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                QU: Migrationszeitung 
                November 2009 
                Von Philipp Grünenfelder  
                 
                DAS INTERNET BIETET EINE PLATTFORM FÜR RASSISTISCHE UND DISKRIMINIERENDE 
                ÄUSSERUNGEN UNTERSCHIEDLICHSTER ART. VIELE DER DIFFAMIERENDEN 
                INHALTE BLEIBEN DABEI DER BREITEN ÖFFENTLICHKEIT VERBORGEN 
                UND UNGEAHNDET. DAS INTERNET-STREETWORKING PROJEKT DER BASLER 
                AKTION KINDER DES HOLOCAUST (AKdH) VERSUCHT, RECHTSEXTREME IM 
                NETZ ZUM AUSSTIEG UND ZU EINER ENTSCHULDIGUNG ZU BEWEGEN. WENN 
                NÖTIG, AUCH MIT EINER ANZEIGE. 
                 
              Unter 
                dem Deckmantel der Anonymität ist es verlockend, die Grenzen 
                des Regulären – sowohl aus moralischer, wie auch aus 
                rechtlicher Sicht – zu überschreiten. Eine Plattform 
                für ausufernde Kommunikation bietet das Internet. Rassistische 
                und diskriminierende Äusserungen scheinen im unendlichen 
                Netz sicher vor der öffentlichen Wahrnehmung zu sein und 
                erreichen trotzdem ihre Zielgruppe. Internet-Streetworking 
                heisst ein Projekt, mit dem die Basler Aktion Kinder des Holocaust 
                (AKdH) auf diese Gegebenheit reagiert und einen bestimmten aber 
                sensiblen Zugang zu Rechtsextremen im Web sucht. Mit dem Ziel, 
                die vor allem jungen Männer zur Einsicht und zum nachhaltigen 
                Umdenken zu bewegen. 
              Zwei 
                Formen von Rechtsextremismus 
                «Wir unterscheiden in unserer Arbeit zwischen symptomatischem 
                und programmatischem Rechtsextremismus», erklärt Samuel 
                Althof von der AKdH. «Ein symptomatischer Rechtsextremist 
                sucht mit provokativen, pervertierten Mitteln nach Aufmerksamkeit. 
                Da suchen wir den Kontakt. Programmatische Rechtsextreme hingegen, 
                deren Ideologie stark verankert ist, können wir nur sehr 
                selten erreichen.» Letztere stellen für Althof auch 
                keine grosse Gefahr für die Gesellschaft dar, da sie über 
                zu wenig Einfluss verfügen. «Der Alltagsrassismus ist 
                die viel grössere Herausforderung, nicht der ideologische 
                Rechtsradikalismus. Leider wird vor allem von den Medien nur den 
                Extremen Aufmerksamkeit geschenkt. Eine völlig falsche Entwicklung», 
                so Althof. Der Alarmismus in den Medien sei kontraproduktiv, weil 
                er desensibilisiert. Die Verantwortung von Diskriminierung und 
                Alltagsrassismus wird von Otto Normalverbraucher weg in eine extreme 
                Ecke geschoben. «Der ideologische Rechtsextremismus ist 
                demgegenüber ein scheinbar riesiges aber dennoch kleines 
                Problem.» 
              Die 
                Mitarbeitenden der AKdH suchen Internetseiten mit rechtsradikalen 
                Inhalten und den anonymen Kontakt zum Autor. Die Internet-Streetworker 
                schlüpfen dabei in unterschiedliche Rollen, die das Gegenüber 
                mit seinem Tun 
                konfrontieren – als Autoritätsperson, als Kumpeltyp 
                oder auch als Opfer. Das Ziel ist aber immer die reale Begegnung. 
                Das Aufheben der Anonymität der Betroffenen ist ein wichtiger 
                Schritt für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Fehlverhalten: 
                «Erst wenn wir die tatsächliche Identität des 
                Autors kennen, bieten wir an, auch unsere Identität zu lüften. 
                Mit der Bedingung, dass es zu einem realen Treffen kommt.» 
                Der im Internet gefestigte Kontakt muss in die Lebensrealität 
                zurückgeführt werden. «Denn», so Althof, 
                «eine Internetintervention ohne persönliche Begegnung 
                verfehlt ihr Ziel.» Grundsätzlich stellt der Psychiatriepfleger 
                und psychologische Berater Althof eine Gesprächsbereitschaft 
                seitens symptomatischer Rechtsextremer fest. Der Schritt in die 
                reale Begegnung ist gleichwohl nicht zu unterschätzen. Der 
                junge Mann überschreitet dabei eine Grenze und tritt seinem 
                ursprünglichen Kontrahenten gegenüber. Der stigmatisierte 
                Feind wird plötzlich real und zu einem Menschen und Gesprächspartner. 
                Durch den persönlichen Kontakt wird ein Nach- und Umdenken 
                über die eigenen rechtsextremen Wertvorstellungen angeregt. 
                «Wenn sich jemand der Auseinandersetzung nicht stellen will 
                oder rechtswidriges Verhalten vorliegt, greifen wir zudem zu einer 
                Anzeige» so Althof. «Normalerweise reicht das, um 
                einen Prozess in Gang zu setzen.» Aussteiger oder Angehörige 
                aus deren Umfeld medial zur Schau zu stellen, erachtet Althof 
                im gesamten Verlauf als ungünstig und die allermeisten wünschen 
                das auch nicht, weshalb auch die MIX darauf verzichtet, Direktbetroffene 
                zu Wort kommen zu lassen. 
              Wichtige 
                Rolle des Umfelds 
                Das direkte Umfeld des Rechtsextremen spielt im Prozess eine wichtige 
                Rolle. Eltern, Freunde wie auch Arbeitgebende werden möglichst 
                früh in die Auseinandersetzung miteinbezogen. Bei Minderjährigen 
                sowieso. Dass das für die Ausstiegsmotivation zentral ist, 
                bestätigt auch eine Studie der Basler Universität. Der 
                verantwortliche Soziologe, Professor Ueli Mäder, meint, dass 
                das Vertrauen im Umfeld ein wichtiger Baustein auf dem Weg zum 
                Ausstieg ist. «Denn», so Mäder, «bei vielen 
                Jugendlichen ist erkennbar, dass sie aus persönlicher Verunsicherung 
                Halt im Autoritären suchen.» Er stellt klar, dass Menschen, 
                die sich an Ungleichwertigkeitsvorstellungen und Gewaltakzeptanz 
                orientieren, klare Grenzen aufgezeigt werden müssen. 
                Zum Beispiel in der Konfrontation mit dem demokratisch legitimierten 
                Gesetz. Die Erfolgsaussichten sind relativ gross, gerade weil 
                die Jugendlichen nicht in eine Ecke gestellt werden, sondern ein 
                Dialog stattfindet. Die Auseinandersetzung basiert dabei auf klaren 
                Verhältnissen und macht vor repressiven Massnahmen nicht 
                halt. «Wenn die Betroffenen lernen, dass sich ihr rechtsextremes 
                Verhalten für ihre persönliche Entwicklung nicht lohnt, 
                und das Umfeld dabei ebenfalls Verantwortung übernimmt, sehen 
                die Jugendlichen ihren Fehler ein», fasst Althof zusammen. 
                «Dann wird die von uns geforderte öffentliche Entschuldigung 
                auch nicht zur leeren Worthülse». 
                 
              Siehe 
                auch:  
                 
                Extremismus Prävention 
                - Was tut die AKdH? 
                Fremdenhass und Gewalt 
                als familiäre und psychosoziale Krankheit  
                 
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