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Ist die vorliegende, bei indymedia-switzerland veröffentlichte Karikatur von Latuff antisemitisch? Eine Analyse.      english version
Die Karikatur von Latuff wird so, wie diese bei Indymedia-Switzerland veröffentlicht wurde, zur Dokumentation hier gezeigt         . ...link

Die Karikatur weckt zunächst klare Assoziationen an ein Ghetto im Zweiten Weltkrieg in Polen. Die abgebildete Figur ist augenscheinlich dem berühmten Fotografie entnommen, die einen kleinen Jungen bedroht von einem mit einem Gewehr bewaffneten SS-Mann zeigt. Kaum ein anderes Bild aus einem Ghetto hat eine derart hohe Symbolbedeutung erhalten.

Weitere Assoziationen werden geweckt: Eine seit Jahrhunderten in Polen lebende jüdische Gemeinschaft wird brutal überfallen und in ein Ghetto gezwängt aus dem einzigen Grund, weil sie jüdisch ist. Politisches Ziel dieser Ghettoisierung ist nicht ein vorderhand militärisches, sondern die umfassende Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Die Ghettos in Osteuropa sind Teil des Holocaust, sie sind die Vorzimmer der Vernichtungslager.

Der in der Sprechblase abgebildete Text des Jungen "I am Palestinian" nimmt nun das Motiv des unterdrückten jüdischen Kindes auf und wandelt es in ein generalisierendes Bild um, allerdings mit einem Wechsel. Denn nun werden die Palästinenser als ein im Ghetto lebendes Kind dargestellt, dessen Schicksal vom Unterdrücker festgelegt ist, nämlich die Vernichtung. Aber auch der Unterdrücker ist im Bild gleichzeitig mit enthalten, und zwar auch im Bild des jüdischen Jungen: Denn mit dem Satz "I am Palestinian" wird klar, dass die Ghettobewacher nicht mehr die Nazis sind, sondern die Israelis, in der Assoziation des Bildes die Juden selbst, die nun genau das gleiche tun wie die Nazis in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts. In psychologischer Sicht hiesse dies, dass Juden an einem Wiederholungszwang leiden. Sie müssen das Trauma des Ghettos selbst immer wieder nachspielen, um sich überhaupt damit beschäftigen zu können und auch nur einen Hauch einer Chance zu haben, sich davon befreien zu können. Zu diesem Zweck kommt den Juden=Israelis jeder Recht. Die "Juden" sind die "Deutschen" des Nahen Ostens, die mordenden Invasoren, die sich auch und vor allem gegen Kinder richten. Ihr einziges Ziel ist die umfassende Vernichtung des Palästinensischen Volkes.

Über die Symbolhaftigkeit des im Bild dargestellten Gegensatzes zwischen "Volk", symbolisiert durch ein Kind , und "Schwarzer Mauer" (Erschiessungsmauer in Auschwitz?) muss nichts mehr gesagt werden. Es spielt in das vorher Gesagte hinein.

Juden werden in diesem Bild nur noch in ihrer Symbolhaftigkeit wahrgenommen, der Holocaust wird damit zu einer griffigen Formel funktionalisiert, um damit anzudeuten, dass a) der Holocaust nicht ein singuläres Ereignis war und b) dass die Israelis genau das gleiche tun, also eine umfassende Genozidpolitik betreiben. Juden wird damit auch nur ein Opferstatus zugestanden, den sie erfüllen müssen. Tun sie das nicht, werden sie automatisch mit dem Stereotyp des Weltverschwörers konfrontiert, der als Unterdrücker die ganze Welt beherrschen will.

Die symbolhafte Festschreibung des Bildes Israelis gleich Nazis ist ein seit der Gründung Israels 1948 häufig gebrauchter Topos in der Arabischen Welt, der sich in den Karikaturen arabischer Zeitungen immer wieder findet, dort allerdings sehr viel offener dargestellt (Moshe Dayan trifft Hitler, der Dayan dafür lobt, dass er ein guter Schüler sei). Im vorliegenden Bild geschieht dies sehr viel subtiler, ist aber deswegen nicht weniger antisemitisch.
Das Bild des jüdischen Weltverschwörers, der sich als Opfer gibt, aber in Wirklichkeit ein Täter ist, ist ein vor allem im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebrauchtes Motiv. Je nachdem, wo die Kritiker standen, waren Juden die revolutionären Bedroher der Ordnung oder die kapitalistischen Ausbeuter. Hinter beidem stand, so die Ansicht, der Versuch, die Weltmacht an sich zu reissen.

Das Relativieren des Holocaust und die Ablehnung seiner Singularität ist ein weiteres antisemitisches Motiv, das zum einen es möglich machen soll, den höchst emotional besetzten Begriff Holocaust in populistisch-polemischer Weise auch in andern Debatten gebrauchen zu können, das zum anderen immer auch Entschuldungselemente für die deutsche Gesellschaft enthält.

Die vorliegende Karikatur missbraucht in reisserisch-polemischer Weise das Leiden des jüdischen Volkes im Holocaust, die Position der Israelis als das Böse schlechthin im Nahen Osten zu unterstützen. Dies ist keine in der Karikatur geforderte und zulässige Überspitzung einer Situation zur Verdeutlichung, sondern ein Verhindern jeden Dialogs zwischen Palästinensern und Israelis. Zwischen der stumm-mordenden Schwarzen Mauer und dem hilflosen Kind ist keine Kommunikation möglich. Einzige Rettung ist das Einreissen der Mauer, und da in der Karikatur die Mauer Israel = Judentum symbolisiert, meint dies die Vernichtung des jüdischen Volkes und des Staates Israel.

 


© Aktion Kinder des Holocaust