|
QU. High5 / Die Südostschweiz,
02.08.2007
[haifaif]
hat im Zusammenhang mit dem Thema «Rassismus» ein
Interview mit Samuel Althof geführt. Althof ist Mitglied
und Pressesprecher der Aktion Kinder des Holocaust (AKdH), der
Vereinigung gegen Antisemitismus, Rassismus und politischen Extremismus,
die auch einen internationalen Zusammenschluss von Nachkommen
Überlebender der nationalsozialistischen Judenverfolgung
und des antifaschistischen Widerstands sowie deren Angehörigen
und Freunden bildet. Er kennt die verschiedenen rechtsextremen
Szenen in der Schweiz, denn seit Jahren beschäftigt er sich
intensiv damit. Bei der AKdH führt Althof seit 2004 eine
Meldestelle für antisemitische Vorfälle, die auf Bundesebene
nicht existiert. Die AKdH leistet unter anderem bei der Aufdeckung
von Webseiten mit rechtsextremen und antisemitischem Gedankengut
seit Jahren Pionierarbeit. Die Vereinigung ist zudem Partnerin
des Forschungsprojekt Violence («Jugend und Gewalt im Zusammenhang
mit sozioökologischen Strukturen») der Universität
Basel und dem Forschungsprojekt «Rechtsextreme Jugendliche
in der Schweiz – Ausstiegsmotivation unter besonderer Berücksichtigung
der familiären Sozialisation und der Gleichaltrigenbeziehungen».
Althof ist der perfekte Interview-Partner für die «Rassismus»-Ausgabe,
denn sein Wissen in diesem Bereich ist – unter anderem auch
aus eigener Erfahrung – einmalig. Seine ausführlichen
Antworten auf brennende Fragen regen bestimmt zum Nachdenken an.
Herr
Althof, hat die Schweiz ein Problem mit rechtsextremen Kreisen?
Die Schweiz hat ein gewisses Problem damit, ja, aber im Verhältnis
nicht mehr als andere Länder Europas auch. Zum Begriff Rechtsextremismus
ist es von grosser Bedeutung Folgendes unterscheiden zu können:
Wir unterscheiden zwischen programmatischen und symptomatischen
Rechtsextremen. Unter Programmatik verstehen wir eine Ideologie
und ein abgeschlossenes und unzugängliches Gedankengebäude,
also die Vereinfachung sehr komplexer Vorgänge. Programmatiker
wollen andere von ihrem Programm überzeugen. Rechtsextreme
Programmatiker sind politisch nicht konsensfähig. Sie sind
im Gespräch argumentativ nicht erreichbar, da sie sich, gestützt
auf ihr Programm, nicht auf eine echte Diskussion einlassen können.
So lassen sich keine Probleme lösen und die Chance einer
Gewalteskalation zur Durchsetzung des extremistischen Programmes
ist damit gegeben. Unter symptomatischem Rechtsextremismus verstehen
wir das rechtsextreme Auftreten, beispielsweise durch Kleidung
oder Musik jedoch ohne eine entsprechende Ideologie oder Programm.
Solche Leute wollen in erster Linie nicht ihre Überzeugung
verbreiten, sondern zum Beispiel provozieren, sie setzen sich
selbst ins Zentrum. Mit ihnen kann kommuniziert werden. Weniger
gefährlich sind sie aber nicht, da sie punktuell zur Anwendung
von Gewalt neigen. Diese Erscheinung wird bei den meisten jugendlichen
Rechtsextremen beobachtet.
Wie
beurteilen Sie die Situation hier in der Südostschweiz?
Bei der Beurteilung der rechtsextremen- wie auch der linksextremen
Szene ist es wichtig, den Blickwinkel nicht allzu stark auf lokale
Phänomene zu richten, denn die Szenen sind sehr mobil und
teilweise gut vernetzt. Was heute z. B. als Szenenlokal wahrgenommen
wird, kann sich morgen bereits an einem anderen Ort befinden.
Bei einer zu starken Fokussierung läuft man Gefahr, eine
Fehleinschätzung zu machen. Darum macht die momentane Beurteilung
lokaler Szenen nur aus strafrechtlicher Sicht Sinn. Dies möchte
ich darum besser den zuständigen Behörden überlasen.
Grundsätzlich kann man aber sagen, dass die Szene in der
Südostschweiz relativ klein und nicht virulenter als an anderen
Orten in der Schweiz ist. Die Szene kann aber punktuell gefährlich
sein.
Wie
reagiert die Gesellschaft darauf?
Auf beide Formen ganz unterschiedlich. Es kommt auch immer darauf
an, wie Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit dargestellt
wird. Dies hat eine grosse Auswirkung auf die Reaktionen der Öffentlichkeit.
Es gibt sehr gute und differenziert gegen Rechtsextremismus engagierte
Organisationen, aber auch solche, von denen ich mir mehr erwünschte.
Zum Beispiel von jenen Parteien, die konservative Werte vertreten
– zum Beispiel der SVP: Solche Parteien sollten sich wiederholt
deutlich vom Rechtsextremismus distanzieren. Bei der Prävention
gibt es Optimierungsmöglichkeiten, zum Beispiel in der Grundlagenforschung,
und in der Begegnung mit Rechtsorientierten vor Ort, also zum
Beispiel auf öffentlichen Plätzen, auf welchen sich
Konflikte, beispielsweise zwischen Gruppen junger Ausländer
und Rechtsorientierten beobachten lassen. Die Gassenarbeit und
die entsprechenden Ausbildungen müsste gefördert werden.
Die Präventionsarbeit mit symptomatischen Rechtsextremen
muss vor Ort geschehen, man muss auf Jugendliche zugehen. Leider
scheuen sich viele davor, mit rechtsextremen Jugendlichen zu arbeiten.
Welche
Rolle spielen politische Parteien dabei?
Wie gesagt, wünschenswert wäre eine klare Distanzierung
wertkonservativ orientierter Parteien, wiederholt und deutlich.
Dies wäre ein wichtiger und hilfreicher Prozess, denn damit
würde rechtsextremen Parteien wie zum Beispiel der PNOS,
die Legitimation und die soziale Einbettung in die Gesellschaft
entzogen. Diese Massnahmen sind sehr wichtig und wirkungsvoll
für die Prävention.
Wie
war das früher?
Man muss wissen, in der Schweiz gibt es seit dem Zweiten Weltkrieg
rechtsextreme Gruppierungen und Bewegungen. Durch die Berichterstattung
der Medien entsteht aber ein Eindruck, diese gäbe es erst
seit der Gründung der PNOS!
Wie
sollten sich die Medien verhalten?
Das Thema Rechtsextremismus sollte von den Medien azyklisch (zeitlich
unregelmässig) behandelt werden, das heisst nicht dann, wenn
Rechtsextreme das Thema lancieren oder für sich besetzen.
Dies würde eine vertiefte und unaufgeregte Bearbeitung des
Themas ermöglichen. Die auf aktuelle Ereignisse bezogene
Berichterstattung wird oft boulevardisiert, sie ist damit oberflächlich
und wirkt abstossend. Medien sollten sich die Aktualität
des Themas nicht von Rechtsextremen vorgeben lassen. Ein weiteres
Problem sind auch die in vielen Medien verwendeten Begriffe wie
zum Beispiel «Nazi-Skin». Solche Begriffe bewirken
eine Verharmlosung des Nationalsozialismus, denn das, was zum
Beispiel mit Nazi-Skin bezeichnet wird, hat im herkömmlichen
Sinn kaum etwas mit dem Nazi der Jahre 1933 bis 1945 zu tun. Diese
Verwendungen solcher Begriffe sind irreführend, und erschweren
die differenzierte Behandlung des Problems.
Inwiefern
spielt die Integration eine Rolle?
Das Problem hierbei ist, dass zum Beispiel das Thema rassistischer
oder gewalttätiger Jugendlicher mit Mirgationshintergrund
über lange Zeit nie wirklich ernst genommen wurde. Rechtsextreme
greifen dies nun auf, ihre Massnahmen sind aber entsprechend ihrem
vereinfachten Weltbild «Ausgrenzung und Ausschluss aus unserer
Gesellschaft». Dies verschlimmert die Lage aber mehr als
sie nutzt, obwohl das deutliche Aufzeigen von Grenzen ein sehr
wichtiger Inhalt ist.
Woher
nehmen Sie die Kraft, Tag für Tag gegen solche Leute zu kämpfen?
Ich kämpfe nicht, das ist nicht nötig. Ich gebe lediglich
eine Erfahrung weiter: Als jüdischer Mensch weiss ich, was
passieren kann, wenn man sich nicht rechtzeitig mit dem Problem
Rechtsextremismus befasst. Nicht minder wichtig ist aber die Bekämpfung
des ganz alltäglichen Rassismus, der schleichend maskiert
und oft ganz legal in Erscheinung tritt.
Viele
identifizieren sich mit dem Deutschen Nazis. Warum?
Das tun sie gar nicht. Das wird, wie schon oben erwähnt,
von boulevardisierenden Medien behauptet.
Symptomatische Rechtsextreme betreiben oft eine Verherrlichung
des Nationalsozialismus, aber sie behaupten nie, sie wären
Nazis. Der Hitlergruss oder 88 sind typisch für symptomatische
Rechtsextreme, damit provozieren sie die Öffentlichkeit und
wollen auf sich selbst hinweisen. Als Handlungsmotiv kann man
oft persönliche Probleme erkennen. In der Gesellschaft sind
solche Symbole nicht erwünscht.
Wenn man mit ihnen redet, erfährt man oft, dass sie zum Beispiel
Opfer von Gewalt oder Diskriminierung wurden. Sie können
dies anders nicht sagen. Lonsdale-Kleider und solche Zeichen dienen
der Selbstdarstellung, vergleichbar mit Punker und ihren Irokesenhaarschnitten.
Dies führt zu Konflikten. Wichtig ist aber auch das Phänomen
der Szene: In einer Szene bekommen zum Beispiel desintegrierte
Menschen ein Heimatgefühl, sie stärken sich gegenseitig.
In einer Szene integriert, verschwinden dann die Probleme fast
wie von selbst. Dies ist aber nur scheinbar und kommt bei einem
möglichen Verstoss gegen die oft rigiden Regeln einer Szene
sehr schnell wieder zum Vorschein.
Wie
ist der Wissensstand der restlichen Bevölkerung über
solche Dinge?
Der Wissenstand ist unterschiedlich: Extremismus jeglicher Art
muss verstanden und grundsätzlich als Gefahr für unsere
Demokratie wahrgenommen werden. Er ist inakzeptabel. Dass dies
bei den meisten Schweizer Stimmbürger heute so ist, beweist
die politische Irrelevanz der rechtsextremen Partei PNOS. Diese
ist politisch unbedeutend, es besteht kein Bedarf nach solcher
Politik. Das heisst aber nicht, dass sie nicht gefährlich
sein kann. Man muss ihre politischen Möglichkeiten erkennen
können, und sie sachlich betrachten, dann sieht man, dass
diese mit zwei Abgeordneten in regionalen Kleinstparlamenten nichts
bewegen kann.
Was
kann an den Schulen unternommen werden?
Man kann sagen, dass die Wissensvermittlung von Geschichte und
das Kennenlernen unserer politischen Kultur eine wichtige Basis
in der Prävention gegen jegliche Form von Extremismus ist.
Nicht minder wichtig ist aber die Förderung von Dialog und
Verständnis zwischen Schweizern und Personen mit einem Migrationshintergrund.
Worin
gleichen sich Links- und Rechtsextremen in ihrem Verhalten?
Beide Arten von Extremismus sind für unsere Demokratie in
gleicher Weise gefährdend. Extremisten glauben immer die
absolute Wahrheit zu kennen. Sie wollen diese mit allen Mitteln,
oft auch mit Gewalt, durchsetzen. Extremisten sind dadurch nicht
konsensfähig, was aber eine Grundbedingung für das Mitwirken
in unserem Staatswesen ist. Durch diese Konsensunfähigkeit
manövrieren sich Extremisten in unserem Land automatisch
selbst in eine politische Blockade und sind damit politisch bedeutungslos.
Darum versuchen extremistische Parteien, ihre Auftritt scheinbar
demokratisch zu gestalten. Es ist sehr
wichtig, diese Tarnung zu erkennen.
Interview:
Dominic Duss und Philip Reding
|