aktuell

archiv

home

 

Extremisten im Web bekämpfen
QU: FOCUS, 25. März 2002

Radikale nutzen das Web immer geschickter. Ihre Gegner fechten mit Filtern und Fakten gegen sie

Neugierig schauen 30 Neuntklässler im Computerraum des Münchner Michaeli-Gymnasiums auf ihre PCs. Über die Bildschirme flimmern rechte Parolen, ewig Gestrige faseln auf einer dunkel gehaltenen Web-Seite vom Nazi-Widerstand, auf einer anderen vom angeblichen Mord an Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Die älteren Gymnasiasten Florian Pfeiffer, Philipp Schautschick und Julia Pletzenauer gehen durch die Reihen und beobachten, wie der rechtslastige Lesestoff wirkt. „Wir analysieren mit den Schülern die Seiten und diskutieren das Gelesene“, erklärt Philipp Schautschick, der selbst die zwölfte Klasse besucht. Die Angst um ihre jüngeren Mitschüler gab den drei Freunden den Anstoß zu ihrem Projekt „Betreutes Surfen“. „Wer Zitate oder scheinbar wissenschaftliche Aussagen auseinander nehmen oder den Urheber eines Angebots ausfindig machen kann, geht auch den intelligenteren Rechten nicht so schnell auf den Leim“, hofft der 19-Jährige.
Die Furcht der Gymnasiasten findet ständig neue Nahrung. Immer häufiger und unverhohlener verbreiten Links- und Rechtsradikale ihre fatalen Ansichten im Netz. Die neonazistische Szene tummelt sich im Web besonders rege und ragt mit ihren Angeboten aus dem Sammelsurium von dumpfen Hass-Seiten und dröhnenden Parolen der Extremisten heraus. So zählt der Verfassungsschutz jedes Jahr mehr rechtsradikale Angebote im Internet: 1999 waren es 330, die aktuelle Zahl liegt bei 1300. „Die Rechtsextremisten verstehen das Internet mehr und mehr als Strategie- und Kampfmittel“, erklärt Klaus-Dieter Fritsche, Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz.

Verbal zur Sache geht es vor allem in Foren und News-Groups, in denen die Extremisten ihre Maske fallen lassen: „Türkenklatschen“ als Hobby oder „Auschwitz? Was ist das?“ als persönliches Motto bis hin zu E-Mail-Adressen mit Aussagen wie „Heil Hitler“ oder „Juden morden“ sind keine Seltenheit. Extremismus-Forscher Steffen Kailitz von der Philosophischen Fakultät der TU Chemnitz weiß, dass sich die Radikalen online offener äußern als beispielsweise in ihren Zeitschriften. „Im Internet stelle ich eine höhere Gewaltbereitschaft fest. In den herkömmlichen Szenemedien wird eher mit Andeutungen gearbeitet, weil die Autoren Strafverfolgung fürchten“, konstatiert der Wissenschaftler.

An den Hetzparolen und Schmutzpamphleten der Radikalen im Web entzündet sich eine heiße Diskussion um sinnvolle Maßnahmen zur Eindämmung der Extremistenschwemme. Manche Politiker wollen solche Angebote nach Möglichkeit aus dem Netz herausfiltern und ihre Betreiber zur Abschaltung der Seiten zwingen. Die Gegenfraktion fürchtet angesichts solcher Maßnahmen um die Meinungsfreiheit im Web und will lieber die Lügen der Radikalen mit Aufklärungsseiten entlarven.

Zu den Filter-Freunden gehört der Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow. Er schickte Anfang Februar Sperrungsverfügungen über zwei rechtslastige Hass-Angebote aus den USA an 80 Internet-Zugangsanbieter in Nordrhein-Westfalen. Von den Adressaten kappten aber nur 16 den Zugang, 25 Provider legten bis Mitte März Widerspruch ein.

Mit dem groben Rechen durchs Web zu fahren und zu hoffen, möglichst viele extremistische Seiten aus dem weltweiten Datendickicht zu entfernen, ist nach Ansicht von Christoph Fischer, Geschäftsführer der Karlsruher Sicherheitsfirma BFK, ohnehin sinnlos. „Die Provider können die Filterlisten gar nicht so aktuell halten und kommen den täglich neu entstehenden Seiten mit neuen Adressen nicht hinterher“, erklärt Fischer. Er setzt deshalb auf Aufklärung.

Engagierte Surfer sieben derweil das Web mühsam Seite für Seite auf radikale Inhalte hin durch. Die Aktion Kinder des Holocaust (AKdH) durchforstet beispielsweise mit verdeckten Ermittlern das Netz seit fünf Jahren nach verdächtigen Internet-Auftritten und spürt die Hintermänner der Angebote auf. „Unsere Erkenntnisse geben wir an die Polizei in der Schweiz oder Deutschland weiter“, erzählt AKdH-Sprecher Tim Dornbusch.

An ihrer eigenen Ehre packen die Zugangsanbieter dagegen Organisationen wie naiin e.V. – no abuse in internet. „Viele Provider schließen Propaganda, egal ob rechts- oder linksradikale, und auch solche, die nicht rechtswidrig ist, in ihren Geschäftsbedingungen aus“, erklärt naiin-Vorsitzender Arthur Wetzel. „Wir weisen die Unternehmen auf entsprechende Seiten hin“, erzählt der Betriebswirt. Von 1800 Meldungen im Jahr 2001 betrafen 60 Prozent rechtsextreme Hass-Seiten, 300 konnten zwischen Januar 2001 und Mitte Februar dieses Jahres zumindest zeitweise abgeschaltet werden.

Aber selbst wenn sich eine Seite eindeutig als nach deutschem Gesetz illegal erweist, stehen Ermittler und Justizbehörden vor einem Dilemma: Für das Herstellen oder Verbreiten von extremistischer Propaganda drohen in Deutschland zwar bis zu drei Jahre Haft oder Geldstrafe. Doch was hierzulande verboten ist, erlauben die Gesetze anderer Staaten.

Um internationale Lösungen bemüht sich deshalb das Bundesjustizministerium. „Die Vision ist zunächst ein europaweiter, dann weltweiter einheitlicher Raum des Rechts“, erklärt Ministeriumssprecherin Maritta Strasser. Experten beurteilen die Erfolgsaussichten der Politiker eher skeptisch. „Die Chancen stehen sehr schlecht, dass die USA ihren ersten, die Meinungsfreiheit garantierenden Verfassungszusatz zusammenstreichen“, gibt der Strafrechtsprofessor Eric Hilgendorf von der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg zu bedenken.

Mit juristischen Tändeleien halten sich viele Web-Initiativen nicht auf und machen Front gegen den radikalen Cyber-Unrat. „Gegen jede Seite mit antisemitischen Lügen und Hass wollen wir 100 Seiten Wahrheit über jüdisches Leben setzen“, sagt beispielsweise David Gall, Herausgeber des Online-Dienstes haGalil. Mit Informationen, Diskussionsforen und Chats will er die rechte Propaganda ins Mark treffen: „Der Kern der NS-Ideologie ist der Antisemitismus.“ In die Riege der Aufklärer reiht sich auch das Bundesfamilienministerium mit dem Projekt D-A-S-H ein. Es bietet verschiedenen Initiativen Jugendlicher gegen Intoleranz und Rassismus eine Plattform. Und das kanadische Online-Archiv Nizkor konfrontiert die Argumente rechter Geschichtsleugner mit Fakten zum Holocaust.

Gegen Cyber-Radikale reitet Bundesinnenminister Otto Schily derweil auf einem dritten Weg zwischen Filter und Fakten. Er will den Extremisten schlicht ans Portemonnaie. Nachdem er gegen Gary Lauck, der sich gern als „Führer“ der amerikanischen NSDAP-Auslandsorganisation betrachtet, erfolgreich die Internet-Adressen bundesinnenministerium.com, -.net und -.org erstritt, prüft das Ministerium nun, ob sich in den USA Schadenersatzansprüche gegen Lauck wegen der Verletzung von Namensrechten durchsetzen lassen.

Cathrin Guenzel


 




© Aktion Kinder des Holocaust