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Projekt geht vor die Hunde
QU: Sozialistischen Wochenzeitung Vorwärts, 1. März 2002

Alles über unsere Strafanzeige gegen Indymedia Switzerland hier

ike. Nachdem gegen zwei als Indymedia-MacherInnen Bezeichnete Anzeige wegen Verletzung des Antirassismusgesetzes erstattet wurde, beschäftigt sich die autonome Szene in Zürich mit sich selbst. Einmal mehr.

"Jene, die sich gegen Antisemitische Aueserungen so aufregen, vergessen das die Juden selber den antisemitismus mit Ihrer eigenen Politik gegen die Palästinser selber züchten. Die Juden sind selber die grössten Rassisten auf dem Erdboden - dies im Verhalten gegen die Palästinenser". Solche Beiträge, Holocaust-verharmlosende Comics und antisemitische Verschwörungstheorien konnte man noch im Januar auf der Switzerland.Indymedia.ch-Site lesen, die für sich in Anspruch nimmt, mittels "open-publishing" - dem freien, meist anonymen Publizieren beliebiger Beiträge durch BenutzerInnen der Homepage - ein offenes, unabhängiges Medium zu sein, in dem alle Stimmen gleichberechtigt Platz hätten, die von bürgerlichen Medien nicht wahrgenommen oder unterdrückt werden. Seit Anfang vorletzter Woche ist Schluss damit. Die Internet-Seite, deren Konzept in der Antiglobalisierungsbewegung geboren wurde, ist "vorübergehend geschlossen". Um zur "Abkühlung des Klimas beizutragen", wie die MacherInnen mitteilen. Was ist passiert?
Die Idee, durch hierarchiefreies Nebeneinander von Beiträgen ohne jeglichen Eingriff seitens einer Redaktion der Vielfalt der Antiglobalisierungsbewegung gerecht zu werden, hat sich in der Schweiz bald als Bumerang erwiesen. Homophobe, sexistische, rassistische und antisemitische "Postings" (von Dritten auf die Page geladene Beiträge), persönliche Diffamierungen und hirnrissige, gänzlich inhaltslose Kommentare machten die Seite für viele unattraktiv oder unbrauchbar. Einzige Möglichkeit, den Prinzipien von Indymedia Schweiz widersprechende Artikel als solche zu deklarieren, war der "Zensurkübel", in den diese "versorgt" werden konnten. Dieser war aber für alle von der Hautpseite aus einsehbar und somit ständig Gegenstand des Anstosses oder der Bezugnahme.

Am 3. Dezember 2001 erschien der Text "Palestinian Control of Mass Media", der in verkappter Form eine jüdische Weltverschwörung beschreibt. In verschiedenen Reaktionen wurde Indymedia aufgefordert, den Text unverzüglich zu entfernen. Erstmals wurde auch eine Anzeige nach "Antirassismusnorm" angedroht. Die Indymedia-Crew steckte den beanstandeten Text in den Zensurkübel und distanzierte sich vom Inhalt. Am 7. Dezember wurde eine Stellungnahme einiger Leute gepostet, die sich für die Verbannung der antisemitischen Inhalte von der Page stark gemacht haben. Gefordert wurde in dem Beitrag das diskussionslose Löschen von antisemitischen Texten und das Überdenken des Open-publishing, unterschrieben wurde mit "für einen progressiven Antikapitalismus" (F.e.p.A.). Indymedia hielt am unumschränkten Open-Publishing inklusive Zensurkübel fest.
Dann begann die Schlammschlacht auf der Indymedia-Page. Die Diskussion über Antisemitismus war begraben - und ebenso jene über Chancen und Grenzen des Open-Publishing, bzw. des Internets und des Umgangs damit. Dieser Schlagabtausch gipfelte in Verschwörungstheorien. Der Antisemitismus sei bloss ein Vorwand, um Indymedia zu zerstören.

Das veranlasste die "Aktion Kinder des Holocaust" (AKdH), Strafanzeige gegen zwei als "ModeratorInnen" bezeichnete AktivistInnen von Switzerland.Indymedia.org einzureichen. Die AKdH ist eine Organisation jüdischer Nachfahren von Holocaustüberlebenden, die sich vor allem dem Kampf gegen Antisemitismus im Internet verschrieben hat. Die Schmerzgrenze sei überschritten worden, begründet AKdH-Sprecher Samuel Althof. Er wolle nicht "Türen zuschlagen", sondern erhoffe sich, dass die leidige Sache mit dem Zensurkübel geklärt werde.

Für Althofs Vorgehen hatten die der Indymedia-Crew die Stange haltenden Kreise und gewisse BenützerInnen gar kein Verständnis mehr. Erneut schossen Verschwörungstheorien wie Pilze aus dem Boden. Wahlweise steckten die "Geheimdienste" dahinter, "der Staatsschutz", "die Regierung" oder aber irgendwelche linken "Verräter" und "Stalinisten" (die F.e.p.A.), die Indymedia zerstören wollten. F.e.p.A. ihrerseits stellt klar, dass sie weder die Anzeige gemacht, noch Hand geboten hätte, Indymedia-ModeratorInnen zu identifizieren. "Es ist nicht unser Mittel", so Simone Wassmer, selbst langjährige Aktivistin in der autonomen Linken. Aber Justiz komme für sie immer noch vor der Barbarei. "FreundInnen von Indymedia Schweiz" bezeichnen dies in einer auf der Seite publizierten Stellungnahme als "Rufmordkampagne", die "aus gestandenen AntifaschistInnen AntisemitInnen" mache. Das Vorgehen der F.e.p.A. sei "gezielte Provokation zur inneren Zerfleischung und Atomisierung der ausserparlamentarischen linken Zusammenhänge".

Die Frage, wie es soweit kommen konnte, dass ein Konflikt zu einem derartigen Grabenkampf ausarte, beschäftigt das autonome Spektrum in Zürich derzeit wohl am meisten. Die einen machen das - aus ihren Augen die Solidarität unter Linken aufkündende - Vorgehen der F.e.p.A. dafür verantwortlich, andere das Open-Publishing oder den Unwillen Linker, sich mit Antisemitismus auseinanderzusetzen. Dass aber Linke sich nachdrücklich dafür einsetzen, dass antisemitische Inhalte publiziert werden dürfen, wirft Fragen auf, die über die Antisemitismusdiskussion hinausgehen.

Wo man sich abwendet vom Anspruch, linke Gegenöffentlichkeit zu schaffen, zugunsten eines kunterbunten Jekami, öffnet man Tor und Tür nicht nur für antisemitische Lügen und Verharmlosungen des Holocaust, sondern auch für vielerlei rückwärtsgewandtes Gedankengut. Dieser Paradigmenwechsel muss zwangsläufig vor dem Hintergrund des Einbruchs gesellschaftspolitischer Relevanz autonomer Linker betrachtet werden, der teilweise zu Isolation und Realitätsverlust geführt hat.

Um zu kitten, was noch zu kitten ist, um zu einem vernünftigen Umgang zurückzufinden und um sich mit den Themen Antisemitismus und Open-Publishing ernsthaft auseinanderzusetzen, sind nun diverse Veranstaltungen geplant. Am nächsten Mittwoch findet im Ego (Badenerstr. 97) eine Diskussion zum Thema "open-content/publishing und zensur" statt. Den Leuten von f.e.p.A. hat man allerdings bereits mitgeteilt, dass ihre Teilnahme nicht erwünscht sei.




 



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