akdh 19.01.2003: In unserer Arbeit mit extremistischen Jugendlichen
konnten wir Bereiche beobachten, in welchen sich Extremismus von
symptomatischem zu programmatischem entwickelt: Da
wo zum Durchsetzen von gesellschaftlichen, politischen oder sozialen
Ideen Entwürfe entstehen, gewalttätige Mittel dafür
einzusetzen, liegt ein Keim zu programmatischer politischer Gewalt.
Dies wiederum kann zur Grundlage für Formen von Terrorismus
werden.
Aus Sorge um diese möglichen Zusammenhänge und um eine
diesbezügliche Debatte anzuregen, befragte die akdh den Experten
für internationalen Terrorismus und akdh-Partner P.N*.
akdh:
Wie schätzen Sie die Gefahr eines Terrorangriffs am WEF 2003
ein?
P.N.
Ich glaube nicht dass die Schweiz zur Zeit als Bühne eines
internationalen Terrorangriffs in Frage kommt. Die Schweiz hat
im Netzwerk des internationalen Terrorismus wie auch der organisierten
Kriminalität bis auf weiteres keine Priorität als Schauplatz
destruktiver Gewalt.
Vielmehr werden die mangelhaften und zum Teil nicht vorhandenen
Möglichkeiten einer
professionellen Abwehr von Terrorismus und organisierter Kriminalität
in der Schweiz bewusst durch verschiedene Organisationen ausgenützt.
Ein Anschlag in der Schweiz würde die momentane Bewegungs-
und Handlungsfreiheit international organisierter Gruppierungen
massiv beeinflussen.
Der Trend im internationalen Terrorismus zeigt aber auch, dass
vermehrt lose Gruppierungen mit keiner genau definierten Struktur
und Führung und zeitlich begrenzt auftretende ad hoc Zellen
zu Terrorangriffen fähig sind.
Die Gefahr eines Angriffs aus diesem Umfeld sollte daher nie unterschätzt
werden.
akdh:
Bedrohen Globalisierungsgegner das WEF?
P.N.
Selbstverständlich können gewaltbereite Globalisierungsgegner
die Sicherheit der WEF-Teilnehmer bedrohen. Es braucht hier aber
eine differenzierte Betrachtungsweise.
In Davos kommt es zu einer Überlappung verschiedenster Sicherheitsorganisationen.
Polizisten aus der ganzen Schweiz, Armeeangehörige, ausländische
Sicherheitsdienste und private Sicherheitsanbieter operieren auf
kleinstem Raum. Diese kurzfristig zustandesgekommene Partnerschaft
verläuft unter geordneten Bedingungen meistens ohne Zwischenfälle.
Anders verhält es sich in Stresssituationen. Jede dieser
Organisationen verfügt über zum Teil unbewusst automatisierte
"rules of engagement".
In solchen Situation kann provozierende Gewaltbereitschaft eine
explosive Mischung unberechenbarer Handlungen nach sich ziehen.
Speziell im Umfeld der Ereignisse nach dem 11.September und der
damit zusammenhängenden erhöhten Sensibilität müssen
die verschiedenen Akteure konsequent getrennt werden.
akdh:
Welche Merkmale hat eine wirksame Terrorismusbekämpfung?
P.N.
Eine erfolgreiche Terrorismusbekämpfung beinhaltet Aktivitäten
auf verschiedenen Ebenen durch interdisziplinär zusammenarbeitende
Behörden und Organisationen.
Diese multidimensionale Kooperation stösst in der Schweiz
mit ihrer föderalistischen Grundstruktur schnell einmal an
ihre Grenzen.
Erfolgreiche Terrorismusbekämpfung ist abhängig vom
politischen Willen einer Nation die erforderlichen Instrumente
zur Verfügung zu stellen und dem internationalen Standard
anzugleichen. Sie beinhalten Organisationen die sich mit der Informationsbeschaffung
und Auswertung bis hin zur operativen Umsetzung befassen. International
betrachtet sind die Bemühungen der Schweiz diesbezüglich
als minimal einzustufen.
Ein nationales Netzwerk kann nur dann international eingebunden
werden, wenn alle
Beteiligten kompatible Berührungsebenen schaffen.
Selbstverständlich hat auch die Schweiz Kontakte zur internationalen
Gemeinschaft in diesem Bereich, aber ihre Akzeptanz ist realistisch
bewertet eher klein.
akdh:
Gibt es zwischen RechtsextremistInnen und LinksextremistInnen
Unterschiede in der Anwendung von Gewalt?
P.N.
Grundsätzlich kann eine Zunahme der Gewaltbereitschaft erkannt
werden. Ob sich diese Bereitschaft schlussendlich auch eskalierend
entlädt ist wiederum von verschiedenen Faktoren abhängig.
Um politische Aussagen mit einem Schlag ins Bewusstsein unserer
Konsumgesellschaft zu platzieren wird von verschiedenen Seiten
auf alle möglichen Formen von Gewalt zurückgegriffen.
Die Medien übernehmen dabei eine äusserst wichtige Funktion.
Die gewaltbereiten linksextremen Organisationen in der Schweiz
verstehen es ausgezeichnet die Medien in ihre Strategie einzubinden.
Der Einsatz des Staates zum Schutz der Bevölkerung kann so
medienwirksam gesteuert werden. Das Provozieren einer Überreaktion
von Seiten der Behörden wird als Strategie bewusst eingesetzt.
Fernsehbilder generieren Gefühle die meistens aus dem Bauch
heraus gesteuert werden. So gesehen bewirkt der Einsatz von Wasserwerfern
und Tränengas genau das Bild vom übermächtigen,
unverhältnismässig agierenden Staat, welches man in
der politischen Argumentation nicht erzeugen kann.
Die
Diskussion um rechtsextreme Gewalt hat in unserer Gesellschaft
eine gewisse Legitimation erfahren. Die linksextreme Gewalt hingegen
wird noch wenig thematisiert.
Rechtsextreme Gewalt wirk oft "plumper" als die gut
koordinierten Aktionen linksextremer Organisationen.
Links- wie rechtsextreme Organisationen haben oftmals einen mehr
oder weniger professionellen Internet-Auftritt und sind international
gut vernetzt.
Diese internationalen Kontakte bergen aber auch ein unberechenbares
Potential, indem die vorhandene, latente Gewaltbereitschaft gepaart
mit der lokalen Logistik und der Einbindung in die Gesellschaft
durch gezielte Manipulation ausländischer, professioneller
Gruppierungen brutal ausgenützt werden könnte.
Der internationale Kampf gegen den Terrorismus hat schon jetzt
einige interessante Querverbindungen mit lokalen oder nationalen
Organisationen aufgezeigt. Auch hier ist festzustellen das funktionierende,
lokale Netzwerke durch internationale Organisationen kurzfristig
missbraucht werden können.
Nicht auszudenken was geschehen könnte, wenn fanatische,
gewaltbereite Jugendliche die entsprechenden Werkzeuge in die
Hände bekämen.
akdh:
Was macht der Staat ? Gibt es rechtsfreie Räume?
P.N. Die Bekämpfung von links- wie rechtsextremer Gewalt
ist abhängig von einer national koordinierten Strategie.
Wenn sie wissen wollen wie die Mafia funktioniert, müssen
sie mit der Mafia eine Beziehung eingehen. Um gegen extremistische
Organisationen erfolgreich vorzugehen braucht es proaktive Handlungsstrategien.
Die Behörden dürfen nicht nur im Rahmen eines "Feuerwehreinsatzes"
den Schaden zu begrenzen suchen, sondern müssen durch präventive
Bemühungen Straftaten im Vorfeld zu verhindern suchen.
Vielleicht entspricht eine solche Strategie nicht dem Harmoniebedürfnis
des durchschnittlichen Schweizer Bürgers. Früher oder
später werden wir aber gezwungen werden, klare Positionen
zu beziehen und eine gewisse Naivität im Umgang mit gewaltbereiten
Gruppierungen abzulegen.
akdh:
Warum wird rechtsextreme und linksextreme Gewalt unterschiedlich
bewertet?
P.N.
Die unterschiedliche Bewertung von Gewaltanwendung könnte
meines Erachtens auf das Bedürfnis zur Hilfe für den
Schwächeren zurückgeführt werden.
Noch einmal, unsere moderne Gesellschaft ist einer immer grösseren
Informationsflut ausgesetzt. Häufig werden Meinungen kurzfristig
und unter dem Eindruck von Medienschlagzeilen gemacht. Es fehlt
oftmals an der vertieften Auseinandersetzung mit der Problematik
und so werden Opfer zu Tätern und umgekehrt.
Links- und rechtsextreme Gewalt missbrauchen fast immer eine politische
Diskussion, wie zum Beispiel die Globalisierung oder die Ausländerdiskussion
um in die Rolle des Opfers zu schlüpfen und so eine gewisse
Legitimattisierung der Gewalt zu erzeugen.
Die so erzielte subjektive Verknüpfung mit dem individuellen
Empfinden des Einzelnen macht es einfacher rechtsextreme Gewalt
mit der Ausländerproblematik zu assoziieren und einen persönlichen
Bezug zu finden. Rechtsextreme Gewalt ist dadurch leicht eingrenzbar
und positioniert sich deutlich ausserhalb jeglicher gesellschaftlicher
Legitimation.
Linksextreme Gewalteskalationen wachsen auf dem Boden gesellschaftspolitischer
Anliegen.
Es erfolgt in den meisten Fällen keine klare Abgrenzung und
die verschiedenen Gruppierungen nutzen die Anonymität der
Masse um aus ihr heraus zu agieren und um
später wieder mit ihr zu verschmelzen und so Schutz zu geniessen.
Die heterogen zusammengesetzte Masse der politischen Globalisierungsgegner
bildet hierzu eine ideale Plattform. Oftmals wird in diesem Umfeld
eine naive Toleranz gegenüber der Gewaltanwendung entwickelt.
Sie wird als letztes Mittel im Kampf gegenüber dem übermächtigen
Establishment akzeptiert und eine klare Distanzierung wird oft
als Verrat an der Sache angesehen.
*Name
der akdh bekannt.
Literaturhinweis:
Terrorismus. Der
unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt. Bruce
Hoffman. 2001
Terror im System. Der 11. September und die Folgen. Dirk Baecker
/ Peter Krieg / Fritz B. Simon. 2002
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