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Die
AKdH hat sich über mehrere Jahre hinweg, mit verschiedene
Vorstössen, beim Verlag S.Karger, Basel für eine öffentliche
Entschuldigung und Distanzierung, von der 1968 innerhalb der Schriftenreihe
Psychiatrica Clinika veröffentlichten diffamierenden
Dissertation von Benedikt Fontana gegenüber der Sippe von
Mariella Mehr, eingesetzt.
Jetzt hat sich der Verlag endlich distanziert.
«Aufrichtiges
Bedauern»
Halbherzige Rehabilitation der Schriftstellerin Mariella Mehr
QU: Südostschweiz, 28. November 2000
Der
Verlag S. Karger AG in Basel distanziert sich von einer diffamierenden
Dissertation, die der Bündner Arzt Benedikt Fontana im Jahre
1967 verfasst hat und lehnt die Verantwortung für deren Inhalt
ab. Für die Betroffenen, die Schriftstellerin Mariella Mehr
und ihre Familie, ändert dies nichts am Schaden, der dadurch
verursacht wurde.
VON WILLI NäF
«Verstimmbare,
haltlose, geltungsbedürftige und moralisch schwachsinnige
Psychopathin mit neurotischen Zügen und einem starken Hang
zur Selbstüberschätzung, was ihr Wunsch, Schriftstellerin
zu werden, beweist.» So lautete 1964 das ärztliche
Urteil über Mariella Mehr. Zu Ursache und Therapie formulierten
die Mediziner kurz und knapp: «In Erwägung ihrer hereditären
Belastung - die Probandin gehört zur dritten Generation einer
degenerierten Vagantenfamilie - kann eine dauernde Einweisung
in eine Psychiatrische Klinik nicht ausgeschlossen werden.»
Ehrendoktorwürde
verliehen
1998 ernannte die Universität Basel die inzwischen mehrfach
mit Literaturpreisen ausgezeichnete Schriftstellerin und Theaterautorin
Mariella Mehr («Brandzauber», «Daskind»)
für ihr Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit sowie für
ihre Recherchen über die Jenischen zum Ehrendoktor. Ehrendoktor
der Basler Universität ist auch der Basler Verleger Thomas
Karger. 1968 publizierte sein Verlag einen «Beitrag zur
Frage der Psychopathie» mit dem Titel «Nomadentum
und Sesshaftigkeit als psychologische und psychopathologische
Verhaltensradikale: Psychisches Erbgut oder Umweltsprägung.»
Das Werk ist im Sinne der Rassenhygiene und des Rassismus des
Dritten Reiches geschrieben und enthält unter anderem Vorschläge
zur Zwangssterilisation und zur lebenslänglichen Versorgung
in psychiatrischen Kliniken.
Der Verfasser, Benedikt Fontana, widmete einige Aufmerksamkeit
einer jenischen Sippe, die er mit dem Pseudonym «Xedos»
anonymisierte. Es handelte sich um die Sippe von Mariella Mehr.
Das Pseudonym sei lächerlich gewesen, sagt Mehr: «Dass
es um die Mehr-Sippe ging, war für alle Eingeweihten in der
Psychiatrie und bei der Polizei von Anfang an klar. Fontana hat
mir das selbst erzählt.»
Zweiter
Versuch erfolgreich
Dr. h. c. Mariella Mehr ist überzeugt, dass die Dissertation
schon Jahre vor ihrer wissenschaftlichen Anerkennung Folgen zeitigte.
Fontana hatte seine Arbeit bereits 1958 an der Universität
Bern eingereicht, war allerdings abgeblitzt. Angereichert mit
Gesprächen mit Mitgliedern aus Mariella Mehrs Sippe, lieferte
er das Werk neun Jahre später unter einem anderen Doktorvater
noch einmal ab. Es wurde anerkannt. Mariella Mehr: «Schon
die erste Version der Dissertation wurde an den Kliniken als Werk
konsultiert. Die Dissertation gab dem Hilfswerk 'Kinder der Landstrasse'
eine weitere Rechtfertigung für seine kriminellen Taten.
Schliesslich waren wir ja alle debil, kriminell, moralisch schwachsinnig,
wie man in Fontanas Werk nachlesen kann.»
Der Verlag Karger, Basel, veröffentlichte die Dissertation
1968 in der Schriftenreihe «Psychiatria Clinica».
Pikantes Detail: Für Fontanas Arbeit besuchte Elsa Schwegler
die Mehr-Sippe, Sozialarbeiterin des Hilfswerks «Kinder
der Landstrasse», welches bis 1973 mindestens 600 Kinder
ihren Eltern wegnahm und bei Pflegeeltern, in Heimen, Anstalten
und Gefängnissen platzierte. Aus der Sippe Mehr wurden unter
anderem mehrere weibliche Personen zwangssterilisiert. Fontanas
Dissertation habe das Leben ihrer Mutter und ihres Sohnes ganz
und ihr eigenes beinahe zerstört, sagt die Schriftstellerin,
die heute in Italien lebt: «Ich habe Fontanas Werk unter
anderem fast 19 Monate Gefängnis Hindelbank zu verdanken,
die darauf abzielten, meine Heirat mit dem Vater meines Sohnes
zu verhindern. Er war Jude und Zigeuner zugleich.»
Schriftliche
Entschuldigung
Der Basler Verleger Thomas Karger, der als Kind jüdischer
Eltern einst selber aus Berlin fliehen musste, hat sich nie öffentlich
von der Dissertation distanziert. Während an der Universität
Basel die Ausstellung «Alltag der Jenischen, Sinti und Roma»
geöffnet ist (bis zum 5. Dezember), hat sich der heutige
Geschäftsführer Steven Karger schriftlich bei Mariella
Mehr entschuldigt: «Inzwischen ist es bekannt und öffentlich
geworden, dass Benedikt Fontana Ihre Sippe in diesem Artikel diffamiert
und mit seinen Thesen Hand zu deren kulturellen und sozialen Zerstörung
geboten hat. Der S. Karger Verlag kann für den redaktionellen
Inhalt der Zeitschrift («Psychiatrica Clinica», Anm.
d. Red.) keine Verantwortung übernehmen, distanziert sich
aber in aller Form vom Geist dieses Artikels. Wir teilen sowohl
der betroffenen Sippe als auch dem Jenischen Volk in der Schweiz
unser aufrichtiges Bedauern mit.»
Zum Inhalt der Dissertation meinte Steven Karger auf Anfrage der
«Südostschweiz»: «Ich erlaube mir da kein
Urteil, ich bin kein Fachmann. Es war übrigens keine Dissertation,
sondern ein ganz normaler Artikel, der vor über dreissig
Jahren veröffentlicht wurde. Das war einfach eine andere
Zeit damals.»
Die Universität Bern hat Benedikt Fontana den Doktortitel
für seinen rassistischen «Artikel» von 1967 nie
aberkannt.
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