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Abfall für alle
QU: Jungle World, 6. März 2002

Alles über die Strafanzeige gegen Indymedia Switzerland hier

Das linke Netzforum Indymedia Schweiz zeigt sich tolerant gegenüber antisemitischen Texten. von christina späti
Als Mitte Februar Indymedia Schweiz vorläufig vom Netz ging, bildete dies den Höhepunkt einer seit dem Dezember vergangenen Jahres geführten Debatte um Open Publishing, Zensur und Antisemitismus innerhalb der Linken. Anfang Februar erstattete ein Vertreter der Vereinigung Aktion Kinder des Holocaust, Samuel Althof, Strafanzeige gegen Indymedia Schweiz wegen Verstoßes gegen die Antirassismus-Strafnorm.

Indymedia Schweiz ist ein Ableger des weltweit autonom organisierten Independent Media Center, das 1999 in Seattle während der Proteste gegen die WTO gegründet worden war. Gemäß dem Konzept des Open Publishing soll jeder und jede Artikel und Kommentare im Netz publizieren können.

Seit der neuerlichen Zuspitzung des Nahost-Konflikts waren auf Indymedia Schweiz verschiedentlich antisemitische Artikel und Cartoons gepostet worden. Als am 3. Dezember des vergangenen Jahres der eindeutig antisemitische Artikel »Palestinian Control of Mass Media« mit einem Link zur revisionistischen und judenfeindlichen Netzzeitung Jewish Tribal Review erschien, ging dies einigen UserInnen endgültig zu weit, sie drohten den Indies mit einer Strafanzeige, falls der Artikel nicht sofort aus dem Netz genommen würde. Der Artikel zählte auf, in welchen Bereichen »Palästinenser« angeblich zu einflussreich seien. Dazu gehörten der Finanzmarkt, Massenmedien, Hollywood, Universitäten usw., also alle jene Gebiete, die im klassischen, auf verschwörungstheoretischen Annahmen basierenden Antisemitismus als »verjudet« gelten. Allein wegen der genannten Firmen und Medien war es offensichtlich, dass es eigentlich um Juden, nicht um »Palästinenser« ging. Gegen Ende des Artikels wurde dann explizit gemacht, dass der Begriff »Palästinenser« durch »Juden« ersetzt werden soll.

Indymedia Schweiz verschob den Text nach den Protesten in den Zensurkübel. Dieser dient dazu, nicht genehme Artikel und Kommentare als solche zu kennzeichnen. Anders als ein nicht virtueller Abfalleimer, dessen Inhalt früher oder später entsorgt wird, ermöglicht es der Zensurkübel jedoch, zensierte Texte weiterhin zu lesen.

Für die KritikerInnen, die sich einige Tage später unter dem Namen »Für einen progressiven Antikapitalismus« (Fepa) auf verschiedenen Indymedia-Sites zu Wort meldeten, war die Sache damit nicht erledigt. In einem ausführlichen Statement wandten sie sich nicht nur gegen das Prinzip des Open Publishing, welches ohnehin kein genuin linkes Projekt sei, sondern auch gegen den Antisemitismus in der Linken, der sich anhand dieses Artikels und des Umgangs damit einmal mehr gezeigt habe.

Anders als in Deutschland hat in der Schweiz bislang keine ausführliche Debatte über Antisemitismus in der Linken stattgefunden. Lange Zeit herrschte ein breiter gesellschaftlicher Konsens, Antisemitismus sei ein nach 1945 verschwundenes Phänomen des Nationalsozialismus und allenfalls noch des Rechtsextremismus. Diskussionen über den Antisemitismus fanden daher auch in der linken Öffentlichkeit nur wenig Resonanz.

Dabei war es bereits in den siebziger Jahren zu einem Gerichtsverfahren gekommen, als der sozialdemokratische Politiker Carl Miville in Basel die Progressiven Organisationen der Schweiz (Poch), die wichtigste und erfolgreichste neulinke Partei der Schweiz in den siebziger und achtziger Jahren, als antisemitisch bezeichnete und deshalb wegen Verleumdung verklagt wurde. Verschiedene gerichtliche Instanzen sprachen Miville frei und hielten somit zumindest indirekt fest, dass der Antizionismus der Poch antisemitisch gefärbt sei.

Als Mitte der achtziger Jahre der jüdische Sozialdemokrat Emanuel Hurwitz aus Protest gegen die in seinen Augen einseitig propalästinensische und latent antisemitische Haltung der SP Zürich aus der Partei austrat, schlugen die Wellen hoch. Zu einer eigentlichen Debatte über möglichen Antisemitismus innerhalb der Linken kam es aber nicht. Mitte der neunziger Jahre wurde dann in Zürich ein Anlauf in diese Richtung genommen, mit einer Veranstaltung in der links-alternativen Roten Fabrik, aus der auch eine Publikation hervorging. Als Experte wurde der Freiburger Soziologe Thomas Haury eingeladen, denn in der schweizerischen Forschungslandschaft war das Thema Antisemitismus und Linke bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls vernachlässigt worden.

Ebenso kam es in verschiedenen linken Zeitungen und Zeitschriften gelegentlich zu kleineren Auseinandersetzungen um die Frage, ob es in der Linken antisemitische Tendenzen geben könne. Mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert, reagierten viele Linke mit Unwillen, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Links-Sein und Antisemitismus schlössen sich aus, hieß es bei den einen, während andere sich mit dem Argument, man wolle nur die Kritik an Israel mundtot machen, aus der Affäre zogen.

Erst mit den Debatten um das Verhalten der Schweiz in der Zeit zwischen 1933 und 1945 wurde in den Jahren 1996 bis 1998 einer größeren Öffentlichkeit bewusst, dass Antisemitismus auch für die Schweiz ein relevantes Phänomen ist. Dass diese Diskussion jedoch noch am Anfang steht und weiterhin alte Diskursmuster reproduziert werden, zeigt ein Kommentar, der Mitte Dezember 2001 auf Indymedia Schweiz gepostet worden ist. Darin wurde insinuiert, dass hinter der Fepa in Wahrheit Neonazis stünden, die nun, um die Linke zu spalten, Indymedia »Antisemitismus und somit Rechtsextremismus« unterstellten.

Nicht nur hinter der Fepa vermuten SympathisantInnen von Indymedia Schweiz »Neonazis«, »Denunzianten« und »Bullen«, sondern erst recht hinter dem Vertreter der Aktion Kinder des Holocaust (akdh), Samuel Althof, welcher die Strafanzeige gegen Indymedia eingereicht hatte. Verschiedene Postings, die auf der Homepage der akdh dokumentiert werden, mutmaßen, Althof habe enge Verbindungen zum Staatsschutz bzw. zur israelischen Rechten und zum israelischen Geheimdienst. In diesem Zusammenhang erhielt Althof eigenen Angaben zufolge sogar Morddrohungen. Auch mit der Fepa verfahren Indymedia-SympathisantInnen nicht zimperlich. Der Zensurkübel von Indymedia Schweiz enthielt Kommentare mit dem Titel »Schlagt sie blutig« oder »Tötet die Zionistenschweine«.

Die Fronten sind verhärtet. Empört wird behauptet, dass das 1994 von den schweizerischen Stimmberechtigten angenommene Antirassismusgesetz, welches als Maßnahme gegen Rassismus, Antisemitismus und Negationismus gerade von der Linken befürwortet worden war, nun von Linken gegen GenossInnen instrumentalisiert werde. Ebenso scharf wird kritisiert, dass die Fepa mit ihrer Überflutungsaktion, mit der sie Mitte Dezember Indymedia Schweiz für einige Zeit lahm legte, dieselben Mittel benutze wie Rechtsextreme und Neonazis im Kampf gegen GenossInnen.

In den Hintergrund tritt dabei die eigentliche Frage, nämlich ob es in der Linken Antisemitismus geben könne und wie sie damit umgehen solle. Dabei liefert die erste Stellungnahme der Fepa durchaus interessantes Diskussionsmaterial. So stellt sie die These auf, die Linke sei für antisemitische Verschwörungstheorien besonders anfällig, weil sie Juden mit Macht, Finanzkapital und Spekulantentum in Verbindung brächte, also mit Erscheinungen, die von der Linken besonders bekämpft würden.

Es ist indes zu befürchten, dass auch dieses Mal einer eigentlichen Diskussion über Antisemitismus und Antizionismus in der schweizerischen Linken aus dem Weg gegangen wird. In einer ersten Stellungnahme widmen sich SympathisantInnen von Indymedia Schweiz nur am Rande dieser Frage. Immerhin haben die Indies nun eine Veranstaltung angekündigt, auf der sie sich mit der Frage »Antisemitismus in der Linken, Antisemitismus im Zusammenhang mit der Palästina-Solidarität« befassen wollen.

 




 



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