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Rechtsextreme: Saufen statt surfen
QU: Tagesanzeiger, 21. Februar 2002

Direkter Kontakt an Rockkonzerten: Die Skins sind keine Bildschirm-Stubenhocker.

Bei den schweizerischen Rechtsextremen spielt das Internet eine untergeordnete Rolle. Bei der Rekrutierung und Mobilisierung setzen sie mehr auf Rockkonzerte und persönliche Kontakte.

Von Jürg Frischknecht
«Im Internet ist heute von jüdischen Verschwörungstheorien (gemeint: antijüdische Fantasien) über Rassentheorien, revisionistische Standardliteratur, rassistische Skinhead-Musik bis hin zu rechtsextremen Todeslisten jede Schattierung rechtsextremer Publizistik frei erhältlich», fasst der aktuelle Staatsschutzbericht zusammen. Diese virtuelle Gegenöffentlichkeit könne «der Skinhead-Bewegung und dem Rechtsextremismus allgemein einen Aufschwung als Gruppe geben». Das schrieb der Dienst für Analyse und Prävention (früher Bupo) im vergangenen Sommer. Das Internet sei eine «Einstiegsdroge in die Szene» (Skinhead-Bericht).

«Eine sterbende Sache»
Wie sieht es heute aus? Wer die «Wilhelm-Tell»-Homepage, lange Zeit die erste Adresse der harten Holocaustleugner um Jürgen Graf, anklickt, kriegt nur veraltete Konserven zu lesen. Auf der Homepage von Ernst Indlekofers «Recht+Freiheit», die den holocaustleugnenden Revisionisten sehr nahe steht, ist als aktuellste Zeitungsausgabe die Nummer 6/2000 geladen. «Ich habe ja die Zeitschrift», weicht Indlekofer der Frage nach dem arg vernachlässigten Internet aus. Die Ebbe bei «Wilhelm Tell» hat nach Meinung des Erlenbacher Revisionisten Arthur Vogt ganz einfach damit zu tun, dass sein Ziehsohn Graf nach Moskau ausgewandert ist (weil er in der Schweiz nicht ins Gefängnis wollte). «Der Revisionismus ist eine sterbende Sache», meint der 84-Jährige resigniert.

Jahrelang waren die Schweizer Holocaustleugner im Netz massiv präsent. Genützt hat es nichts. Sie sind ein erbärmliches Häuflein geblieben. Das Internet allein bewirkt noch keine Wunder. Umgekehrt aber sind die Skinheads auch ohne grosse Internetpräsenz kontinuierlich gewachsen. Schweizer Glatzengruppen investierten in den letzten Jahren vergleichsweise wenig in Web-Auftritte.

Weiter im Netz vertreten sind rechte bis rechtsextreme Einzelmasken, ab und zu eine Skingruppe (derzeit gerade der Nationale Volkssturm) und die beiden Miniparteien, die im rechtsextremen Lager Fuss fassen möchten: die Nationale Partei Schweiz (NPS) des schiessfreudigen Berners D.M. und die Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) mit Adresse in Baselland. Die Frage ist, wie weit der Internetauftritt der politischen Formierung nützt.

Surfen verstärkt die Verbundenheit
Inzwischen rückt auch der Dienst für Analyse und Prävention von der These der «Einstiegsdroge Internet» ab. «Die Rekrutierung für bestimmte Gruppen findet vorwiegend auf persönlicher Basis statt», erklärt Sprecher Jürg Bühler auf Anfrage. «Hier stellen die Musikveranstaltungen mit Skinhead-Bands wichtige Einstiegsgelegenheiten dar.»

Vereinzelt sind zwar Fälle bekannt, bei denen Buben über das Surfen Anschluss an die Skins fanden. Und im Extremfall sogar ausschliesslich virtuell mit der Szene kommunizierten, so der Haupttäter im Mordfall von Allmen in Unterseen. Nach Darstellung der Untersuchungsbehörden war Marcel M. kein Szenegänger, sondern stand nur über das Internet in Kontakt mit Nazi-Gruppen, bei denen er einschlägiges Material bestellte.

Sollte sich das bestätigen, wäre es die krasse Ausnahme von der Regel. Der Normalfall ist, dass junge Burschen durch persönliche Kontakte zu einer Glatzen-Clique finden. Erst danach besuchen sie entsprechende Internetseiten. «Das Surfen verstärkt dann die Verbundenheit mit der Szene», urteilt ein Vater, der das Reinrutschen seines Sohns miterlebte. «Er konnte all die Embleme runterladen und Musik bestellen.»

Der Feind schreibt mit
Eine Homepage stärkt das Selbstwertgefühl sowohl der Gruppe wie der Mitläufer. Für die Rekrutierung und den Parteiaufbau ist die E-Mail-Kommunikation indessen zu unsicher. Sie kann leicht unterwandert werden. Denn da die Beiträge in den Chat-Foren und «Gästeseiten» meist bloss mit Decknamen gezeichnet sind, weiss niemand genau, mit wem er da eigentlich korrespondiert. Diskutieren da noch Möchtegern-Skins mit ihren Ziehvätern? Oder bloss ein verdeckt fahndender Staatsschützer mit einem Antifa-Netzfreak und dieser mit einem Animationsjournalisten des «Blicks»? Die Paranoia gehört zu den Tücken des Netzes.

Dazu kommen Probleme mit Providern und mit der Justiz. Die Aktion Kinder des Holocaust (AKdH) macht rechtsextremen Homepages mit Erfolg das Leben schwer: mit Interventionen bei Behörden und Providern. Und das Internet-Streetworking, das mit der AKdH zusammenarbeitet, fordert «Einzelmasken», die rechte Sites betreiben, unmissverständlich zum Abschalten auf. «In einem halben Dutzend Fälle mit Erfolg», zieht AKdH-Mann Samuel Althof Bilanz. Nur einmal sei es zu einem Rückfall gekommen. Ein Vorzeige-Beispiel ist über www.akdh.ch/nsd.htm nachzulesen.

Für Rechtsextremisten kommt ein weiterer Frust dazu. Wer eine einschlägige Homepage sucht, kann leicht bei der Gegenseite landen. Wer beispielsweise bei Google «Gemeinschaft Avalon» oder «Avalon-Gemeinschaft» eingibt und «Auf gut Glück» klickt, landet nicht auf der dürftigen «Avalon»-Homepage, sondern bei einem Antifa-Artikel der Berner Zeitschrift «Megafon» über den Avalon-Anführer Roger Wüthrich beziehungsweise beim «Informationsdienst gegen Rechtsextremismus».

Das Netzwerk der Antisemiten
Einige Homepages bilden mit ihren Links allerdings eine Art Scharnier im Brachland zwischen Rechtsaussen, Rechtsextremismus und Antisemitismus, so etwa die Sites des jungen FPS-Ehrgeizlings Pascal Trost (siehe TA vom Montag) oder des Rechtsextremisten Manuel Prantl in Unterseen (einst Befreiungsfront Bödeli, jetzt Aktionsgruppe).

Eine spezielle Verlinkungsarbeit betreibt der Tierschützer Ernst Kessler. Der bundesgerichtlich anerkannte Antisemit präsidiert eine Vereinigung Internet ohne Zensur. Unter dem Vorwand, gegen jede Zensur anzutreten, führt die IOZ-Seite zu holocaustleugnenden Homepages rund um die Welt.

Wo beginnt die Öffentlichkeit?
Ein Wiederholungstäter ist auch Hans Ulrich Hertel von der Universalen Kirche. In dieser Sekte ist Judenhetze sakrosankt, so der grässliche Satz, die Juden hätten mit ihrer «satanischen Gier» den Zweiten Weltkrieg angezettelt. In einer «Proklamation Nr. 13» propagiert Hertel im Internet die gefälschten und hetzerischen «Protokolle der Weisen von Zion». Wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz sass er deswegen im Januar drei Tage in einem Berner Gefängnis. Doch Hertel delinquiert munter weiter. Sowohl über die bisherige wie über eine neue Internetadresse stossen Interessierte rasch auf das erwähnte Corpus delicti. «Hertel riskiert damit eine erneute Verurteilung», erklärte der Berner Untersuchungsrichter Jürg Zinglé gegenüber dem TA.

Der Fall Universale Kirche ist aus einem weiteren Grund von Interesse. Der Satz von der «satanischen Gier» wurde 1995 per Brief an 432 Sektenmitglieder verschickt. Das sei eine öffentliche Verbreitung, bestätigte das Bundesgericht. Dagegen wurde bis heute in keinem einzigen Fall Anklage gegen ein Nazi-Rockkonzert erhoben, Begründet wurde dies jeweils mit der «fehlenden Öffentlichkeit», obwohl diese Konzerte oft von 500 und mehr Leuten besucht werden. Und obwohl keines dieser Konzerte ohne massive Rassenhetze über die Bühne geht.

Die zahlreichen Nazi-Rockgruppen trimmen die Glatzen auf die fatale Botschaft «Hass und Gewalt gegen unsere Feinde». Kein anderes Medium indoktriniert den Nachwuchs effizienter als Rockmusik. Und ungleich folgenreicher als das schriftlich funktionierende Single-Medium Internet. Ein Skin sitzt nicht allein vor dem Bildschirm, sondern mit Kumpels vor dem Bier und besucht mit ihnen Konzerte. Dort fährt der Rassenhass ein.




© Aktion Kinder des Holocaust