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QU: Aargauer Zeitung, 06.02.2007
Franziska Herren
Die genaue Adresse des Büros in Münchenstein bei Basel,
wo die Vereinsmitglieder der «Aktion Kinder des Holocaust»
(AKdH) ihre Präventionsarbeit durchführen, ist geheim.
Samuel Althof, der Gründer und Sprecher der AKdH, stellt
von vornherein klar, dass er nicht bis ins letzte Detail über
die Vorgehensweise der Organisation Auskunft gebe. Auch über
die Anzahl der Mitglieder schweigt er sich diskret aus. Wie der
Name der Organisation zu verlauten gibt, handelt es sich bei den
Mitgliedern um Nachkommen von Holocaust-Überlebenden und
Nachkommen Überlebender des antifaschistischen Widerstandes.
Diese wuchsen im Klima der persönlichen Kriegsfolgen ihrer
Eltern auf, und der Holocaust wurde prägender Teil ihrer
Kindheit. «Die Themen Antisemitismus und Rassismus waren
in unserer Familie immer präsent, entweder, indem wir darüber
sprachen oder schwiegen», erzählt Althof, der 50-jährige
gelernte Psychiatriepfleger aus Basel, der sich seit nunmehr 10
Jahren professionell mit der Extremismusprävention beschäftigt.
«Hallo
junger Mann, es ist besser, Du löschst Deine Seite sehr schnell.
Ich gebe Dir genau 24 Stunden dafür. Solltest Du deine Seite
nicht löschen, könnte Dich dies Deine Lehrstelle kosten
und Strafanzeige.» Die anonyme Kommunikation mit Rechtsextremen
via Internet habe zum Ziel, den Konflikt in die reale Welt zurückzuführen,
erklärt Althof. Es gebe immer einen konkreten Handlungsgrund,
der von rasistischen und rechtsextremen Inhalten im Internet ausgehe
und der die Organisation dazu legitimiere, eine Person im Netz
aufzuspüren. Diesen Botschaften geht die AKdH nach und versucht,
die Aussage zu verstehen und herauszufinden, wo und in welchem
Umfeld die Person lebt und was es bewirken könnte, wenn man
sie anspräche. In manchen Fällen, insbesondere wenn
die Person noch minderjährig ist, nimmt die Aktion zuerst
mit den Eltern oder dem Lehrmeister Kontakt auf. Ziel jeder Intervention
ist das persönliche Treffen.
Mit
diesem so genannten Internet-Streetworking
ist die Aktion Kinder des Holocaust über die Jahre so bekannt
geworden, dass sich Leute aus dem Umfeld der Betroffenen heute
meist direkt bei der Organisation melden und um Rat bitten. «Symptomatische
Rechte» bis 25 Jahre, die meist nicht politisch interessiert
sind, sondern wegen ihrer Kleidung auffallen, und die im Rechtsextremismus
ein Ventil für ihre Probleme suchen, sind für die AKdH
am ehesten ansprechbar. Das Einstiegsalter liegt bei 14 Jahren.
Diese Jugendlichen stammen aus allen Bevölkerungsschichten,
wobei der Anteil männlicher Mitglieder klar übervertreten
ist. Schweizweit kann man rund 2000 Personen zu dieser Szene rechnen.
Aus
einer kürzlich publizierten Nationalfondsstudie kristallisieren
sich einige zentrale Ausstiegsfaktoren heraus. Wesentliche Gründe
für den Aussteig aus der rechten Szene liegen in der Unterdrückung
der Individualität in der Gruppe und darin, dass Maximen
und Handlungen nicht immer übereinstimmen, was zu Konflikten
und Spaltungen führen kann. Zum Ausstieg führen auch
positive Erfahrungen mit Fremden, Enttäuschung über
die Wirkungslosigkeit der rechten Ideologie sowie Überdruss
an der Monotonie des strengen Gruppenlebens, Burnout bei Ambitionierten
oder ein vorliegendes Strafverfahren.
Die
Trennung von einer Gruppe bedeutet jedoch nicht in jedem Fall
einen ideologischen Neubeginn. Gerade bei Jugendlichen, die ideologisch-politische
Vorstellungen in den rechten Kreisen suchten, kann die Prägung
durch die Gruppe nachwirken, wenn keine Auseinandersetzung mit
dem Rechtsextremismus stattfindet. Diesen Punkt bestätigt
Samuel Althof: «Wer den Ausstieg aus der rechtsextremem
Szene als Jugendlicher nicht schafft, wechselt später oft
zu den ‹Programmatikern›, dem harten Kern, der schweizweit
rund 200 Personen umfasst, ein abgeschlossenes Weltbild kommuniziert.»
Wie
bringt man eine Person dazu, ihre Gesinnung zu überdenken
und diese schliesslich zu ändern? «Man führt der
betroffenen Person eine Win-Win-Situation vor Augen», sagt
Althof. Die Person müsse sich bewusst werden, dass eine Veränderung
lohnenswert sei. Dies geschehe auf argumentative Weise in einigen
Fällen aber auch mit Druck. Wichtig ist, dass die Jugendlichen
ernst genommen und mit Respekt behandelt werden. Im Gegensatz
zum relativ einfachen Einstieg in die Szene, bei dem meist die
Bejahung der Gruppenmeinung genügt, gestaltet sich der Ausstieg
als langwieriger Prozess. Dieser kann sich auf bis zu sieben Jahre
erstrecken. Im besten Fall steht an dessen Ende eine Verabschiedung
und Trauerarbeit. Zu Bedrohungsszenarien beim Ausstieg einer Person
aus der Szene kommt es, laut der Aussage Althofs, in der Schweiz
im Gegensatz zu Deutschland eher selten.
Althof
ängstigt sich nicht vor Rechtsextremen, obwohl Bedrohungen
verbaler Natur an der Tagesordnung sind. Diese lassen sich auf
der Website der Aktion Kinder des Holocaust nachlesen. Hassmails
werden alle beantwortet. «Die Realität auszuhalten,
gestaltet sich manchmal als schwierig für mich», gibt
Althof zu. Zurzeit betreut Althof 20 Jugendliche. «Rückfällig»
würden die wenigsten, «nachdem sie sich dem langen
Prozess der psychologischen Auseinandersetzung mit sich selbst
gestellt haben», sagt Althof. Von Erfolgsquoten will er
dennoch nicht sprechen. Dies komme ihm zu narzisstisch vor.
Rechtsextremismus.ch
Seit
Ende Januar ist die Internet-Site www.rechtsextremismus.ch
aufgeschaltet. Sie richtet sich an «alle, die in der Schweiz
in irgendeiner Form von Rechtsextremismus betroffen sind».
Die Site wird von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung
des Eidgenössischen Departementes des Innern finanziert und
bietet Adressen von Anlaufstellen, ein Medienarchiv und Hinweise
auf die Rechtslage. (nig)
Siehe
auch:
Extremismus Prävention
- Was tut die AKdH?
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