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Steiner
mutiert zum Freund der Juden
QU: TAZ, 21. Februar 2001
Die Waldörfler haben einen "Gutachter" gefunden,
der Rudolf Steiner vom Vorwurf des Antisemitismus weißwäscht
MÜNCHEN taz Die Waldorf-Bewegung versucht verzweifelt, ihren
Spiritus Rector und Begründer der Anthroposophie, Rudolf
Steiner, vom Vorwurf des Antisemitismus reinzuwaschen. Steiner
soll ein "aktiver Gegner des Antisemitismus" gewesen
sein, behauptet der Bund der Freien Waldorfschulen - gestützt
auf eine neue "wissenschaftliche Studie" von Lorenzo
Ravagli. Der Münchner Autor ist allerdings alles andere als
ein neutraler Gutachter. Ravagli ist Anthroposoph und gibt das
"Jahrbuch für anthroposophische Kritik" heraus.
Das
ARD-Magazin "Report" hatte vergangenes Jahr Hefte von
Waldorfschülern präsentiert, die zeigen, wie Steiners
Rassenlehre in die Pädagogik einfließt. In den Notizen
aus dem Geschichtsunterricht ist vom sagenhaften Atlantis die
Rede und von Ariern, die den untergehenden Kontinent verließen,
um Hochkulturen zu gründen.
In
anderen Schulheften wird vermittelt, dass Russen unbeherrscht
und Franzosen oberflächlich sind; die so genannten Buschmänner
hätten Hohlkreuze und starke Hinterteile. Die Bundesprüfstelle
für jugendgefährdende Schriften nahm die Berichterstattung
über rassistische Tendenzen in der Steinerlehre zum Anlass,
das Buch "Atlantis und die Rätsel der Eiszeitkunst"
des Anthroposophen Ernst Uehli auf Indizierung zu prüfen.
Uehli schwadroniert in dem Werk über das "Genie der
arischen Rasse" und über die Indianer als "Saturnrasse",
die "an Vergreisung zugrunde geht", und er behauptete,
"die schwarze Pigmentierung der Neger hat ihre Ursache in
einem zu schwachen Ich-Gefühl". Das Buch stand auf einer
Liste von Werken, die Waldorflehrern zur Vorbereitung des Unterrichts
empfohlen wird. Herausgeber der Broschüre ist die Pädagogische
Forschungsstelle des Waldorfschulbundes.
Gestützt
auf Ravagli, weist der Bund der Freien Waldorfschulen die "gegenstandslosen
Vorwürfe" zurück. Steiner, der dem Judentum die
Existenzberechtigung absprach und gern über das "semitische
Zersetzungsferment" jammerte, soll nun sogar ein Philosemit
gewesen sein. Dieses Bild zeichnet Ravagli und bezieht sich dabei
auf einen Brief, den Steiner als 20-Jähriger verfasste, und
auf einige Artikel - allesamt geschrieben in den Jahren 1897 bis
1901, als Steiner seine Anthroposophie noch nicht entworfen hatte.
In
dieser Zeit schrieb Steiner spöttische Kommentare gegen die
zeitgenössische Esoterik und lehrte an der Arbeiter-Bildungsschule
der SPD. Unter dem Einfluss eines Freundes, des jüdischen
Dichters Ludwig Jacobowski, engagierte er sich tatsächlich
auch in einem Verein zur Abwehr des Antisemitismus. Allerdings
mit merkwürdigen Argumenten: Steiner meinte, die Zionisten
trügen die Hauptschuld am Antisemitismus. Sein Freund Jacobowski,
der im Dezember 1900 starb, wollte sogar einen Unterschied zwischen
"ehrenhaften" und "undeutschen" Antisemiten
erkennen.
Dann
vollzog Steiner seine große Wende zur Esoterik. Im September
1900 hielt er seinen ersten Vortrag vor Okkultisten in Berlin,
den Theosophen. 1902 avancierte Steiner zum Generalsekretär
der deutschen Sektion der Theosophen. In den folgenden Jahren
mixte er Esoterik mit Nietzsches elitärem Konzept des Übermenschen
sowie antisemitischen und germanophilen, völkischen Ideen.
Das Ergebnis war jene Lehre von den so genannten Wurzelrassen,
ihren spirituellen Missionen und erleuchteten Führern, die
für die Anthroposophie charakteristisch ist.
Egoistisch
und wurzellos seien die Juden, meinte Rudolf Steiner fortan, der
in den 20er-Jahren die Waldorfschule gründete und heute noch
der Ideengeber für die 180 deutschen Waldorfschulen ist.
Er kombinierte traditionelle christliche Stereotype mit dem anthroposophisch-theosophischen
Evolutionsmodell. Demnach sind die Juden Gottesmörder, leugnen
den Messias und haben ihre historische Mission erfüllt: Sie
sollten das körperliche Gefäß für die Inkarnation
des Christus, der Anthroposophen als Sonnengeist gilt, bereitstellen
und den Monotheismus entwickeln. Seither lebten die Juden nach
einem unfruchtbaren Gesetz, so Steiner. Sie seien spirituell erstarrt,
nationalistisch und zugleich kosmopolitisch. Solche Aussagen unterschlägt
Ravagli in seinem Text, der den Waldörflern als Argumentationshilfe
gegen vermeintliche Medienhetze dienen soll. Stattdessen bügelt
der Anthroposoph jede Kritik an seinem Guru ab. Die Vorwürfe
von "Report" weist Ravagli als Hysterie und "geistigen
Terrorismus" zurück. Der Anthro-Autor knöpft sich
sogar die wenigen Anthroposophen vor, denen manche Bemerkung Steiners
peinlich ist: Sie seien vorschnell bereit gewesen, Vorwürfe
zu übernehmen.
Ravaglis
"Untersuchung" zeigt einmal mehr, dass sich der Bund
der Freien Waldorfschulen schwer tut, mit Kritik von außen
umzugehen. Im Sommer hatte sich der Bund von Uehlis Buch distanziert.
Der Dachverband kam so einem Verbot des Werkes zuvor. Nun tingelt
Ravagli durch die Lande, um den großen Lehrmeister zu exkulpieren.
Am Wochenende macht er im Hamburger Rudolf-Steiner-Haus Station,
um zu zeigen, wie Steiner "nur richtig gelesen und interpretiert"
wird. PETER BIERL
steiners
rassenlehre
"Ethnopluralismus"
Lorenzo Ravagli glaubt, dass Flüsse die physischen Leiber von
Engeln seien, und ist eine Koryphäe der anthroposophischen
Rassenkunde. Seiner Meinung nach vertrat Steiner einen "Ethnopluralismus
oder anthropologischen Differenzialismus". Demnach "verteilt
sich die einheitliche Idee des Menschen für Steiner auf Weiße,
Gelbe und Schwarze, die nach Nerven-Sinnessystem, Rumpfsystem und
Gliedmaßensystem anthropologisch differenziert sind und ihre
... Einseitigkeit zum ganzen Menschen ergänzen müssen".
Mit Rassismus oder Antisemitismus habe dies nichts zu tun. Den
Begriff Ethnopluralismus entwickelten Naziideologen in den 70er-Jahren
als Ersatz für das schon anrüchige Wort Rasse. Der Inhalt
ist gleich: Im Verlauf der Geschichte sollen sich die Menschen
zu verschiedenen homogenen Gruppen entwickelt haben, die möglichst
getrennt leben sollten. Die Konsequenz: Ausländer raus. Das
Etikett Ethnopluralismus für Steiners Rassenlehre ist also
nicht verkehrt. Steiner schrieb in den 20ern, die "Negerrasse"
habe in Europa nichts zu suchen.
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