Neonazis obenauf
QU: Stern, 31. Januer 2002

Der Mann mit dem grauen Vollbart und der linksextremistischen Vergangenheit sitzt entspannt auf dem roten Teppich seines Einfamilienhauses, und seine Mimik schwankt zwischen Grinsen und Schmollen. Im Internet feiern seine braunen Kameraden schon die "Blamage pur für das Regime" - aber das ist ihm noch zu früh. In der Parteizentrale gehen Glückwünsche aus der ganzen Welt ein, und alle wollen ihn interviewen - "Spiegel", "Focus", Tageszeitungen -, aber so richtig freuen kann sich Horst Mahler, Rechtsanwalt und Vorzeige-Intellektueller der NPD, nicht. Man hat ihm den Auftritt genommen. In Karlsruhe. Vor dem Bundesverfassungsgericht. Vor einem Millionen-Publikum. Das passt ihm nicht, dem eitlen, kahlköpfigen Mann, der als RAF-Terrorist einst von den Rechtsanwälten Otto Schily und Gerhard Schröder verteidigt wurde und der heute wie kaum ein zweiter den Staat von rechtsaußen attackiert.

Die NPD hat die Regierung in der Hand

Mahler geht in den Wintergarten, holt einen Berg Akten hervor und sagt, dass er das Verbotsverfahren gegen seine eigene Partei unbedingt will. Er will Schily in Karlsruhe vernichtend schlagen. Er will einen weiteren entscheidenden V-Mann vor dem hohen Gericht enttarnen, jemand, der sogar an einem rechtsextremistischen Anschlag beteiligt gewesen sein soll. Das mag nur ein Bluff des gerissenen Anwalts sein, doch genau dies dokumentiert die eigentliche Dramatik der Situation: Die NPD hat die Regierung in der Hand. Präsentiert sie nach den Enttarnungen der vergangenen Woche tatsächlich weitere hochkarätige V-Männer, auf die sich der Verbotsantrag gegen die Partei stützt, so ist das Verfahren und wohl auch Schröders wichtigster Mann im Wahlkampf nicht mehr zu halten. Der Staat macht sich zum Gespött einer verfassungsfeindlichen, aber nicht gerade bedeutenden und schon gar nicht staatsgefährdenden Partei, die nun auch noch behauptet, erst der Geheimdienst habe mit seinen V-Männern die Radikalisierung und den Antisemitismus der NPD betrieben.

Mahler lächelt. "Ich bin kein Antisemit", sagt er. Auf dem Tisch liegt ein Buch mit dem Titel "Die Irren des Zion", und in den Akten, die vor ihm liegen, finden sich Dutzende seiner antisemitischen Äußerungen, etwa über den "Krieg der jüdischen Organisationen gegen das deutsche Volk" - Mahler aber sagt: "Ich bin kein Antisemit." Auf Parteiveranstaltungen schwadroniert er über die "Endlösung der Judenfrage", reist als Kampfredner für ein "neues Deutsches Reich" von Demonstration zu Demonstration und rühmt sich, bei Geheimtreffen in Südspanien Kontakte zu den letzten noch lebenden Mitstreitern Adolf Hitlers zu knüpfen - Mahler aber sagt: "Ich bin nicht rechts." Im Deutschen Kolleg, einem rechtsextremen Think-Tank, erklärt er die Anschläge vom 11. September für "rechtens" und bezeichnet die NPD-Verbotskampagne als einen "letzten verzweifelten Versuch, den Vormarsch des jungen Deutschland zu stoppen und unser Volk in einen Bürgerkrieg zu stürzen." Mahler aber sagt: "Ich bin gegen Gewalt." Er grinst.

Allzweckwaffe der NPD

So siegessicher wie Mahler, die Allzweckwaffe der NPD, geben sich momentan viele in der rechten Szene, und die Funktionäre bekennen offen: "Einen größeren Gefallen hätte uns der Staat nicht tun können." Die NPD war jahrzehnte- lang zerstritten, konzeptlos und führungsschwach. Bei Wahlen erreichte sie zuletzt selbst in ihren Hochburgen Sachsen und Hessen um ein Prozent, und intern zer-fleischten sich Altfunktionäre und Jungnazis bis an den Rand der Selbstauflösung. Sogar Mahler stellte im September 2001 in einer Erklärung des Deutschen Kollegs die Frage, "ob das nationale Lager überhaupt noch eine Partei nötig hat", ob nicht alle nationalistischen Parteien seit 1945 "politkriminelle Vereinigungen" seien.

Dank staatlicher Unterstützung ist die NPD nun, sieben Monate vor der Bundestagswahl, wieder obenauf. "Das ist das Schlimmste was uns hätte passieren können", gibt der Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner zu. "Wir bekommen es jetzt mit einer selbstbewussten, aggressiven Szene zu tun."

Die ersten Anzeichen dafür gibt es schon: So kündigte der NPD-Landesverband Rheinland-Pfalz an, ein Jugendzentrum für eine verbesserte Anbindung des Nachwuchses erstehen zu wollen. Der Freundeskreis des führende neonatinonalsozialistischen NPD-Liedermachers Frank Rennicke rief - einmalig in der Parteigeschichte - zu einer Demonstration vor dem Haus eines ihm verhassten Staatsanwaltes auf. Geheimdienstchefs wie der niedersächsische VS-Präsident Rüdiger Hesse berichten von "Jubel" und "Aufbruchstimmung" in der rechten Szene - aber auch von einer gewissen Unsicherheit und Paranoia: Wenn nämlich die Führungskader der NPD abends beim Bier zusammensitzen, beginnt in letzter Zeit ein eigenartiges Ratespiel: Wer-ist-der-V-Mann? heißt es. Einer der Männer spricht einen Verdacht aus, die anderen steigen ein, bis aus dem Spiel irgendwann Ernst wird und jeder jeden beschuldigt, ein Spitzel des Geheimdienstes zu sein. Spät in der Nacht dann, wenn die Nationalisten auseinander gehen, sind sie, wie ein Funktionär berichtet, entweder heillos zerstritten oder flüchten sich in Galgenhumor: "Bei uns kommt der Verfassungsschutz locker auf eine Zweidrittelmehrheit."

V-Männer als Strafttäter

Die Zahl der Top-Funktionäre in der NPD, die gleichzeitig für den Verfassungsschutz arbeiten, ist sehr viel höher als bisher bekannt. Über zehn Fälle sind inzwischen aktenkundig, in denen die V-Männer nicht nur - wie üblich und gefordert - als aufklärende Spitzel fungierten, sondern als Leitwölfe der Partei, als Verfassungsfeinde, Volksverhetzer oder gar Straftäter. Darunter sind:

- Landeschefs wie der am Freitag enttarnte Udo Holtmann, der eng mit dem Führer der rechtsextremistischern Terrorgruppe Europäische Befreiungsfront kooperierte;

- Militante Neonazis wie Michael Grube, alias "Martin", der sich an dem Brandanschlag auf eine Pizzeria in Grevesmühlen beteiligte;

- Antisemiten wie NPD-Gründungsmitglied Wolfgang Frenz ("Auschwitz ist die Machtergreifung durch das vernetzte Judentums"), dessen Enttarnung die Pannenserie im Innenministerium am Dienstag der vergangenen Woche einleitete;

- Führungskader wie der Neonazi Tino Brandt, der mit seinem "staatlichen" Ho-norar (bis zu 100000 Euro) die rechte Szene finanzierte;

- Komplette Führungsmannschaften wie in Mecklenburg-Vorpommern, so dass nahezu die gesamte Parteiarbeit in den Händen von V-Männern lag.

Bizarre Form der Arbeitsbeschaffung

Welche grotesken Züge die Besetzung der NPD-Spitze durch V-Leute annehmen kann, zeigt sich im Fall Frenz. So stützte sich der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz noch 1996 in seiner Beurteilung der antisemitischen NPD weiten Teils auf die Äußerungen des eigenen Mannes - Wolfgang Frenz. Der Verfassungsschutzmann also diente dem Verfassungsschutz als Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit - eine besonders bizarre Form der Arbeitsbeschaffung.

Dass noch weitere V-Männer in den Verbotsanträgen auftauchen werden, gilt unter Geheimdienstchefs als sicher. Zitieren

jedoch lässt sich in diesen Tagen niemand. Auch der NPD war hinlänglich bekannt, dass Frenz und Holtmann und etwa hundert andere Spitzel in der NPD wirken, und so erarbeiteten Mahler und Parteiführer Voigt vor gut einem Jahr ihre fragwürdige, aber, wie man heute weiß, höchst wirkungsvolle Strategie. Sie suchten systematisch nach den Maulwürfen in der eigenen Partei, um diese dem Bundesverfassungsgericht als Agents provocateurs des Staates zu präsentieren.

Amnestie und Ausstiegsprämien

Wie aus einem internen Papier hervorgeht, bot man den Spitzeln eine Amnestie an, lockte sie mit Ausstiegsprämien und stellte einen Katalog von elf Punkten zusammen, anhand derer V-Männer zu erkennen seien. Unter anderem: "Unklare berufliche Hintergründe. Fehlende Strafverfolgung oder überraschend eingestellte Verfahren. Großer Reiseaufwand bei sonst begrenztem finanziellen Spielraum. Türöffner-Rolle für Politkriminelle".

Ins Internet stellte man Anleitungen zum Umgang mit V-Leuten ("Droht ihnen mit Strafanzeigen wegen Belästigung, wenn sie sich nicht verpissen wollen") und erzielte damit die gewünschte Wirkung: Eine "Verunsicherung der Szene und eine Erschwerung unserer Arbeit", wie Niedersachsens Verfassungsschutzchef Hesse heute feststellt.

Der ganze Verbotsantrag gegen die NPD hat bisher nur einer Seite genützt: der NPD selbst. Während Verfassungsrechtler und Parteienforscher seit zwei Jahren die Vor- und Nachteile des Verbots abwägen, während Stoiber sich dafür ausspricht und Koch dagegen, Schröder dafür und Westerwelle dagegen, Schily einst dagegen und jetzt dafür, hat sich die NPD in aller Ruhe eine Strategie zurechtgelegt. Nach außen gibt sich die Parteiführung (mit Ausnahme Mahlers) moderat, um die Karlsruher Richter von ihrer Harmlosigkeit zu überzeugen.

Sie setzt Parteidemonstrationen aus und schließt radikale Neonazis wie Steffen Hupka noch im Dezember 2001 aus der Partei aus. Auf Demonstrationen überdecken die Kader der Partei ihre tätowierten Hakenkreuze mit Pflastern, und die Chefideologen halten sich weitgehend an die Linie, wie sie Jürgen Schwab, Leiter des NPD-Arbeitskreises "Volk und Staat" darlegt: "Stand in meinem ursprünglichen Papier: Das System muss ersetzt werden, so wurde jetzt daraus "Das System muss reformiert bzw. verbessert werden."

Solidarisierung im rechten Lager

Parallel zum "Schmusekurs" und unter dem Druck des nahenden Verbotes hat die NPD ihre Kontakte zu anderen Organisationen - zunehmend auch ins Ausland - verstärkt, ihr Netzwerk verdichtet und erstmals eine Solidarisierung im rechten Lager erwirkt.

- So fungiert Rolf Kosiek, zuvor Chefideologe der NPD und ehemals Abgeordneter seiner Partei im baden-württembergischen Landtag, als Vorsitzender der Gesellschaft für Freie Publizistik, der größten rechtsextremen kulturpolitischen Vereinigung Deutschlands;

- So ist Deutschlands bekanntester Neonazi-Skin, Christian Hehl, NPD-Landesvorstandsmitglied in Rheinland-Pfalz, gleichzeitig auch prominentes Mitglied in der HNG (Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene), dem mitgliederstärksten Neonazi-Zusammenschluss der Bundesrepublik, wo auch andere Parteiführer wie der Vorzeige-Intellektuelle Jürgen Schwab zunehmend Einfluss gewinnen, wie aus einem internen Kongress-Protokoll hervorgeht;

- In leitender Funktion bei der rassistischen "Artgemeinschaft-Germanische Glaubensgemeinschaft wesensmäßiger Lebensgestaltung e. V." ist laut einer internen Liste Edda Schmidt, Vorstandsmitglied des Landesverbandes der baden-württembergischen NPD und Leiterin des Amtes für "Volks- und Brauchtum";

- Geschäftsführender Vorsitzender der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" ist Jürgen Schützinger, vormals Landesvorsitzender der baden-württembergischen NPD;

- Rechtsbeistand der revisionistischen "Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur e.V. zur Förderung deutschen Lebens" ist laut der NS-apologetischen Zeitschrift "Huttenbriefe" der Vorsitzende des NPD-Bundesschiedgerichtes Wolf-ram Nahrath, letzter Führer der Wiking-Jugend vor ihrem Verbot im Jahr 1994.

Aufruf zum "Krieg mit dem System"

Ein Teil der 6500 Parteimitglieder, so befürchten Verfassungsschützer, könnte sich zudem in freien Kameradschaften organisieren. Ähnliches vollzog sich Anfang der 90er Jahre im Zuge der Verbotswelle neo-nationalsozialistischer Organisationen wie der Nationalistischen Front (1992), des Nationalen Blocks (1993) oder der Wiking-Jugend.

Freie Kameradschaften verfügen über keine vereinsähnlichen Strukturen und zeichnen sich laut Verfassungsschutz durch eine "gesteigerte Gewaltbereitschaft bis hin zu terroristischen Ansätzen aus". Bereits im Dezember 2000 warnte das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass freie Kameradschaften Kontakte zur NPD und deren Jugendorganisation JN unterhalten und zum "Krieg mit dem System" aufrufen.

Auch die Kontakte ins Ausland hat die NPD angesichts des drohenden Verbots ausgebaut. Nach Geheimdienstinformationen hielten sich im April 2001 die NPD-Bundesvorstandsmitglieder Distler, Pühse und Apfel zu Beratungen im Hauptquartier der National Alliance in West Virginia auf. Die NA ist die bedeutendste und mitgliederstärkste Neonazi-Organisation der USA und wird seit 1974 von William Pierce angeführt. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Bundes heißt es, Pierce versuche seinen Einfluss auf die europäische rechtsextremistische Szene auszudehnen und "nahm mehrfach an Kongressen der NPD und JN als Redner teil". 1978 veröffentlichte Pierce unter dem Pseudonym Andrew MacDonald das Buch "The Turner Diaries", in dem ein entführtes Flugzeug auf das Pentagon stürzt.

Rechtsextremer Islamist als Bindeglied

Das Innenministerium Österreichs warnt schon seit längerem vor einem Zusammenschluss deutscher und österreichischer Rechtsextremisten und bezieht sich dabei vor allem auf die Aktivitäten der NPD. Bindeglied in die Schweiz ist der rechtsextreme Islamist Achmed Huber. Huber war mehrfach Gast bei Veranstaltungen der NPD und feierte die Terrorakte mit "jungen Patrioten" in einer Kneipe. Im Zuge möglicher Finanztransaktionen bin Ladens ist Huber nun ins Visier der Geheimdienste geraten. Beste Kontakte unterhält die NPD auch zur PNOS, ihr Schweizer Pendant.

Die NPD-Jugendorganisation JN baut zunehmend ihre Verbindungen zur "Nationalen Jugend Schwedens" aus. Mitglieder der schwedischen NJ ermordeten am 12. 10. 1999 im Stockholmer Vorort Sätra den Gewerkschafter Björn Söderberg. Besonders enge Kontakte pflegen NPD und JN auch zur rechtsextremen Forza Nuova in Italien, deren Gründungsvater Roberto Fiore der italienischen Terrororganisation "Terza Posizione" entstammt und bei der NPD häufig als Ehrengast referiert. In Italien wird seit Anfang 2001 ebenfalls über ein Verbot der Forza Nuova nachgedacht, weil Mitglieder der Partei an einem Bombenanschlag auf die Redaktion der Tageszeitung Il Manifesto beteiligt gewesen sein sollen.

Auch beim lukrativen Handel mit NS-Devotionalien will die NPD angesichts des drohenden Verbots neue Strukturen schaffen. Der parteieigene Verlag, die "Deutsche Stimme" - längst die größte Propaganda-Produktionsstätte des rechten Lagers, die von SS-Büchern über NS-Parfüm bis zu Runen alles vertreibt, würde, rechtzeitig vor einer Beschlagnahmung, die Aktivitäten auslagern.

- NPD-Vorstandsmitglied Jens Pühse besitzt einen CD-Versand und betreibt in Riesa einen Szeneladen;

- Der Aufruhr-Versand in Gera wird von dem NPD-Landesvorstandsmitglied Jörg Krautheim geleitet und vertreibt sowohl rechte Musik (Oithanasie, Kampfzone) als auch NS-Bücher;

- Inhaber des CD-Vertriebs Moin Moin Records in Leer ist Cord Pleis, laut Polizei stellvertretender niedersächsischer Landesvorsitzender der NPD, bei dem kürzlich Tonträger mit rechtsextremistischen Liedtexten beschlagnahmt wurden.

Nur symbolischer Wert

Ein Verbot der NPD, das die Politik nach den Pannen der vergangenen Woche noch beharrlicher fordert als zuvor, hätte - darin sind sich inzwischen auch die meisten Gutachter einig - primär symbolischen Wert. Was auf die Partei folgt, könnte wesentlich militanter und nur noch schwer kontrollierbar sein. Das geringste Interesse am Verbot der NPD und einer gleichzeitigen Aufdeckung geheimdienstlicher Methoden hat daher der Verfassungsschutz selbst mit seinen 100 V-Männern in der Partei. Frage an Horst Mahler: "Sind Sie womöglich auch einer?" Mahler grinst: "Und Sie glauben, das würde ich Ihnen sagen?"

Jan Christoph Wiechmann / Mitarbeit: Anton Maegerle


zurück

© Aktion Kinder des Holocaust