Lukas
Egli
Beobachter; 21.07.2006
Die einen
träumen von der Weltrevolution, die anderen vom Dritten Reich.
Doch die Links- und die Rechtsradikalen sind sich politisch näher,
als ihnen lieb ist. Am 1. August werden sie sich wieder treffen.
Unbemerkt
sind sie durch die Menge geschlichen. Nun stehen die drei Linksaktivisten
in Kampfmontur hinter dem Gebäude des Sozialamts am Helvetiaplatz
in Zürich und laden die Pflastersteine ab, die sie in ihren
grünen Camouflagehosen mitgetragen haben. Schwere Brocken,
Granit, kaum mit einer Hand zu fassen. Die Situation an der 1.-Mai-Feier
war eskaliert. Zeit für einen Rückzug, werden sich die
drei gesagt haben. Mit dumpfem Geräusch fallen die Steinbrocken
auf den Asphalt. Dann machen sich die Strassenkämpfer davon.
Als ihnen zwei Passanten «Verpisst euch, ihr Scheissnazis!»
nachrufen, schauen sie betroffen zurück ohne zu protestieren.
Sind es tatsächlich Rechtsextreme gewesen, oder haben sie
ihren Kontrahenten nur sehr geglichen?
Wegen der
Krawalle beim Kanzleischulhaus musste das diesjährige 1.-Mai-Fest,
das alljährliche Stelldichein der Linken, abgebrochen werden.
Die Sängerin Gigi Moto wurde vom Reizstoff, den die Polizei
gegen die etwa 800 Krawallanten einsetzte, buchstäblich von
der Bühne geweht. Wenig später attackierten Vermummte
auf der nahe gelegenen Bäckeranlage Bundespräsident
Moritz Leuenberger und hinderten ihn am Reden. Gegner mundtot
machen eine gängige Methode totalitärer Regime.
Es war ein
1. Mai in Zürich wie jedes Jahr, es herrschte Kriegsstimmung:
stundenlanger Grosseinsatz der Polizei, Farbanschläge gegen
Verwaltungs- und Bankgebäude, wahllos zerstörte Autos,
Schäden in Höhe von rund 400000 Franken. Alles wie gehabt.
Wäre da nicht der Fall Rubinfeld gewesen. Beim Kanzleischulhaus,
wo heuer die grösste Schlacht geschlagen wurde, attackierte
der Schwarze Block das Geschäftshaus der Zürcher Kantonalbank
und das jüdische Kleider- und Textiliengeschäft Rubinfeld.
Es hätte in nächster Nähe auch noch eine Apotheke
gegeben, einen Coiffeur, eine Pizzeria. Doch diese blieben unbeschädigt.
Gemäss
Behörden gibt es keinerlei Hinweise, dass sich an den diesjährigen
1.-Mai-Aktivitäten in Zürich Rechtsextreme beteiligt
hätten. «Es waren klar keine Faschisten anwesend»,
sagt Andreas Widmer, Sachbearbeiter für politischen Extremismus
bei der Stadtpolizei. Da aber nicht nur das Hauptgeschäft,
sondern auch eine einige hundert Meter entfernte Vitrine von Rubinfeld
demoliert wurde, muss davon ausgegangen werden, dass die Attacke
einen antisemitischen Hintergrund hatte. Die Anlaufstelle für
antisemitische Vorfälle qualifizierte den Vorfall denn auch
als antisemitischen Übergriff.
Trat hier
der in linken Kreisen latent vorhandene Antisemitismus hervor?
Laut Widmer eine plausible Erklärung: «Wir gehen davon
aus, dass die ersten Handlungen ideologisch motiviert waren und
sich unpolitische Mitläufer anschlossen», sagt er.
Der Nahostkonflikt, bei dem sich die Linksautonomen mit den Palästinensern
solidarisieren, könne als möglicher Hintergrund für
die Plünderung des Kleidergeschäfts Rubinfeld nicht
ausgeschlossen werden.
«Es
ist ein fliessender Übergang»
Nicht nur
dieses Beispiel zeigt, dass sich die Links- und die Rechtsradikalen
näher sind, als sie wahrhaben wollen. Des einen Kreuz ist
des andern Stern: Dass die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei,
auf die sich die Neonazis beziehen, eine selbst ernannt sozialistische
Bewegung war, hören die heutigen Linken nicht gern. Ebenso
wenig, dass der Sozialismus sowjetischer Prägung fast genauso
viele Menschenleben forderte wie der Rassenwahn Hitlers. Eigentlich
erstaunlich, dass die Symbole des anderen Jahrhundertmörders,
Josef Stalin, nicht ebenso konsequent geächtet werden wie
jene der Nazis.
Gegenüber
dem Beobachter bezeichnete der damalige Präsident der Partei
National Orientierter Schweizer (PNOS), Jonas Gysin, letztes Jahr
den Nationalsozialismus als Antwort auf den Internationalismus
aber eben als Sozialismus. In Wirtschaftsfragen gebe es
viele Berührungspunkte mit der Linken: «Es gibt keine
Abgrenzung nach extrem links. Es ist ein fliessender Übergang.»
Eine Aussage, die Linksradikale in Rage versetzen dürfte.
Tatsächlich
gibt es aber etliche Parallelen zwischen den Rivalen, die sich
zahlenmässig in etwa die Waage halten: Dem harten Kern der
Linken werden in der Schweiz rund 2000 Personen zugerechnet, jenem
der Rechten bei steigender Tendenz etwa 1800. Einig
ist man sich zum Beispiel in der Intoleranz gegenüber Andersdenkenden
und der damit verbundenen Gewaltbereitschaft. «Die Linken
pflegen gern das Image von der akzeptablen, der guten linken Gewalt,
die sich nur gegen Objekte richtet. Das ist ein Bild, das relativiert
werden muss», sagt Jürg Bühler vom Dienst für
Analyse und Prävention (DAP) des Bundesamts für Polizei.
«Gegen Polizeikräfte und politische Gegner gehen die
Linken genauso brutal vor wie die Rechtsextremen.» Auch
die sporadischen Sprengstoffanschläge und Brandstiftungen
der Linken würden ein grosses Potenzial bergen, Menschen
ernsthaft zu verletzen.
Samuel Althof
von der Aktion Kinder des Holocaust ist überzeugt, dass sich
die Extremisten gar gegenseitig bedingen: «Eine wichtige
Rolle spielt dabei, dass beide Gruppen dominanzorientiert sind.»
Beide seien überzeugt, das einzig Richtige zu tun, die Wahrheit
gepachtet zu haben. Die Gedankengänge der Rechts- und der
Linksextremen seien in sich geschlossen und daher nicht kompromissfähig.
Zudem nähmen beide Seiten in Anspruch, dass erst Ruhe einkehrt,
wenn die andere Seite nicht mehr existiert. So werde auch der
Rückgriff auf Gewalt legitimiert. «Dominanzorientierung
ist per se rassistisch, da Andersdenkenden die Existenzberechtigung
abgesprochen wird. Der Linksextremismus hat genauso antisemitische
Tendenzen wie der Rechtsextremismus», so Althof. Letztlich
habe keine der Seiten ein humanes Gesellschaftsmodell anzubieten.
1. Mai gegen
1. August
Auch in Sachen
Lifestyle, der in auffälligen Jugendbewegungen eine zentrale
Rolle spielt, gibt es Überschneidungen. Die Musikstile Ska
und Metal werden in links- wie in rechtsextremen Kreisen gehört.
Der immer populärer werdende Rechtsrock kann rein musikalisch
kaum von anderer Rockmusik unterschieden werden erst die
Texte offenbaren den neonazistischen Hintergrund. Exemplarisch
für die Stellung zwischen den Extremen ist die Skinhead-Bewegung:
Die britische Arbeiterjugendbewegung mit jamaikanischen Wurzeln
wurde erst in den achtziger Jahren von den Rechtsradikalen vereinnahmt;
eine Entwicklung, von der sich die Bewegung nie erholt hat. Wer
heute als Skinhead auftritt, muss damit rechnen, attackiert zu
werden von beiden Seiten, je nachdem, welcher Ausprägung
er anhängt.
Immer öfter
gibt es auch Terminüberschneidungen zwischen den Extremisten.
Die Neonazis drängen an den Tag der Arbeit in Aarau
marschierten am 30. April 2005 gut 100, in Solothurn am 1. Mai
120 Neonazis auf und versuchen, sich als die wahren Vertreter
der Arbeiterschaft zu profilieren. Die linken Revolutionäre
ihrerseits pilgern aufs Rütli und reklamieren, die besseren
Patrioten zu sein. «Je mehr Linke am 1. August auftauchen,
desto mehr Rechte gehen an den 1. Mai», erklärt Jürg
Bühler vom DAP. Der Kampf um das ideologische Terrain werde
sich in den nächsten Jahren weiter akzentuieren, ist Bühler
überzeugt.
Dabei gäbe
es ein gemeinsames Aktionsfeld: die Globalisierungskritik. Sie
dient nicht nur zahlreichen linken Splittergruppen als grosse
Klammer sie ist auch ein Berührungspunkt mit den Neonazis.
«Die Öffentlichkeit hat lange nicht anerkannt, dass
sich links- wie rechtsextreme Gruppen als Gegner der Globalisierung
bezeichnen. Die Linke aus dem Gedanken der internationalen Solidarität,
die Rechten aus Nationalismus und der Furcht vor Überfremdung»,
so Bühler. In der Praxis berühren sich die Bewegungen
aber kaum.
Es gab schon
kleinere Anti-WEF-Demos von Rechtsradikalen, aber an grossen linken
Anlässen sind sie nicht willkommen und werden vertrieben.
Auch die Demonstrationsstrategien gleichen sich an. Versuchten
die Neonazis noch in den neunziger Jahren, sich bei der Polizei
anzubiedern, kursieren heute in ihren Kreisen dieselben Anweisungen
wie beim Schwarzen Block: im Fall einer Verhaftung ausser Name
und Wohnort nichts preisgeben.
Man folgt
halt seinen Kameraden
So ist es
letztlich oft Zufall, ob einer im links- oder im rechtsextremen
Lager landet. Studien und Rekrutenbefragungen zeigen, dass die
Motivationen für den Eintritt in links- und in rechtsextreme
Gruppierungen nahe beieinander liegen. «Viele Jugendliche,
die sich gewaltbereiten Szenen anschliessen, sind orientierungslos.
Bei welcher Gruppe sie landen, ist weniger von der ideologischen
Ausrichtung als von bestehenden Kameradschaften abhängig»,
erklärt Bühler. Hier ist die Herkunft entscheidend:
Rechte Szenen etablieren sich eher in ländlichen Gebieten
und in der Agglomeration. Die Linken hingegen sind eher in den
grösseren Städten präsent.
All diese
Gemeinsamkeiten werden die Extremisten nicht daran hindern, sich
am kommenden 1. August das Rütli streitig zu machen. Die
Bundespolizei geht zwar davon aus, dass die Gruppen keine offene
Auseinandersetzung suchen werden. Aber sie werden auf Provokationen
lauern und reagieren. «Die Szenen organisieren sich sehr
kurzfristig. Die Schwierigkeit für die Polizei wird sein,
für viele Eventualitäten vorbereitet zu sein, um sehr
flexibel agieren zu können», sagt Jürg Bühler.
Vielleicht ist das die grösste Gemeinsamkeit der vermeintlichen
Gegner: die Lust, Krieg zu spielen.
Musikszene:
Mal so, mal so
Rechtsrock:
Die englische Band Skrewdriver steht exemplarisch für die
politischen Kippbewegungen, die Subkulturen bisweilen durchmachen.
1977 als Punkband gegründet, zog die Band um Frontmann Ian
Stuart ab 1982 als rassistische, später faschistische Band
durch die Welt. Stuart war beteiligt an der Kampagne «Rock
Against Communism», aus der das Neonazi-Netzwerk Blood and
Honour entstand.
Skinhead:
das prominenteste Beispiel einer Bewegung, die politisch mäandriert.
Begründet in East London von Arbeiterkindern englischer und
jamaikanischer Abstammung, zelebrierten die Skins eine Ästhetik
des Proletarischen in Abgrenzung zur Hippiebewegung. Zum Skinhead-Style
gehören rasierte Schädel, Arbeiterstiefel, Poloshirts,
Ska und Reggae. Doch stets auch Gewalt: Schlägereien untereinander,
aber auch rassistische Übergriffe.
Oi: politisch
ambivalente Abspaltung der Skinhead-Bewegung. Oi entstand Anfang
der achtziger Jahre in Grossbritannien als alternative Punkrockszene
in Abgrenzung zur Kommerzialisierung von Bands wie Sex Pistols
oder The Clash. Schon in der Anfangszeit gab es rassistische Übergriffe.
Hatecore:
Die aktuellste Variante einer Bewegung, die zwischen den politischen
Extremen wechselt, ist Hatecore eine noch aggressivere Variante
des Hardcore, der den Zorn auf die Gesellschaft und die Unzulänglichkeiten
des Menschen «besingt». Die ersten Hatecore-Exponenten
sahen sich als Linksradikale; nahe liegend indes, dass das Attribut
«hate» Hass auch für Rechtsextreme
attraktiv war. Heute gilt Hatecore als Inbegriff des Rechtsrock.
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