antijüdische Gefühle
unter Christen oder antichristliche Gefühle unter Juden gibt,
sondern vielmehr gegenseitigen Respekt, so wie er von denen gefordert
wird, die den einen Schöpfer und Herrn verehren und Abraham
als unseren gemeinsamen Glaubensvater ansehen.
Die
Welt muss die Warnung hören, die von den Opfern des Holocaust
und vom Zeugnis der Überlebenden zu uns gelangt. Hier, in
Yad Vashem, lebt die Erinnerung weiter und brennt sich in unsere
Seelen. Sie lässt uns ausrufen:
,Ich
höre das Zischeln der Menge - Grauen ringsum - aber, Herr,
ich vertraue auf dich, ich sage: ,Du bist mein Gott.'" (Ps
31,13-15).
Quelle:
http://www.kna.de/kna/dienste/bsptxt/tdw5.htm
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