|
Stellungnahme
zu den Vorfällen rund um Indymedia (3. März 2002)
Wir* sind empört über die antisemitischen Vorgänge
bei Indymedia Schweiz und entsetzt über Reaktionen aus dem
Umfeld von Indymedia nach Bekanntwerden der Anzeigeerstattung
durch die Aktion Kinder des Holocaust (AKdH).
Alles über die Strafanzeige gegen Indymedia Switzerland
hier
*Wir
- das ist eine Gruppe von Frauen (Jüdinnen und Nichtjüdinnen),
die vor Jahren einen Diskussionszyklus in der Roten Fabrik zu Antisemitismus
in der Linken durchgeführt hat und das sind weitere Dazugekommene.
Wir fühlen uns auch als Teil der Bewegung von Seattle, Davos
und Genua.
Das Engagement der f.e.p.A (für einen progressiven Antikapitalismus!)
gegen Antisemitismus bei Indymedia haben wir sehr begrüsst;
inhaltlich teilen wir ihre kritischen Stellungnahmen.
Der Gang an bürgerliche Gerichte ist nicht unser Weg, wir
erachten ihn aufgrund der verweigerten Diskussion jedoch als konsequenten
Schritt der AKdH, die diesen politischen Kampf gegen Antisemitismus
seit langem führt, und in diesem Sinne als gerechtfertigt.
Vom Urteil in dieser Sache erhoffen wir uns allerdings nichts.
Unser Anliegen ist das Umdenken von Linken in der Sache selbst.
Die Klage von AKdH hätte zu einem solchen Umdenken führen
können - zu einer Zäsur und zu einem Denkprozess über
die Mechanismen von Verschwörungstheorien allgemein und Antisemitismus
im Besonderen. Das Gegenteil ist eingetreten. Mittels einer verqueren
(und kurzsichtigen) Logik stilisieren sich (Mit-)TäterInnen
zu Opfern und lenken damit von den ursprünglichen Vorwürfen
ab. Diese Zäsur hingegen hätte bedeuten können
(und müssen), dass die Linke sich der Tatsache stellt, dass
die antifaschistische Bewegung als Ganzes selbst nie ganz frei
von antisemitischen Denk- und Handlungsmustern gewesen ist.
Auch wenn wir erleichtert sind, dass Indymedia-Schweiz ihre website
vorübergehend vom Netz genommen hat, und somit endlich dem
ausufernden Antisemitismus von seiner Seite einen Riegel geschoben
hat, lässt die Ankündigung zur Schliessung wenig Hoffnung
auf Einsicht aufkommen. Die Schliessung der website erfolgte gemäss
eigener Publikation nämlich, "um die Diskussion über
das Geschehene (Strafanzeige gegen Indymedia)" in der realen
Welt zu führen. So soll die Zeit der Schliessung "dazu
genutzt werden, um wieder eine gemeinsame Grundlage zu erlangen,
auf welcher (angst-) freie Diskussionen möglich sind".
Was unter diesen freien Diskussionen verstanden wird, erhellt
die Ankündigung zu einer Veranstaltung "Vom Vertrauen
zur Klage": Es geht um "Diskussionen ohne Angst vor
Drohungen (seien sie physischer oder juristischer Art), Weitergabe
von Namen an die Behörden oder die Öffentlichkeit".
Die physischen Drohungen jedoch sind in diesem Zusammenhang allein
von Publikationen auf Indymedia ausgegangen!
Dass auf Indymedia nicht mehr zu lesen sein muss, dass jemand
"geteert und gefedert werden" sollte, ist als (allzu-)
spätes Korrektiv zu verstehen. Aber wie steht es um antisemitismusfreie
Diskussionen? Wer dermassen verbissen an "freespeech"
festhält und in dieser Konsequenz in Bezug auf Antisemitismus
"hatespeech" rechtfertigt, ja gar pro- und reproduziert
und dadurch antisemitische Äusserungen als "diskussionswürdig"
erscheinen lässt, soll unserer Meinung nach auch in Zukunft
damit rechnen müssen, dass diese Form von Diskriminierung
und Gewalt Konsequenzen nach sich zieht. Indymedia und deren FreundInnen,
zu denen wir uns auch gezählt haben, sollten endlich begreifen,
dass antisemitische Verlautbarungen nicht weniger schlimm sind,
wenn sie von Linken und von gestandenen AntifaschistInnen'
ausgehen. Für von Antisemitismus-betroffene AntifaschistInnen
sind sie sogar noch schlimmer, weil damit die Hoffnung auf einen
gemeinsamen Kampf für eine gerechte Gesellschaft zunichte
gemacht wird. Im Unterschied zu dem, was Einzelnen aufgrund einer
Klage wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetzt droht, geht
vom Antisemitismus eine reelle Existenzbedrohung aus. Indem Indymedia
und deren FreundInnen dies nicht zur Kenntnis nehmen wollen, beweisen
sie im besten Fall eine unglaubliche Unsensibilität gegenüber
den Opfern der Shoah, und sind schon aus diesem Grund nicht als
die aufrechten VerfechterInnen des Antifaschismus' anzusehen,
als die sie durch ihre FreundInnen nun dargestellt werden. Aufgrund
der ausführlichen Stellungnahmen seitens der f.e.p.A. und
der Reaktionen vom Indymedia-Umfeld darauf, müssen wir davon
ausgehen, dass es sich nicht nur um Unsensibilität, sondern
um pure Ignoranz, um inhärente antisemitische Denkmuster
handelt. Anders können wir uns die verschwörungstheoretischen
Verlautbarungen seitens der FreundInnen von Indymedia schlicht
nicht erklären. Gemäss deren Darstellung soll nun die
f.e.p.A. von Anfang an bestrebt gewesen sein (in koordinierter
Zusammenarbeit mit der AKdH und der Bundespolizei), Indymedia
und deren Strukturen, und somit die gesamte ausserparlamentarische
Linke, zu zerstören. Diese wahnhafte Vorstellung ist vollkommen
haltlos! Die f.e.p.A. hat inhaltlich Stellung bezogen zum Antisemitismus
auf Indymedia - im Unterschied zu Indymedia selber. Sie sind als
Initiative zu verstehen, die Indymedia als Projekt ernstgenommen
und die BetreiberInnen zum verantwortungsvollen Umgang mit Hetzpropaganda
aufgefordert hat.
Indymedia, deren inexistente' Redaktion und deren FreundInnen,
haben es während Monaten (wo sie mit dem Antisemitismusvorwurf
direkt konfrontiert wurden) offenbar nicht für nötig
und relevant erachtet, sich zu Antisemitismus Gedanken zu machen.
Was für ein Privileg sich dieser Teil der ausserparlamentarischen
Linken rausnimmt! Haben sie sich vielleicht auch schon mal überlegt,
dass es Leute gibt, die diese Privilegien schlicht nicht haben?
Haben sie, die sich nun von Verrat umgeben sehen, sich auch schon
überlegt, was für ein Verrat ihr unverantwortliches
Tun gegenüber JüdInnen darstellt, insbesondere gegenüber
denjenigen, die jahrelang mit ihnen solidarisch zusammengearbeitet
haben? Können sie sich denn gar nicht vorstellen, was es
für Leute aus ihrem Umfeld bedeutet, sich von ihnen aufgrund
der publizierten Hetze Gewaltaufrufe distanzieren und so Diffamierung
und politische Ausgrenzung in Kauf zu nehmen müssen und real
zu erleiden? Beschämt es sie nicht, dass von Antisemitismus-Betroffene
keinen anderen Ausweg mehr sehen, als mit dem Staat zusammenzuarbeiten,
weil sie in bezug auf Antisemitismus nachvollziehbarerweise das
Vertrauen in diese Linke verloren haben?
Der Bericht der FreundInnen von Indymedia Schweiz zu den
Strafanzeigen gegen GenossInnen' spricht eine klare Sprache. Keine
Spur von Einsicht des eigenen Versagens, von Empathie gegenüber
Verfolgten und Diskriminierten - noch nicht einmal die Frage,
ob das eigene Verhalten für JüdInnen nicht zumindest
missverständlich gewesen sein könnte. Im Gegenteil lancieren
diese FreundInnen eine eigentliche Hetzjagd gegen ihre KritikerInnen.
Solches Handeln steht im Widerspruch zu einem emanzipatorischen
Engagement für eine herrschaftsfreie Gesellschaft. Hier geht
es nur noch um knallharte Verteidigung der eigenen Ignoranz. Und
dies mit ziemlich widerlichen Mitteln und auf leider nur allzu
wohlbekannte Art.
In diesem Sinne solidarisieren wir uns mit der f.e.p.A., der AKdH
und mit den von den "FreundInnen von Indymedia" diffamierten
Personen.
Wenn es Indymedia und seinem Umfeld ernst wäre mit angstfreien
Diskussionen, dann sollte von dort als erstes propagiert werden,
dass weder Antisemitismus, Rassismus, Sexismus noch irgendwelche
Formen von hatespeech und verbaler Gewalt gegen Behinderte, Lesben,
Schwule und nicht mainstream-Angehörige zugelassen wird.
Erst dann können wir wieder von gegenseitigem Vertrauen sprechen.
Zürich, 3. März.2002
(Stop_dem_Antisemitismus@yahoo.de)
|
|