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In einer Woche zwölf rassistische und antisemitische Homepages gesperrt
Jagd auf die Hass-Seiten
QU: Süddeutsche Zeitung vom 19.12.2000 Politik

Die Bürgerinitiative „Aktion Kinder des Holocaust“ kämpft mit Erfolg gegen neonazistische Propaganda im Internet und wird entsprechend angefeindet / Von Peter Bierl


Jude, hau ab nach Israel." Nur dieser Satz steht auf dem mit Kot verschmierten Zettel, den Samuel Althof aus dem Kuvert zieht. Der Brief ist an seine Praxis in Basel adressiert. Anschrift und Telefonnummer seiner Privatwohnung hält er geheim, an der Tür steht ein falscher Name. Seine kleine Praxis kann der psychologische Berater aber nicht tarnen. Hier erreichen ihn Drohanrufe und Schmähbriefe. Der 45-Jährige ist Sprecher der Schweizer Gruppe „Aktion Kinder des Holocaust“ (AKdH), die seit Jahren gegen Nazis im Internet kämpft.

„Bei den ersten Briefen bin ich noch erschrocken“, sagt er, „inzwischen weiß ich, das gehört zu den Gepflogenheiten dieser Leute. Manchmal werfe ich die Pamphlete gleich weg, manchmal gebe ich sie meinem Anwalt.“ Und manchmal hat Althof damit Erfolg. Im April verurteilte ein Gericht in Basel einen ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS. Die Palette der Sprüche reicht von „Kauft nicht bei Juden“ über „Gruß aus Buchenwald“ bis zu „jüdische Ratten“, denen man die Häuser anzünden werde.

Naziseiten im Internet aufzuspüren ist leicht. Man findet die Seite eines „Thüringer Heimatschutzes“, der „Freiheit für Palästina“ fordert und für Nazidemos wirbt. Von dort gelangt der Benutzer mit einem Mausklick zur NPD, zum Ku-Klux-Klan oder zur „Deutschen Heidnischen Front“, die mit dem Slogan „Wotan mit uns“ wirbt. Wie auf anderen deutschen Seiten auch, werden die Besucher davor gewarnt, E-Mails mit strafbaren Inhalten zu schicken.

Keltenkreuz und Rudolf Hess

Von den rechten Heiden aus kommt man zu Nazimusik oder zur US-amerikanischen „Stormfront“, der ältesten Naziseite im Internet, die 1995 eingerichtet wurde: Dort wird vor allem Hass auf Schwarze und Juden gepredigt. Ein Keltenkreuz mit der Parole „White Power World Wide“ verunziert den Bildschirm. Die „Stormfront“-Homepage enthält wiederum viele Links: zu einer Gedächtnisseite für Rudolf Hess, zur Homepage des kanadischen Holocaustleugners Ernst Zündel oder zum Thule-Netzwerk. Mit einen Klick auf die Seite der französischen „Front National“ kann man virtuell zurück nach Europa surfen.

Weltweit hat das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles mehr als 2000 Seiten gezählt, 80 Prozent werden in den USA ins Netz gestellt. Der deutsche Verfassungsschutz rechnet mit etwa 500 Seiten von deutschen Rechtsextremisten, viele davon sind anonym und laufen auf US-Servern. Das Internet ist ein billiges Medium, die Propaganda kann viel weiter verbreitet werden als mit Flugblättern. Die Nazis erreichen internetbegeisterte Kinder und Jugendliche; indizierte Skinhead-Musik kann ohne großen Aufwand heruntergeladen werden.

Entdecken Mitglieder der Aktion eine neue Seite von Nazigruppen, beginnt die Arbeit: Sie informieren die Firma, die den Server betreibt, und bitten, die Webseiten und deren Gästebücher zu löschen. Manche Provider sind einsichtig, bei anderen bedarf es eines Briefwechsels. Manchmal muss die 15-köpfige Gruppe eine regelrechte Kampagne organisieren. Nimmt ein Provider eine Seite vom Netz, suchen die Nazis einen neuen Server, und die Arbeit beginnt von vorne. „Wir üben Druck aus, indem wir an die Öffentlichkeit bringen, welches Gedankengut sie anbieten“, sagt Althof. Im November waren er und seine Mitstreiter mehrmals, wenigstens vorübergehend, erfolgreich: „Skinhead Deutschland“, „Wolfsturm“, „Kraftland“, die „Kameradschaft Wels“ und „Der völkische Sozialist“ müssen sich neue Server suchen.

Die Strategie der AKdH besteht darin, die braunen Seiten von den großen Gratis-Providern zu vertreiben, deren Geschäftsbedingungen so genannte Hass-Seiten eigentlich ausschließen. Die AKdH veranlasste in einer Woche, dass US-Provider ein Dutzend deutschsprachiger Naziseiten inklusive der zugehörigen Gästebücher sperrten. Selbst die US-Firma Yahoo! Geocities löschte mehrere Seiten. Übrig bleiben Provider, die explizit Nazi-Seiten auf Abruf halten („hosten“) und deren Identifikations-Nummern man sperren lassen könnte, sagt Althof. Durch eine solche IP-Nummer ist jeder Rechner, also auch die der Provider, identifiziert. Zu den braunen Schafen zählt nach Einschätzung des deutschen Verfassungsschutzes der US-amerikanische Provider Yoderanium.

Das Problem ist die Größe des Internets. Deswegen ist es für die Rechten leicht, mit einem neuen Account, also dem Zugriffsnamen, und über eine andere Firma wieder ins Netz zu kommen. Seiten können auch „gespiegelt“ werden: Die Homepage wird auf mehreren Servern abgelegt, auf der Seite sind jeweils Querverweise auf die anderen Server eingetragen. Fällt ein Server aus, erscheint die Seite ein paar Minuten später wieder. Manchmal merkt der Benutzer gar nichts davon, weil er automatisch umgeleitet wird.

Die AKdH versucht deshalb, auch strafrechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen. Mit dem jüdischen Onlinemagazin haGalil in München und Rechtsanwälten im In- und Ausland hat die Gruppe ein Meldeformular Rechtsextremismus entwickelt: Mehr als 90 Straftaten im Netz wurden damit in den vergangenen zwei Jahren erfolgreich zur Anzeige gebracht. Die Verantwortlichen, soweit sie in Deutschland, Österreich oder der Schweiz leben, wurden zu Geld- oder Bewährungsstrafen verurteilt.

Mit Freunden und Bekannten gründete Althof 1991 die „Aktion Kinder des Holocaust“, in der Kinder von Naziopfern und des antifaschistischen Widerstandes mitarbeiten. Althofs Mutter floh wegen ihrer jüdischen Herkunft am 30. Oktober 1933 aus Deutschland nach Palästina, nach dem Krieg ging sie in die Schweiz. Das Datum ihrer Flucht kann der Sohn sich leicht merken – es ist sein Geburtsdatum. „Die meisten aus meiner Familie konnten sich in Sicherheit bringen. Drei Schwestern meines Großvaters wurden vergast“, sagt er.

Der Kampf gegen den braunen Müll im Internet begann für die Gruppe 1996 – damals fanden Mitglieder der Aktion Texte der Kultband „Böhse Onkelz‘ auf einem Server der Universität Ilmenau. Das Handwerkszeug haben sie sich selber beigebracht. „Heute bauen wir eigene Seiten“, sagt Althof. Seit einigen Monaten arbeitet er an einem „ Internetportal‘ zum Thema Holocaust. Auf der Seite mit dem Namen shoah.de finden Leser unter alphabetisch sortierten Stichwörtern von Anne Frank bis Zwangsarbeit kurze Informationen, Buchtipps, Biographien von Nazis und Holocaustleugnern sowie 800 Links zu KZ-Gedenkstätten, Archiven und Forschungseinrichtungen.

Der Name des Portals hat eine Geschichte. Im Juni entdeckte die AKdH, dass eine Firma in Hamburg, die Internet-Dienstleistungen anbietet, für ihre Selbstdarstellung die Adresse shoah.de verwendete. Das hebräische Wort für den Holocaust für Werbung zu benutzen sei geschmack- und gedankenlos, schrieb die Gruppe an die Firma. Die reagierte sofort und entschuldigte sich: ein Versehen. Man habe die Adresse vor zwei Jahren reservieren lassen, als es um ein Projekt im Zusammenhang mit dem Besuch des Regisseurs Steven Spielberg in Berlin ging. In einem Akt tätiger Reue überließ die Firma der Aktion den Domain-Namen.

„Nebelgeschichten“ der Politiker

Im September verkündeten Innenminister Otto Schily und seine Amtskollegen bei einem Treffen der Innenminister der Alpenländer, man werde gemeinsam und entschieden gegen Rassismus im Internet vorgehen. „Nebelgeschichten“ kommentiert Althof. „Allein wir haben in einer Woche zwölf Seiten ,vertrieben‘, das ist ein respektables Ergebnis. Würden dies in Deutschland noch 20 andere Personen tun, sähe das Ergebnis vermutlich noch um einiges besser aus.“

Seiner Meinung nach könnte der Staat ohne große Gesetzesänderungen, gestützt etwa auf das Copyright, gegen Naziseiten vorgehen. Beispielsweise können Internetbenutzer von vielen dieser Seiten Hitlers „Mein Kampf“ herunterladen. Der Freistaat Bayern hat die Rechte an diesem Buch. Bayern hat damit schon den Nachdruck des Buches in Schweden und Portugal verhindert. Der US-Bücherversand Barnes & Noble.com verzichtete auf die Auslieferung von „Mein Kampf“ in Deutschland, erzählt Horst Wolf, Pressesprecher des bayerischen Finanzministeriums. „Das lief allerdings auf politischer Ebene, nicht über das Urheberrecht.“ In den USA kann der Freistaat kein Copyright einklagen, weil der Zentralverlag der NSDAP die Rechte bereits 1933 an einen amerikanischen Verlag übertragen hat. Es muss ja nicht Hitlers Pamphlet sein. „Das Urheberrecht zu benutzen wäre eine Behelfstaktik, um Provider über das Zivilrecht unter Druck zu setzen", sagt Althof. In den USA wurde auf diese Weise eine Naziversion der „Moorhuhnjagd“ gekippt. Der Computerspieler schießt dabei nicht auf virtuelles Federvieh, sondern auf karikierte Afrikaner und Juden.

 



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