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Rassistische Gedankenbrühe
Von "gekochten Negern", Nazi-Karrieren, biologisch-dynamischer Düngung in
Auschwitz und der Dekadenz des Pop: ein Buch über die dunkle Seite der
Anthroposophie Von Dirk Franke, TAZ 7.2.2000

Anthroposophen sind die in Deutschland größte und prominenteste esoterische
Bewegung. Obwohl die Gemeinschaft insbesondere durch die Waldorfschulen und
die biologisch-dynamische Demeter-Gruppe einen friedlich-sympathischen Ruf
hat, fußt sie doch auf einer tief im völkischen Denken der Jahrhundertwende
entstandenen undemokratischen Ideologie. Dieser Glaubensüberzeugung ist auch
das Denken in höheren und niederen Rassen nicht fremd. Meistens bleibt die
dunkle Gedankenbrühe in den verschroben geschriebenen Schriften des
Anthroposophie-Begründers Rudolf Steiner verborgen - manchmal allerdings
tritt sie an die Oberfläche. Der Autor Peter Bierl zeigt in seinem Buch Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister die Auswirkungen, die diese
Gedankenbrühe auf frühere und heutige Anthroposophen hat. Vor allem aber
demonstriert er , wie durch die Schriften Rudolf Steiners das
Antidemokratische tief im anthroposophischen Denken verankert wurde.

Am augenfälligsten wurde das im Nationalsozialismus. Bereits 1933 hatte der
Sekretär der Anthroposophischen Gesellschaft erklärt: "Es wird sicher etwas
Gutes dadurch entstehen." Schließlich fanden sich eine ganze Menge
An-knüpfungspunkte zwischen beiden Bewegungen: der Bezug auf Volk und Seele,
der Hass auf Materialismus und Intellektuelle, der Antikommunismus und die
Idealisierung des Germanentums. Allerdings ging es den Antroposophen auch
wie anderen völkischen Gruppen: Sie gerieten in den Widerstreit verschiedener Nazi-Größen. Immerhin hatten sie selbst einen Allmachtsanspruch, der zwar in vielem mit der Nazi-Ideologie kongruent war, aber halt nicht in allem. Und spätestens seit dem Englandflug von Rudolf Hess verlor die esoterische Bewegung an Einfluss auf die Nazi-Kader. Obwohl es Widerstand gegen Anthroposophen gab, bekamen sie immer wieder Schutz und Unterstützung von anderen Stellen im System. Führende Anthroposophen hatten keine Probleme, in der NS-Zeit Karriere zu machen. Und selbst Heinrich Himmler regte 1941 die Anlage eines wissenschaftlichen Versuchsgartens mit biologisch-dynamischer Düngung in Auschwitz an.

Das gegenseitige Verständnis ist nachvollziehbar, ist doch der Rassismus
schon in den Schriften der Anthroposophen begründet. Laut Steiner entwickelt
sich die Menschheit in sieben Wurzelrassen, die wiederum in je sieben
Unterrassen aufzuteilen sind. Jetzt und bis in die unbestimmte Zukunft
hinein seien die Arier die am weitesten entwi-ckelte Wurzelrasse, und - wie
sollte es anders sein - die nordisch-germanische Unterrasse sei die
höchs-te. Andere Rassen schneiden nicht so gut ab: Die "Ur-Semiten" haben
durch den Fluch der Ratio ihre Religiösität verloren und gehen schließlich
an "Neuerungssucht und Veränderungslust" zugrunde. "Der Neger" hingegen
werde "drinnen fortwährend gekocht" und habe deswegen ein "starkes
Triebleben". Neben Stammtischwissen schließt Steiner aber auch an die
antidemokratischen Elemente der völkischen Esoterik an. Er propagierte einen
organischen dreigliedrigen Ständestaat, in dem eine Elite der Fähigen das
Sagen habe. Demokratie nach westlichem Muster gilt als dekadent. Eine Idee,
der auch der anthroposophische Künstler Joseph Beuys anhing, dem der
Bienenstaat als Ideal galt.

Neben solchen aktuellen Exkursen widmet sich Bierls Buch vor allem den
historischen Prozessen und der zugrunde liegenden Heilslehre. Da empirische
Studien über heutige Erscheinungen fehlen, beschränkt er sich auf Beispiele.
Da wäre etwa die Tatsache, dass Fußball oder Popmusik als westlich-dekadent
an Waldorfschulen verpönt sind. Der anthroposopische Kampf gegen das
Physische reicht indes noch weiter. Denn auf dem Weg von der "niedersten
Geschlechtsliebe" zur "höchs-ten vergeistigsten Liebe" bleibt der menschliche Körper natürlich auf der Strecke. Sexualität wird genauso unverkrampft behandelt wie in der katholischen Kirche. Und so verwundert es wenig, dass ein ehemaliger Waldorflehrer die Atmosphäre an den Schulen als "erziehungsbrünstig" beschreibt. Ob jedoch trotz solch überzeugender Materialien Steiners Anhänger Peter Bierl einen blonden Haarschopf zugestehen würden, bleibt fraglich. Sie sollten es tun. Denn, so Steiner: "Die blonden Haare geben eigentlich Gescheitheit."

Peter Bierl: "Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister. Die Anthroposophie
Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik", Konkret-Literatur-Verlag, Hamburg
1999, 272 Seiten, 39 Mark

Das Vorwort zum Buch

taz Hamburg Nr. 6061 vom 7.2.2000 Seite 23 Kultur 63 Zeilen
Kommentar Dirk Franke




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