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Markus
Steudler
NZZ am Sonntag; 31.07.2005
Seit
fünf Jahren spricht die «Aktion Kinder des Holocaust»
rechtsextreme Jugendliche im Internet an und versucht sie zum
Ausstieg zu bewegen. Der Erfolg ist beachtlich - und auf eine
weitherum einzigartige Vorgehensweise zurückzuführen.
Die Basler Gruppe meldet das Treiben der Jugendlichen diskret
den Eltern, dem Lehrmeister oder der Justiz und unterstützt
sie danach beim Ausstieg.
Mit
welcher Frage sich der 17-jährige Armin* im Juli 2000 im
Forum des jüdischen Online-Magazins «haGalil.com»
in Deutschland zu Wort meldete, weiss Samuel Althof heute nicht
mehr genau. Der 49-jährige gelernte Psychiatriepfleger aus
Basel weiss nur noch, dass Armin provokativ fragte, ob eine bestimmte
Aussage als antisemitisch betrachtet werden müsse. Gegen
den Rat der Betreiber des Online-Magazins schrieb Althof dem rechtsextremen
Provokateur zurück. Und als dieser die E-Mail erwiderte,
griff Althof erneut in die Tasten, und wieder und wieder - insgesamt
über zwanzigmal. Es entstand ein Dialog, in dessen Verlauf
der unter Pseudonym schreibende Althof zwei weitere fiktive Figuren
auftreten liess. Die vier Gesprächspartner diskutierten im
Forum von Armins eigener rechtsextremer Internetsite über
die Definition von Rassismus, gewalttätige Ausländer,
Armins indischen Kollegen und das Verhältnis zu seinen Eltern.
Gleichzeitig meldete Althof den jungen Neonazi der Polizei. «Zu
Beginn hatten wir etwas Angst. Erst recht, als unsere Recherchen
ergaben, dass Armin ausgerechnet in der Region Basel wohnt»,
sagt Althof. Doch mit der Zeit bröckelte das Bild des beinharten
Skinheads.
Virtuelle
Gassenarbeit
Heute
studiert der 22-jährige Armin Wirtschaft an einer Schweizer
Universität. Er wurde wegen Verstosses gegen die Antirassismus-Strafnorm
verurteilt. Aufgrund von Althofs Intervention distanzierte er
sich vollständig von der Szene. Die zufällige Begegnung
mit Samuel Althof bedeutete für Armin einen Neuanfang.
Dasselbe
gilt für die Aktion Kinder des Holocaust (AKdH), deren Sprecher
Althof ist. Die 1991 gegründete gemeinnützige Vereinigung
von Nachkommen von Naziopfern hat sich der Extremismus-Prävention,
der Bekämpfung des Antisemitismus und der Aufklärung
verschrieben. «Der Dialog mit Armin brachte die Erkenntnis,
dass man Rechtsextreme in Symptomatische und Programmatische unterteilen
muss», sagt Althof. Fortan war klar: Ob die Chance besteht,
einen Rechtsextremen zum Ausstieg aus der Szene zu bewegen oder
nicht, lässt sich aufgrund seines Auftretens - zum Beispiel
im Internet - erkennen.
Symptomatische
Rechtsextreme, so Althofs Theorie, suchen nach Identität.
Sie können dazu animiert werden, der Szene den Rücken
zu kehren, weil ihr Auftreten nur Mittel zum Zweck ist. Oft sind
es Mitläufer, auf deren Homepages Fotos, justiziable rassistische
Sprüche und Witze voller Schreibfehler, aber keine eigenen
politischen Statements zu finden sind. «Solche Sites sind
wie Poesiealben», sagt Althof. «Wenn einer so etwas
ins Internet stellt, ist das meist ein Hilferuf.»
Wird
ein symptomatischer irgendwann zum programmatischen Rechtsradikalen,
ist ein Ausstieg indes nahezu unmöglich. Das Gedankengut
ist jetzt Lebensinhalt, wie etwa Vertreter der «Partei National
Orientierter Schweizer» zeigen. Homepages wie jene dieser
Partei kommen übersichtlicher daher, in geschliffener Sprache,
meist ohne strafbare Inhalte. Gegen programmatische Rechtsradikale
hilft nur politischer Druck - oder die Justiz.
Althof
und sein dreiköpfiges Team haben aus dieser Erkenntnis heraus
im Jahr 2001 eine neue Vorgehensweise entwickelt: das «Internet-Streetworking»,
Gassenarbeit im virtuellen Raum. Die AKdH hat den Begriff rechtlich
schützen lassen und mit dem entsprechenden Konzept seither
über 30 Rechtsextreme zum Ausstieg bewegt. Auf rund 900 Personen
wird die Szene der Schweizer Neonazis geschätzt. Die AKdH
steht gleichzeitig jeweils mit bis zu 20 von ihnen in Kontakt.
Für diese Arbeit investiert alleine Althof pro Woche 30 bis
40 Stunden. Der Bund subventioniert das Projekt - dieses Jahr
mit 80 000 Franken.
Täglich
suchen zwei Internet- Streetworker das weltweite Netz nach neuen
rechtsextremen Inhalten ab. Monitoring-Programme melden ihnen
jede Veränderung auf den Homepages von Extremisten im deutschsprachigen
Raum; rund 200 Sites behalten sie so gleichzeitig im Auge. Tritt
ein bisher unbekannter Nutzer in Erscheinung, versucht Althof
herauszufinden, ob es sich um einen Symptomatischen oder einen
Programmatischen handelt. Ist es ein symptomatischer Rechtsradikaler,
macht sich Althof auf die Suche nach der Identität des meist
unter Pseudonym auftretenden angehenden Klienten. «Das gelingt
oft, weil die Jugendlichen unbewusst Spuren hinterlassen»,
sagt Althof. Einer gab beispielsweise zu Spendenzwecken seine
Postkontonummer an, anhand deren sich die Adresse eruieren liess.
Sind
die Recherchen beendet, geht es ans Werk. «Hallo junger
Mann im 3. Lehrjahr von der www.xy-bank.ch*. Es ist besser, Du
löschst Deine Seite sehr schnell. Ich gebe Dir genau 24 Stunden
dafür. Solltest Du Deine Seite nicht löschen, könnte
dies Deine Lehrstelle kosten + Strafanzeige! Abu Adam - warnt
nur einmal!» Diese Mitteilung fand der Banklehrling und
Betreiber der Site www.sturmfront.com am 21. März 2001 um
22 Uhr 10 im elektronischen Briefkasten. Er löschte seine
Site, und im folgenden schriftlichen Dialog mit «Abu Adam»
alias Samuel Althof entpuppte sich das angebliche Mitglied der
berüchtigten Hammerskins als hilfloser, verunsicherter Jugendlicher.
«Es
ist wichtig, eine Situation zu schaffen, in der sich der Ausstieg
für den Jugendlichen lohnt», sagt Althof. Oft informiert
die AKdH vor dem ersten Kontakt die Eltern - bei Minderjährigen
ohnehin -, den Lehrmeister oder die Justiz. Der so entstehende
Druck wirkt unterstützend. Im Fall des Informatikerlehrlings
Andreas*, in dessen Zimmer vor wenigen Monaten noch Fahnen mit
Reichsadler und Hakenkreuz hingen, half ein Artikel des «Sonntags-Blicks»
vom 16. Januar 2005, in dem der 17-jährige als Lehrling der
Nationalbank geoutet wurde. «Es war enorm wichtig, dass
die Nationalbank in die Präventionsarbeit einstieg und ihm
die Grenzen aufzeigte, ohne ihn zu entlassen», sagt Althof.
Auch die Mithilfe der Eltern sei wichtig.
Treffen
im Bahnhof
Erst
sah Andreas den anonymen Internet-Streetworker als Feind. «Dann
begriff er, dass er sich irrt, weil ich den Eltern die Hintergründe
seiner Situation verständlich machte», sagt Althof.
Als der junge Neonazi seine Homepage vom Internet nahm, willigte
Althof in ein Treffen im Bahnhof Zürich ein. «Wir redeten
über alles Mögliche, nur nicht über Rechtsextremismus»,
sagt Althof. Nach dem Gespräch glaubte er die Ursache für
Andreas' Abdriften in die braune Szene zu kennen: Ein Vater, der
keine Zeit für ihn hatte, und eine Mutter, die ständig
alles kontrollieren wollte, hatten beim Jugendlichen den Wunsch
nach Abschottung ausgelöst; ein oft beobachtetes Muster.
«Ich
bin immer no rechtspolitisierend. Sprich, au hüt wür
ich nüt mit ere Brasilianerin aafange», schrieb Andreas
vor wenigen Wochen in einer Erklärung im Internet, in der
er auf seine Zeit als Neonazi zurückblickt. «Aber ich
han denn mit em Sämi [Althof] sehr viel gredet, und konstruktivi
Lösige gsuecht, und mir hend das super anebracht, und ich
han mich vom einte uf de anderi Tag vo all dene Lüüt
trennt, wo i dere Szene sind.» Kontaktabbruch sei eines
der grundlegenden Zeichen eines gelungenen Ausstiegs, sagt Althof
dazu. «Von entscheidender Tragweite sind aber auch Gefühle
von Trauer und Scham zu den vergangenen Einstellungen und Handlungen.»
Zu
ähnlichen Ergebnissen kommt eine Langzeitstudie mit 45 Aussteigern
oder ausstiegswilligen Rechtsextremen der Universität Basel
im Rahmen des nationalen Forschungsprogramms 40+. «Unsere
Studie führt zu einem ernüchternden Resultat»,
sagt indes der Erziehungswissenschafter und Ko-Leiter Wassilis
Kassis. «Viele rechtsextreme Jugendliche steigen aus der
Szene aus, ohne sich zugleich auch vom entsprechenden Gedankengut
zu distanzieren.» Als aktives Mitglied der Szene würden
sie mit Accessoires wie Bomberjacken oder Springerstiefeln auflaufen,
zum Beispiel im Lehrbetrieb. Als unscheinbarer Sympathisant hätten
sie weniger Probleme.
Das
Internet-Streetworking ist als Kurzzeit-Intervention angelegt:
Es soll einem Jugendlichen den Anstoss für eine weitergehende
Auseinandersetzung mit den Problemen - womöglich mit professioneller
Hilfe - geben. Der Erfolg des Projekts ist denn auch nicht genau
bezifferbar. Die Arbeit stützt sich heute mehr denn je auf
Althofs Person. «Das Treffen mit einem Juden hat für
einen Rechtsextremen eine besondere Bedeutung», sagt Samuel
Althof. Der Rechtsextreme schreite dabei über seine eigenen
Wertvorstellungen hinaus.
Beschimpfungen
im Internet und Virenattacken auf die eigene Homepage nimmt Althof
in Kauf. «Jude, hau ab nach Israel», stand einmal
auf einem mit Kot verschmierten Zettel, der an seine Praxis für
psychologische Beratung geschickt wurde. Seiner Motivation tut
das keinen Abbruch. «Ich weiss, was Ausgrenzung bedeutet»,
erklärt er. Seine Mutter floh 1933 vor den Nazis aus Deutschland;
zwei Schwestern seines Grossvaters wurden in Auschwitz vergast.
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Namen von der Redaktion geändert
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