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Nachrichten
von ganz tief unten
Das "globalisierungskritische" Netzwerk indymedia.org
spiegelt die weltweite Mobilmachung gegen Israel
QU: http://www.graswurzel.net, Mai 2002
Alles über die Strafanzeige gegen Indymedia Switzerland
hier
"Statistisch
haben die meisten Israelis ihre Vorfahren in Großbritannien,
den USA oder der UdSSR, und nicht in Maidanek." Eine Aussage,
so banal und unschuldig wie Blausäure in Büchsen, zu
finden in dem Beitrag "Bundeswehr nach Palästina?"
auf indymedia.de. Ein gewisser "don quichotte" arbeitet
sich darin an der Frage ab: "Soll der Enkel eines Holocaust-Opfers
in die Mündung des Gewehrlaufs eines deutschen Soldaten blicken?"
Sein Zahlentrick, glaubt er, werde diejenigen schon beruhigen,
die jetzt an den kleinen Jungen mit den erhobenen Händen
denken: statistisch nur ganz wenige Vorfahren in Majdanek. Vor
Einlieferung der ersten sowjetischen Kriegsgefangenen im Oktober
1941 befand sich kein Mensch in "Majdanek". "Kriegsgefangenenlager
der Waffen-SS Lublin" war bis Februar 1943 die offizielle
Bezeichnung für das Vernichtungslager, dessen Name sich von
dem Lubliner Stadtteil Majdan Tatarski herleitet. Innerhalb von
nicht einmal drei Jahren passierten es nahezu eine halbe Million
Menschen aus 28 Ländern, mindestens 250 000 von ihnen wurden
allein dort ermordet. Als das Lager im Juli 1944 geräumt
werden mußte gab es noch etwa 1000 Gefangene, rund die Hälfte
davon kam nach Auschwitz. In der Eile gelang es der SS nicht einmal
mehr die Gaskammern zu sprengen. Hätte der Vormarsch der
Roten Armee noch ein paar Tage Zeit gelassen, wer weiß,
was "don quichotte" heute zu Majdanek einfiele. So wie
die Dinge aber liegen, muß der Autor irgendwie kitten, was
ihm als ein zu behebendes argumentatives Dilemma erscheint: daß
Jüdinnen und Juden eben nicht nur nach Palästina emigrierten
bevor sie dem deutschen Vernichtungsapparat anheim fallen konnten.
Das Trauma des Zionismus, die Menschen, für die der Staat
Israel als Zuflucht konzipiert war noch vor dessen Gründung
zum Großteil ermordet zu sehen, braucht nach der Verhöhnung
durch die Enkel der Täter nicht zu fragen. Was wäre
denn, fragt sich "don quichotte", wenn vielmehr der
deutsche Soldat "Enkel eines Holocaust-Opfers" wäre?
Unwahrscheinlich, doch nicht völlig ausgeschlossen. "Zweitens
blicken Israelis selten in die Gewehrläufe anderer Menschen".
Für "don quichotte" jedenfalls noch zu selten.
Es läge nahe, dem Autor zu unterstellen, er bereite ideologisch
die nächste "Friedensmission" vor, wie jener unbedarfte
Nationalist, dem Kritik an Schröders Initiative für
einen Militäreinsatz das Hirn überlaufen läßt:
"Das tönt ihr Antideutschen doch am Lautesten, das wir
was in Unserer Geschichte verbockt haben, das bestreitet auch
Keiner, dann lass es uns doch wieder Gut machen, und Unser Gewissen
mit jedem Friedlich bereinigten Konflikt erleichtern, das ist
unsere Pflicht durch die Schuld die wir in unserer Vergangenheit
auf uns geladen haben, und sei Froh das es da Oben Endlich mal
einer kapiert hat." Dergleichen liegt "don quichotte"
jedoch völlig fern. Auch wenn er bewußt die Parallele
zum Kosovo-Krieg zieht: die NATO ist für ihn kein geeignetes
Instrument gegen den "notorischen Mörder Sharon",
das Remake des Wochenschau-Serben Milosevic. "Wie in Jugoslawien
oder Afghanistan würde eine US- oder EU-dominierte Armee
lediglich Interessen der G7 durchsetzen.".
"indymedia
d. versteht sich als ein emanzipatorisches, unabhängiges
mediennetzwerk ohne kommerzielle interessen, mit dem zentralen
ansatz, gegenöffentlichkeit zu schaffen, indem die menschen
an der gesellschaftlichen basis DIREKT zu wort kommen; darum ist
auch das open posting ein so wichtiger bestandteil der idee."
Soweit das Selbstverständnis. "Open posting" bedeutet
nichts anderes, als daß alle, die etwas mitzuteilen haben,
ihren Senf direkt auf die Seite packen können - die Garantie
für den Mix aus blutrünstigen Gerüchten, Verbalaggression
und Geschichtsrevisionismus, der die "Berichterstattung"
zum Israel/Palästina-Konflikt dominiert. Eine "Moderation"
genannte Aufsicht entfernt "menschenverachtende, sexistische,
rassistische, rechtsradikale u./o. totalitäre beiträge
jeder art" zumindest in der Theorie. Praktisch kann das z.B.
so aussehen, daß die Nachricht über den Überfall
auf einen Teilnehmer einer Pro-Israel-Demonstration in Frankfurt
erst beim zweiten posten stehen gelassen wird, dafür aber
auch die Flut von Kommentaren, die dem 75-jährigen empfehlen,
er solle mal besser nicht mehr auf Demos gehen in seinem Alter,
und ob er denn noch seine Brieftasche hätte. Er erlitt einen
Rippenbruch, Gehirnerschütterung und offene Wunden. "Bitte
greift dochmal durch und löscht endlich so eine Scheisse.
Das nervt und ich habe keinen Bock Indymedia nur aufgrund von
Antideutschen die Unruhe stiften wollen und die beim Verfassungsschutz
arbeiten kaputtmachen zu lassen." Antideutsch ist auf indymedia
ein gängiges Synonym für Beiträge, die sich gegen
Antisemitismus richten, der Begriff hat sich so längst vom
Umfeld der Bahamas-Gruppe emanzipiert und zu seiner ureigensten
Bedeutung zurückgefunden. Das Gegenteil heißt zwar
noch nicht volkstreu, eher traditionsverpflichtete Deutschnationale
sind auf indymedia aber bereits eindeutig zu identifizieren, z.B.
der Kalte Krieger, der Bescheid weiß, wer "Judas verrecke"
und "Solidarität mit Palästina" auf das KZ-Mahnmal
in Ahlem gesprüht hat: "solche Aktionen sind, wie früher
zur Zeit der DDR, meist von linken Aktivisten geplant und durchgeführt,
um die 'untätige' Regierung und das böse Volk im In-
und Ausland in ein äusserst schlechtes Licht zu rücken."
Oder Peter Gabler aus 76891 Bruchweiler: "Leider gibt es
in der ganzen 1627jährigen deutschen Geschichte nur einen
einzigsten Hoffnungsschimmer der die Zeit von 1918-48 umfaßt
und zu unserem Elend abermals im Krieg endete." Peter hat
bestimmt nichts gegen Juden.
"Dieses
Volk wird skrupellos mißbraucht ohne es zu merken, kann
dies wirklich sein? Ich glaube ja da sie schon lange dem Götzen
Geld huldigen und dies ihrer eigenen Grundüberzeugung und
Religion widerspricht." Ein nicht zu unterschätzender
Vorzug offener Internetforen ist die Anonymität. Ob jemand
Wursthaare, Glatze oder Seitenscheitel, rote oder weiße
Schnürsenkel trägt, Palotuch oder Lodenmantel - die
Codes, mit deren Hilfe Jugendliche und solche, die es bleiben
wollen, sich gegeneinander und die ältere Generation abgrenzen
fallen unter den Tisch, und es kann endlich zueinander finden
was zusammen gehört. "wicki", dem es einfiel, Peters
Text "Nazi-Kacke" zu schimpfen, fing sich sofort vier
Abfuhren ein. "Dieser Artikel wurde weder bekifft noch in
braunem Gedankengut verfaßt. Eure Reaktionen erschüttern
mich. Das mit dem Götzen Geld wiederspricht ganz klar der
Überzeugung sich kein anzubetendes Bildnis zu machen."
So läßt sich eine Menge voneinander lernen, und die
ersten Erfolge zeichnen sich bereits ab. Reaktionen eines "Antinationalisten"
auf die Rede des israelischen Botschafters in Frankfurt: "1.
Sehr geehrter Herr Präsident des Zentralrates, Paul Spiegel
Aha, in Anwesenheit des Innenministers (nicht dass ich für
den was anderes über hätte als Dresche) wird also der
Repräsentant einer religiösen Minderheit zuerst gegrüßt.
Ist das diplomatisches Protokoll? Wohl kaum! ... 3. verehrte Mitglieder
der jüdischen Gemeinde Sind wohl mehr Juden als Nichtjuden
in Frankfurt. In Verachtung der Realität wird die Majorität
erneut beleidigt."
Beiträge,
die für qualitativ besonders hochwertig befunden werden,
legt indymedia.de auf einen exponierten Platz der Startseite:
"Die Artikel in der Mittelspalte nennen wir Feature. Das
sind Beiträge, die einen guten Überblick über ein
wichtiges Thema geben." Da freuen sich dann z.B. "maroto
und suha bechara": "Militante Aktionen sind seit Beginn
der Intifada fester Bestandteil des Widerstandes gegen die anhaltende
Okkupation. Spektakulär war vor allem das Attentat auf einen
rechtsradikalen Minister Anfang des Jahres (Oktober 2001, T.S.)."
Wer "mehr" erfahren möchte und das link klickt,
findet sich direkt auf der homepage der PFLP/general command wieder
und kann sich anhand der Anschlagserklärung umfassend informieren.
Von dem anderen feature zum Thema geht es direkt zum Palestine
Chronicle, wo dann u.a. folgende Erfolgsmeldung zu lesen ist:
"The attack on the Israeli bus near Haifa resulted in many
casualties among Israeli soldiers who were on their way to Jerusalem.
At least ten were killed and 20 more wounded in the attack."
Soldaten? Sicher, für den militanten "Widerstand"
ist jeder Israeli ein Soldat und daher ein legitimes Ziel. Was
hilft es, daß schon das Blättchen, das einmal in der
Woche mit den Supermarktangeboten ins Haus kommt die unbedingt
erforderliche Aufklärung gegen diese Killpropaganda bieten
könnte? indymedia-Fans verschmähen es als "kommerziell"
und suchen sich ihre Nachrichten lieber selbst zusammen. Vereinzelt
ist tatsächlich schon die Kritik zu lesen, die Situation
der Menschen in Israel und den besetzten Gebieten interessiere
das gros der user einen Dreck, sie lebten bloß ihre eigenen
Projektionen an dem Konflikt aus. Dabei gibt sich der deutsche
Ableger eher noch verdruckst, wer so richtig internationalistisch
auf die Kacke hauen will findet auf indymedia palestine eindeutig
die günstigeren Bedingungen vor. Palästinensische Friedensgruppen
sind da zwar so rar wie die Nadel im Heuhaufen, dafür wird
ein Gutteil der Seite von kanadischen Geschichtsrevisionisten
bestritten, die sich für "Israeli" die neckische
Bezeichnung "ZIONAZI" ausgedacht haben. Schwedische
Autonome schicken Fotos vom Zermusen unerwünschter Früchtchen
im Supermarkt, und eine Ulrike Meinhof Martyr Brigade konstatiert:
"In the 70s, euro radicals carried out REAL solidarity actions
for the Palestine cause, why not now?".
indymedia
palestine bietet nebenbei wohl die umfangreichste Sammlung antisemitischer
Gebrauchsgraphik, die derzeit im Netz verfügbar ist, "open
publishing" machts möglich. Großteils sind das
tatsächlich noch die Originale aus den Dreißigern und
frühen Vierzigern, Anleitungen zum Erkennen des Untermenschen
oder auch SS-Ikonen, die frech in "IDF" umgelogen wurden.
"durruti" ist einer der vielen, die einfach ein Führer-Porträt
ausgekramt und es "Sharon" getauft haben. Unbestreitbarer
Favorit ist aber der brasilianische Cartoonist Latuff, dem es
streckenweise gelungen ist, eine eigenständige Ästhetik
zu entwickeln. Seine Serie "I am palestinian" ist die
ideale Illustration der weltweiten Intifada (siehe Abbildungen
auf dieser Seite). Alle haben gefälligst PalästinenserIn
zu sein. Der jüdische Junge bildet trotzdem eine Ausnahme:
während alle anderen Identifikationsfiguren, der Schwarze
in den Händen des Ku-Klux-Klan, der erschossene Indianerkrieger,
die indigena mit dem Regierungssoldaten ganz konkret ermordet
werden oder doch direkt davon bedroht sind, steht er nur verloren
vor der Ghettomauer wie im falschen Hausflur. Kein Wunder: eine
palästinensische Rauchwolke über Majdanek wäre
die Spur zu dick aufgetragen gewesen, die das nützliche Bild
in seine Demontage hätte umschlagen lassen. Auf indymedia.de
ist Latuff nicht mehr gerne gesehen, auch wenn einige ältere
postings noch zu finden sind. Es war unter anderem ein Schriftwechsel
mit diesem Zeichner zum Vorwurf des Antisemitismus, der für
die Aktion Kinder des Holocaust den Ausschlag gab, den Schweizer
Ableger des Netzwerks anzuzeigen. Indymedia Schweiz wurde daraufhin
für einige Wochen vom Netz genommen.
Torsten
Schulz
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