Abgeschaltet
Ärger im Internet: Wegen antisemitischer Beiträge hat
Indymedia Schweiz den Betrieb gestoppt
QU: Junge Welt, 25. Februar 2002
Alles über unsere Strafanzeige gegen Indymedia Switzerland
hier
Die globalisierungskritische Nachrichtenseite Indymedia Schweiz
ist seit Anfang vergangener Woche abgeschaltet. Unter der Internetadresse
ch.indymedia.org wird nur noch zu ein paar Veranstaltungen eingeladen.
Der Titel der ersten lautet: »Vom Vertrauen zur Klage«.
Die Schweizer IndymediamacherInnen rechnen mit einer Anklage wegen
Verstoß gegen das Antirassismusgesetz. Besonders bitter
für die Globalisierungskritiker ist, daß eine linke
Gruppe das juristische Vorgehen gegen sie unterstützt hat.
Nun hat Indymedia Schweiz erst mal den Betrieb eingestellt, um
eine »Abkühlung des Klimas« zu erreichen.
Anfang
Februar hatte die Vereinigung »Aktion Kinder des Holocaust«
(AKdH) die Schweizer Polizeibehörden auf mögliche Verstöße
gegen das Antirassimusgesetz bei Indymedia Schweiz aufmerksam
gemacht. Da es sich in der Schweiz dabei um ein Offizialdelikt
handelt, müssen die Behörden nun ermitteln. Anlaß
für die AKdH waren einige Karikaturen des mexikanischen Zeichners
Latuff. Der Karikaturist vergleicht in seinen Zeichnungen die
Palästinenser mit den Verfolgten des Nationalsozialismus
und bemüht häufig antisemitische Stereotype.
Antisemitische
Beiträge landen tatsächlich immer wieder auf den Seiten
der mittlerweile 78 lokalen Ableger des internationalen Netzwerks
Indymedia. Die Nachrichtenseite verfolgt das Prinizip des »Open
Posting«: Jeder kann seine Artikel an die Seite schicken.
Die Beiträge erscheinen dort sofort, ohne daß eine
Redaktion sie vorher liest. Allerdings bleibt dort nicht alles
stehen. Ursprünglich hatten zwar die Indymedia-Gründer
in den USA eine radikale Meinungsfreiheit ohne jede Zensur gefordert.
Doch inzwischen moderieren insbesondere die europäischen
Gruppen ihre Seiten und »verstecken« diskriminierende
Inhalte. Die Beiträge liegen dann zwar noch im Internet,
aber sind nicht mehr zu finden. Bei Indymedia Schweiz ist das
etwas anders. Diskriminierende Artikel werden in einen sogenannten
Zensurkübel verschoben. Dort landeten auch die Karikaturen
von Latuff. Doch ist der Zensurkübel auf der Startseite verlinkt,
also für alle einsehbar.
Genau
diese Möglichkeit kritisiert der Sprecher der AKdH Samuel
Althof. Leute könnten »rassistische Beiträge mit
der Absicht einer Veröffentlichung an Indymedia senden, denn
sie können davon ausgehen, daß ihre Beiträge im
Zensurkübel neu publiziert werden«. Die
AKdH hat es sich zur Aufgabe gemacht, gegen Antisemitismus im
Internet vorzugehen. Mehrere Schweizer Internetseiten Rechtsextremer
wurden durch ihre Intervention schon vom Netz genommen. Sprecher
Althof macht geltend, daß anders als bei rechtsextremen
Seiten vor der Anzeige eine Diskussion mit den Leuten von Indymedia
geführt wurde. Anfang Dezember hatte die Gruppe »Für
einen progressiven Antikapitalismus« (f.e.p.A.) Indymedia
Schweiz öffentlich aufgefordert einzusehen, daß ihr
Konzept gescheitert sei. Einige Tage später initiierte diese
Gruppe eine »Überflutungsaktion«. Etliche Beiträge
pro Minute wurden an die Seite geschickt und so der Server für
einige Zeit lahmgelegt. »Wir haben die Diskussion verfolgt
und gesehen, daß Indymedia den Argumenten nicht folgen konnte
und stur am Zensurkübel festgehalten hat«, sagt Althof.
Bei
Indymedia hält man dagegen, daß es durchaus heilsam
sein könne, wenn die Öffentlichkeit mit rechtsextremen
Inhalten konfrontiert wird. »Eine totale Zensur hatten wir
doch schon in der DDR man sieht ja, was das gebracht hat«,
sagt Klaus von Indymedia Deutschand. Besonders schockiert ist
er, daß die AKdH Namen von angeblichen Indymedia-Redakteuren
an die Polizei weitergegeben hat. »Durch die neuen Terrorismusgesetze
sind wir ohnehin massiv von Repression bedroht.«
Auch
die deutschen Indymediamacher werden kritisiert wegen Antisemitismus,
obwohl bei ihnen das »Müllarchiv« nicht einsehbar
ist. »Die Antideutschen fordern bei jedem israelkritischen
Artikel Zensur«, meint Klaus. Sie hätten eine ganz
ähnliche ideologische Ausrichtung wie die f.e.p.A. Diese
Strömungen innerhalb der Linken seien sowohl in der Schweiz
als auch in Deutschland aus ehemals antiimperialistisch orientierten
Gruppen hervorgegangen, die in den 80er Jahren tatsächlich
häufig eine tendenziell antisemitische Politik gemacht hätten,
erläutert Klaus. Die Schweizer f.e.p.A. habe ihre Wurzeln
beim »Revolutionären Aufbau Zürich«.
Seit
den Vorfällen in der Schweiz wird im gesamten Indymedia-Netzwerk
über Zensur und Meinungsfreiheit diskutiert. »Der Holocaust
wäre ohne Zensur nicht möglich gewesen«, schreibt
dort eine Nessie und fordert, daß auch die europäischen
Indymedias aufhören, diskriminierende Beiträge zu zensieren:
»Wir verstehen die Vorsicht der Europäer, aber behaupten,
daß der europäische Konsens fehlgeleitet ist.«
Andere wiederum halten die Argumente der AKdH für bedenkenswert.
»Die Reproduktion von faschistischen Beiträgen hat
nichts mit der Idee von Indymedia zu tun«, schreibt Bart
als Antwort auf Nessie. Viele sehen inzwischen ein Problem mit
dem radikalen »free speech«-Ansatz. Immer wieder werden
Indymedia-Seiten geradezu bombadiert mit diskriminierenden Beiträgen.
Jüngster Vorfall: Seit ein paar Tagen schickt jemand auf
australische und amerikanische Seiten pornographische Bilder.
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