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Südpazifik-Flair
QU: Blick nach Rechts
Von Tomas Sager

siehe auch: Die Heimat der Neonazis ist das Netz

Rechtsextremisten nutzen bevorzugt die Schlupflöcher des Internets. Beliebt ist auch eine Weiterleitungsadresse über Vanuatu nordöstlich von Australien.

Erstmals hat eine Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob sich nicht nur Betreiber von rechtsextremen Internetseiten und ihre Provider strafbar machen, sondern auch Unternehmen, die solche Homepages "nur" unter anderen Namen weiterleiten - und sie nach entsprechenden Hinweisen nicht löschen.

Die Methode ist in der Szene beliebt. Die "Freien Nationalisten Westerwald" oder die Kameradschaften Mittweida und Oespel-Kley taten es beispielsweise, und die Neonazis aus Ennepetal und die "Skinheads Niederrhein" gehören zu denen, die es immer noch tun: Bei einem so genannten Redirector beantragten sie die kostenlose Bereitstellung einer Internetadresse. Die Neonazis aus dem Westerwald, vom Niederrhein, aus Mittweida und Ennepetal und mit ihnen noch einmal zwei bis drei Dutzend anderer brauner Seitenbetreiber taten dies bei einem Unternehmen in Stuttgart, das Adressen mit der Länderkennung ".vu" vermittelt. ".vu" steht dabei für Vanuatu – ein Inselparadies nordöstlich von Australien, besser bekannt unter dem früheren Namen Neue Hebriden. Einzige Aufgabe dieser Adresse mit Südpazifik-Flair: Von ihr werden die Besucher automatisch auf die Anschrift weitergeleitet, auf der die Seite wirklich zu finden ist.

Der Vorteil für die Betreiber von Neonazi-Homepages, die oft auf Servern im Ausland liegen: Sie erhalten statt einer ellenlangen und komplizierten Adresse auf diese Art und Weise eine kurze Anschrift, die sich auch leicht merken lässt. Aus dem sperrigen www.angelfire.com/nh/kok/anfang.htm wurde so im Fall der Kameradschaft Oespel-Kley aus dem Dortmunder Westen ein einfaches www.kameradschaft-ok mit dem angehängten, ebenfalls simplen Kürzel des Unternehmens, das diese Dienste anbietet. Den Erfolg einer Internetpräsenz mache "oft eine schöne, kurze und einfach zu merkende Internetadresse aus", heißt es in einer Eigenwerbung jenes Redirectors. Zur attraktiven Adresse kommt ein zweiter Vorteil: Durch einen einfachen Mausklick können die Betreiber ihre Seiten bei einer Fülle von Suchmaschinen registrieren lassen. 250 und mehr nennt der Redirector in seiner Werbung.

Es wäre ein Wunder gewesen, wenn Neonazis, die das weltweite Netz und seine technischen Möglichkeiten seit Jahren zu nutzen wissen, sich gerade diese Chance entgehen lassen würden. "Wir haben festgestellt", sagt auch Gregor Lange, der Sprecher des Innenministeriums von Nordrhein-Westfalen, "dass Rechtsextremisten überall die technischen Feinheiten ausnutzen, die eine Verbreitung der Seiten erleichtern."

Mehr als 1000 deutschsprachige Internetseiten mit rechtsextremistischen Inhalten zählen die Verfassungsschützer derzeit, wie das Düsseldorfer Ministerium unlängst berichtete. Seit letztem Jahr habe sich die Zahl verdoppelt, verglichen mit 1996 gar verzehnfacht. Innenminister Fritz Behrens warnte davor, die Wirkung rassistischer, volksverhetzender und den Holocaust leugnender Seiten gerade auf Jüngere zu unterschätzen: "Rechtsextremisten legen es mehr und mehr darauf an, ihre Auftritte auf jugendliche Zielgruppen auszurichten." Erreichen wollen sie dies mit attraktiveren Präsentationen, Chat-Rooms, Radio- und Videosendungen via Internet sowie Musikstücken in digitaler Qualität. Auch menschenverachtende Computerspiele im Netz würden gerade auf junge User zielen.

Fortgesetzt hat sich den Beobachtungen der nordrhein-westfälischen Verfassungsschützer zufolge die Tendenz, dass deutsche Rechtsextremisten ihre Homepages auf ausländische Server auslagern, um der Strafverfolgung zu entgehen. Bevorzugt werden dabei Provider in den USA, in Kanada und Skandinavien – was wiederum die Suche nach einem Redirector mit attraktiven Seitennamen wichtig werden lässt. Behrens begrüßte in seiner Zwischenbilanz in Sachen braune Präsenz im Internet die Feststellung des Bundesgerichtshofes, dass volksverhetzende Propaganda deutschem Strafrecht unterliegen könne, auch wenn sie über ausländische Server verbreitet werde. Aber er weiß auch um die Grenzen aller Bemühungen, braune Hetze im Internet zu stoppen: Die Struktur des Internet werde immer viele Schlupflöcher bieten.

Ein solches Schlupfloch schließen will die Aktion Kinder des Holocaust (AKDH), indem sie Provider und Redirecting-Unternehmen darauf hinweist, was unter ihrem Namen verbreitet wird. Die AKDH, ein "internationaler Zusammenschluss von Nachkommen Überlebender der Judenverfolgung und des antifaschistischen Widerstands sowie deren Angehöriger und Freunde", hatte bei jenem Stuttgarter Anbieter eines solchen Redirectings eine Vielzahl rechtsextremer Seiten entdeckt. Samuel Althof, Sprecher der Gruppe: "Auf den Homepages finden sich in Deutschland verbotene Bands, Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Propagandamittel sowie volksverhetzende Äußerungen." Dass das Unternehmen braune Adressen nur sehr zögerlich oder gar nicht sperrte, der Verantwortliche gegenüber dem AKDH-Anwalt sogar gesagt haben soll, möglicherweise finde er den Inhalt ja sogar gut und im Fall staatsanwaltlicher Ermittlungen sei er sofort im Ausland, ließ Althof zum Mittel der Anzeige greifen, mit der sich nun die Stuttgarter Staatsanwaltschaft beschäftigen muss.

Bei dem Internetunternehmen fühlt man sich unschuldig. Zwar schaue man sich die Seiten nicht unbedingt an, die unter dem eigenen Kürzel laufen, räumt ein Sprecher ein. Dies sei ein unzumutbar hoher Aufwand. 20 bis 30 rechtsextreme Seiten habe man aber nach entsprechenden Hinweisen schon gesperrt. Auch Althof meint inzwischen, dass braune Seiten dort jetzt schneller wieder verschwinden – aber erst nach der Ankündigung der Anzeige.

Doch noch immer lassen sich von den weitergeleiteten Seiten Titel und Texte von Skinheadbands herunterladen – alles was der braune Nachwuchs am liebsten aus den Boxen dröhnen lässt. Noch immer bieten die Seiten über ihre Links den Einstieg in die braune Netzwelt. Und noch immer finden sich dort so genannte Spieleclans, deren Mitglieder sich die Dienstgrade von SA und SS geben und die unter den Bezeichnungen NS-Klan, Sturmabteilung (SA) oder Schutzstaffel (SS) firmieren. Letztere – eine Gruppierung aus der Hauptstadt und ihrem Umland – begründet die Wahl ihres Namens so: "um auf die böse deutsche Geschichte hinzuweisen und weil der Name Sturmabteilung Berlin-Brandenburg schon vergeben war". Noch immer wartet bei dem Stuttgarter Unternehmen auch ein Chat für Skins und Nationalisten auf die Besucher ("Alle, die nicht nationalistisch denken, müssen draußen bleiben"). Und noch immer finden sich auf den Seiten zahlreiche Hakenkreuze, SS-Runen und -Totenköpfe, wird dort für die Neonazi-Kultband "Zillertaler Türkenjäger" geworben und zu Aufmärschen der Neonaziszene aufgerufen.




© Aktion Kinder des Holocaust