Anthroposophie
zum Zweiten
Vortragsabend zum Thema "Rassenlehre ohne Rassismus?"
Jüdische Rundschau, 10. Februar, 2000
von Esther Müller
Am vorvergangenen Dienstag fand im
vollbesetzten Basler Kartäusersaal ein Vortragsabend zum Thema
"Anthroposophie: Rassenlehre ohne Rassismus?" statt. Organisiert
von der "Aktion Kinder des Holocaust" sassen mit dem österreichischen
Filmemacher und Autor Petrus van der Let und dem Politologen und Journalisten
Peter Bierl zwei auf dem Podium, die sich Kritisch mit der Lehre Rudolf
Steiners auseinandersetzen.
Als dann die Diskussion unter der
Moderation des Wochenzeitung-Redaktors Stefan Keller eröffnet wurde,
zeigte sich sehr schnell, dass die im Publikum anwesenden Anthroposophen
und Anthroposophinnen nicht gewillt waren, auf die dargestellten rassistischen
Tendenzen in der Lehre Steiners einzugehen. Es wurde in diesem Gespräch
auf Nebenschauplätzen gefochten.
Da ging es um Organisationsform und Themenauswahl des Abends, darum,
dass kein Vertreter der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft
auf dem Podium sass, bis hin zur Behauptung, nur wer die Grundprämissen
der Steinerschen Lehre anerkenne, könne überhaupt über
Inhalte urteilen. Es wurde einmal mehr auf Zitaten herumgeritten und
darauf hingewiesen, diese seien ohne ihren Zusammenhang nicht zu verstehen.
Nur einen Ton suchte man vergebens in den Voten: den der Selbstkritik.
Das eigentliche Thema, Rassismus
und Antisemitismus wurde nicht einmal erwähnt - geschweige denn
Bezug genommen auf die von Bierl zitierten, nach dem Zweiten Weltkrieg
geschriebenen Sätze von führenden Anthroposophen, die den
Holocaust als karmisches, d.h. in der Konsequenz als ein zwangsläufiges
und ausserhalb der menschlichen Einflusskraft liegendes "Ereignis"
kategorisieren.
Es war diese Haltung der Ignoranz
gegenüber der Geschichte, die denn auch u.a. den Kirchengeschichtler
Professor Stegemann dazu brachte, nach einem feurigen Votum den Abend
vorzeitig zu verlassen. Es sollten andere folgen.
Am Ende der Veranstaltung musste den auch Stefan Keller feststellen,
dass von einem Fortschritt im Dialog an diesem Abend keine Rede sein
konnte. Die Redner an diesem Abend hatten etwas zu leisten, das schwierig
war. Die Traditionslinien des Denkens, die u.a. zu Rudolf Steiners Lehre
führten, sind komplex - sie in ihren ganzen Zusammenhängen
einordnen zu können und zu verknüpfen bedingt eine intensive
Auseinandersetzung. Peter Bierl ist dies ausgezeichnet und fundiert
gelungen. Es ist zu bedauern, dass kein Gespräch, das den Namen
verdient hätte ,stattgefunden hat.
Geblieben ist nach diesem Abend ein
schaler Nachgeschmack. Wer derart unfähig ist, Kritik zuzulassen,
hinterlässt einen sektiererischen Eindruck - da nützt alle
Erkenntnisfähigkeit nichts mehr.