QU: heute.ch
Von Silvia.Tschui
BERN
- Immer Anfang August ist die rechtsextreme Szene in der Schweiz
ein Thema. Kurze Zeit später verschwinden die Neonazis und
Skinheads jeweils wieder aus den Leitartikeln. Im heute-Interview
erklärt Samuel Althof, Initiant des Projektes «Internet-Streetworking»,
wie die rechte Szene funktioniert.
heute:
Wie gross ist die rechtsradikale Szene in der Schweiz?
Samuel
Althof: Man muss zwischen dem harten Kern und Mitläufern
unterscheiden. Unter den Mitläufern verstehen wir Identitätssuchende,
deren Auftreten nur ein Mittel ist, um Aufmerksamkeit zu erregen.
Sie sind nicht unbedingt politisch motiviert. Unter diese Kategorie
fallen schweizweit vielleicht ungefähr 2000 Leute. Der harte
Kern besteht aus Leuten, deren Lebensinhalt aus rechtsradikalem
Gedankengut besteht. Sie machen in der Schweiz rund 200 Leute
aus.
Gibt
es ein Alter, in dem Jugendliche besonders anfällig für
solches Gedankengut sind?
Mitläufer
sind generell eher jünger. Die jüngste, mir bekannte
Person war erst elf! Generell kann man aber sagen, dass 14 Jahre
ungefähr das Einstiegsalter kennzeichnen. Dann beginnen viele
Jugendliche, ernsthaft mit Computern umzugehen und im Internet
zu surfen. Manchmal sind es aber ältere Geschwister oder
die Eltern, die schon ähnliches Gedankengut transportieren.
Das Gegenteil ist genauso möglich: Eltern mit eher linken
Positionen. Die Jugendlichen kommen aus allen Gesellschaftsschichten.
Auch Jugendliche, die in Konfliktsituationen mit Ausländern
stehen, sind besonders gefährdet. Im harten Kern sind die
Mitglieder älter, so ab 22-jährig.
Wie
rekrutieren sich Mitglieder?
Es
gibt verschiedene Wege. Viele finden sich aus reiner Neugierde
auf Internetforen wieder. Es gibt aber auch das andere Extrem:
Mitglieder des harten Kerns, die sich ganz bewusst an Problemorte
wie Bahnhöfe begeben und dort Jugendliche zum Gespräch
auffordern, ihnen einschlägige Musik und Propagandamaterial
schenken und sie an Veranstaltungen und Partys einladen. Es kommt
sogar vor, dass diese mit besorgten Eltern reden!
Wie
ist die Geschlechterverteilung?
Es
ist falsch, anzunehmen, für Rechtsradikalismus seien nur
junge Männer anfällig. Es gibt sowohl bei den Mitläufern
wie auch beim harten Kern aktive Frauen, die keinesfalls nur den
Männern folgen. Sie sind aber zahlenmässig untervertreten.
Wie
sehen Sie die zukünftige Entwicklung des Rechtsradikalismus
in der Schweiz?
Die
Szene ist eigentlich relativ klein, verglichen zum Beispiel mit
einem sehr ernsthaften Problem wie den HIV-Infizierten mit rund
20 000 Personen. Vieles gewichten die Medien in überdimensionierter
Weise. Ich schätze die Anzahl der involvierten Personen als
einigermassen konstant ein.
Welche
weiteren Gründe sehen Sie für die Existenz der rechtsradikalen
Szene?
Ein
Grund, der in den Medien sicher unterbewertet ist, ist die Existenz
der linksradikalen Szene. Es geht häufig um eine Positionierung
der anderen Seite gegenüber. Markieren die einen Präsenz,
müssen die anderen das auch tun.
Jugendliche
aus der Szene holen
BERN
- Die Aktion Kinder des Holocaust holt erfolgreich Jugendliche
aus der Szene.
Der
Begriff des «Internet-Streetworking» wurde vom vierköpfigen
Team um Althof geprägt. Gemeint ist die Suche nach Jugendlichen,
die in Chatrooms rechtsextreme Inhalte verbreiten. Er zielt auf
«symptomatische» Neonazis; Jugendliche, die im Rechtsextremismus
ein Ventil für ihre Probleme suchen. Meist geht es ihnen
nicht primär um politische Inhalte. Mit diesen Jugendlichen
nimmt Althof per Mail Kontakt auf. Es ist ihm wichtig, dass diese
Jugendlichen ernst genommen werden. Er diskutiert dann mit ihnen
einerseits über Begriffe wie Rassismus, andererseits aber
auch über Probleme in der Familie oder im Job.
Althof
geht denn auch davon aus, dass die Aussagen eher pervertierte
Formen der Kontaktaufnahme darstellen als politisches Programm.
Gleichzeitig zum Dialog nimmt Althof Kontakt zur Polizei auf.
Die Wechselwirkung zwischen Repression und Dialogbereitschaft
zeigt Früchte: Rund 20 Jugendliche betreut Althof momentan.
Seine
Adresse findet sich nirgends. Bedrohungen sind an der Tagesordnung,
nachzulesen auf der Homepage der Aktion Kinder des Holocaust.
Sämtliche Hass-Mails werden beantwortet. Manchmal entspinnt
sich wiederum ein Dialog. Althof wird sogar beschenkt: Er hat
schon viele Bücher mit nationalsozialistischem Inhalt weggeworfen.
|