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Kriminalität
Online
Stillhalte-Abkommen
QU: Klartext - Das Schweizer Medien-Magazin
6/2000
Von Bettin Büsser
Internet
ist ein schnelles Medium. Weniger schnell geht es in der Schweiz
voran, wenn es um die Verfolgung von Online-Delikten geht: Bundespolizei,
Bund, Kantone und Provider diskutieren momentan vor allem über
Zuständigkeiten und Rechtsgrundlagen. Aktiv sind hingegen
Nicht-Regierungs-Organisationen. Von Bettina Büsser.
Noch
in der Wintersession soll, auf Betreiben der Schweizer Provider,
im Ständerat eine parlamentarische Initiative zur Rechtslage
im Bereich Online-Kriminalität eingereicht werden. Und Anfang
2001 wollen die Experten der Arbeitsgruppe zur Bekämpfung
von Missbräuchen der elektronischen Kommunikationsmittel
unter der Leitung des Bundesamtes für Polizei ein Konzept
vorlegen, wie mit den vorhandenen Ressourcen kriminelle Handlungen
unter anderem im Internet bekämpft werden können.
Es scheint sich also etwas im Bereich Internet und Kriminalität
zu bewegen.
Allerdings diskutieren die Schweizer Provider seit zwei Jahren
in einer Kontaktgruppe mit der Bundespolizei diese Rechtslage.
Und: Seit 1998 existierte im Bundesamt für Polizei eine funktionierende
Monitoring-Stelle für Internet-Kriminalität sie
wurde 1999 wieder abgeschafft. Die Bewegungen im Bereich Internet
und Kriminalität sind also langsam, wenn nicht gar rückläufig.
Transporteure
oder Verleger?
Meinem
Eindruck nach misst man der Internet-Kriminalität zu wenig
Gewicht bei und scheint etwas ratlos; dabei nimmt die Bedeutung
dieses Themas stetig zu, kommentiert der Jurist und Internet-Experte
David Rosenthal die Situation: Ich habe das Gefühl,
niemand nimmt das Heft wirklich in die Hand.
Die drei Player in diesem Bereich Provider, Kantone und
Bund sind uneins, wer dieses Heft anpacken
soll. Die im Verband Inside Telecom (VIT) zusammengeschlossenen
Provider wehren sich gegen das Ansinnen der Bundespolizei, die
Inhalte selbst zu kontrollieren: Wir sind keine Zensurbehörde,
sagt VIT-Vizepräsident René Burgener. Natürlich
sind wir auf unseren Ruf bedacht und wehren uns gegen Rassimus
und Kinderpornografie. Aber wenn wir handeln und Sites sperren
sollen, dann brauchen wir dazu die rechtsgültige Anweisung
einer Behörde, damit wir nicht von dem Site-Betreiber haftbar
gemacht werden können. Zudem müsse unterschieden
werden zwischen Sites, die auf den provider-eigenen Servern gespeichert
seien (Hosting-Providing) und jenen, die der Provider im Auftrag
der KundInnen von fremden Servern hole (Access-Providing): Beim
Access ist der Provider bloss ein Transporteur und kann damit
nicht für das transportierte Gut verantwortlich gemacht werden.
Da gilt das Fernmeldegeheimnis. Auch von Filtern, die gewisse
Adressen etwa rassistisches Gedankengut, aber auch in der
Schweiz verbotene Glücksspiele unzugänglich machen,
hält Burgener nicht viel: Solche Filter sind technisch
aufwändig und können umgangen werden, sie bieten also
nur einen lückenhaften Schutz.
Für Jürg Bühler, Vizechef der Bundespolizei, sind
solche Aussagen Ausflüchte: Wer mit einer
bestimmten Technik Geld verdienen will, muss auch die Technik
beherrschen. Provider seien, so Bühler weiter, nicht
bloss Transporteure: Im Bereich Hosting-Providing vergleicht er
ihre Situation mit derjenigen einer Zeitung hier sind Verleger
und Chefredaktor für den Inhalt verantwortlich. Beim Access-Providing
bringt Bühler einen Vergleich aus dem Buchhandel: E-Mails
unterstehen dem Fernmeldegeheimnis. Aber bei www-Zugriffen und
Zugriffen auf Newsgroups erhält der Provider von seinem Kunden
den Auftrag, einen bestimmten Inhalt aus dem Netz zu holen. Das
ist mit dem Auftrag eines Buchhändlers zu vergleichen, der
ein Buch bestellt. Und da gibt es entsprechende Gerichtsurteile
wenn ein Buchhändler Bücher mit antisemitischem
Inhalt vermittelt, kann er sich unter Umständen damit strafbar
machen. Solange Bundespolizei und Provider in der Kontaktgruppe
im Dialog seien, wolle die Bundespolizei keine rechtlichen
Schritte unternehmen. Es sei eine Art Stillhalteabkommen,
meint Bühler.
Zwei
Gutachten, zwei Auslegungen
Bisher
haben sich Bundespolizei und VIT nicht darauf einigen können,
welche Rechtsgrundlagen nun angewendet werden sollen ein
von der Bundespolizei in Auftrag gegebenes Gutachten des Bundesamtes
für Justiz (www.bupo.admin.ch) kommt erwartungsgemäss
zu anderen Schlüssen als ein Rechtsgutachten dreier Strafrechtsprofessoren
(Niggli, Riklin, Stratenwerth) im Auftrag des VIT (www.vit.ch).
So beschreitet der VIT nun den politischen Weg: In der Wintersession
soll im Ständerat eine parlamentarische Initiative eingereicht
werden, die auf die Bedürfnisse der Provider zugeschnitten
ist und folglich keine Haftung für transportierte Inhalte
vorsieht. Was den Vorstellungen der Bundespolizei wohl weniger
entspricht. Wie auch immer: Von einer parlamentarischen Initiative
zu einer gesetzlichen Regelung ist es ein langer Weg ein
mögliches Referendum noch nicht eingerechnet.
Länger dauern wird es auch, bis zwischen Bund und Kantonen
abgesprochen ist, wer nun für die Strafverfolgung im Internet
genau zuständig ist. Denn Delikte wie Besitz und Verbreitung
von harter, verbotener Pornografie oder Verstösse gegen die
Rassismus-Strafnorm sind Sache der Kantone, auch wenn sie im grenzenlosen
Raum des Netzes stattfinden. Die Delikte unterstehen der
kantonalen Gerichtsbarkeit und nicht der Bundesgerichtsbarkeit,
sagt Adrian Lobsiger, Chef Sektion Analyse beim Bundesamt für
Polizei und Präsident der Arbeitsgruppe zur Bekämpfung
von Missbräuchen der elektronischen Kommunikationsmittel
(Bemik): Die Frage ist also: Wie können sich Bund und
Kantone gegenseitig unterstützen? Um diese Frage zu
klären, wägen Experten aus Bund und Kantonen in der
Bemik ab, ob eine zentrale, eine dezentrale oder eine regionale
Lösung besser wäre. Kommt die Bemik zu klaren Schlüssen,
bedeutet das aber noch keine rasche Umsetzung: Wir sind
Experten, die Lösungsvorschläge machen können,
mehr nicht, sagt Lobsiger. Auch dieses Konzept wird seinen
Weg durch Departemente und Kantone gehen müssen. Lobsiger:
Anfang 2001 wollen wir es an die höheren Stufen weitergeben.
Aktiv
ermitteln gegen Rassisten
Weil
auch bis zu definitiven Gesetzes- und Zuständigkeits-Lösungen
per Internet Kinderpornos und Neonazi-Parolen verbreitet werden,
liegt momentan ein Teil der Arbeit bei Non Government Organisations
(NGOs): So listet etwa die Aktion Kinder des Holocaust
(akdh.ch) auf ihrer Homepage www.akdh.ch Provider auf, die Neonazi-Sites
hosten, sammelt Meldungen über rassistische Sites und stellt
sogar ganze Ermittlungsdossiers über solche Sites zusammen.
Dabei arbeiten wir in der Regel mit der Bundespolizei zusammen,
da herrscht ein sehr gutes Einvernehmen, sagt Samuel Althof
von der akdh.ch: Was wir an sie weiterleiten, wird sofort
behandelt. Die Bundespolizei ist gegenüber den Kantonen eine
Art Drehscheibe. Auch die Schweizer Provider, so Althof,
reagieren rasch, wenn sie von der akdh.ch auf von ihnen gehostete
Sites aufmerksam gemacht werden, die gegen die Rassismus-Strafnorm
verstossen.
Schwieriger ist es bei Sites, die von ausländischen Providern
angeboten werden. Althof berichtet: Im letzten Jahr sind
aus unseren Meldungen etwa hundert Strafanzeigen hervorgegangen,
nur etwa fünf davon betrafen Schweizer Angebote. Diese führten
zu Strafverfahren gegen Neonazis und Holocaust-Leugner in der
Schweiz; in einem Fall kam es bereits zu einer Verurteilung. Eine
Mehrheit der übrigen Strafanzeigen erfolgte in Deutschland
und Österreich. Dafür arbeiten wir unter anderem mit
einem Berliner Anwalt zusammen.
Besonders schwierig ist die Situation bei Sites aus den USA. Denn
dort gilt im Internet das Recht auf das freie Wort auch
wenn es rassistisch und antisemitisch ist. Doch auch hier gibt
es erfolgreiche Vorgehensweisen: Gerade grosse Provider
kann man auf die Regeln verweisen, die sie sich selbst gegeben
haben und die das Verbreiten von rechtsextremem Gedankengut verbieten,
sagt Althof. Allerdings braucht es dazu Druck auf die Provider
eine Aufgabe für nationale und internationale NGOs.
Im Bereich Kinderpornografie liegt ebenfalls sehr viel Arbeit
bei den NGOs. Das Internet ist im Bereich kommerzielle sexuelle
Ausbeutung von Kindern zentral geworden, sagt Regula Turtschi
von ECPAT Switzerland (die bisherige Arbeitsgemeinschaft
gegen Kinderprostitution). Da die NGOs international gut
vernetzt sind, können sie häufig schneller reagieren
als die Behörden. Die ECPAT Switzerland leitet ebenfalls
Meldungen an die Bundespolizei weiter, ist aber mit der augenblicklichen
Situation nicht glücklich: Es dauert oft lange, bis
etwas unternommen wird, wir haken häufig nach. Es ist sehr
schade, dass die Monitoring-Stelle wieder abgeschafft wurde. Seither
ist unklar, was in diesem Bereich künftig geschehen soll,
sagt Turtschi. Für sie ist klar, dass der Bund bei Internetdelikten
zuständig sein sollte: Es ist eine Frage des politischen
Willens: Der Bund hat heute zwar keine Ermittlungskompetenz in
diesem Bereich, aber gleichzeitig hat er Ermittlungskompetenz
in den Bereichen Drogen oder organisierte Kriminalität. Also
müsste es machbar sein.
ECPAT Switzerland fordert seit längerer Zeit, dass Bund und
damit Bundespolizei zumindest eine Drehscheiben-Funktion
bei Internetdelikten einnehmen: Schon Landesgrenzen wirken
absurd, wenn es um das Internet geht gar nicht zu reden
von Kantonsgrenzen, sagt Turtschi. Zudem fordert ECPAT Switzerland,
dass SpezialistInnen und nicht GeneralistInnen eingesetzt werden:
Die Leute müssen nicht nur technisches und juristisches
Wissen haben, sondern auch wissen, was im Bereich kommerzielle
sexuelle Ausbeutung von Kindern läuft. Schliesslich
müssten diese SpezialistInnen auch aktiv nach Kinderporno-Sites
und den entsprechenden Verbindungen suchen. Oft nämlich seien,
wie im kürzlich bekannt gewordenen Zuger Fall, die Einstiegs-Sites
solcher Anbieter nicht strafbar aber im Umfeld findet
man Straftaten, gelangt manchmal sogar bis hin zu den Leuten,
die Kinder ausbeuten und missbrauchen.
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