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       75 Jahre nach Rudolf Steiners 
        Tod: 
        Die Anthroposophie muss sich der Rassismus und Antisemitismus-Kritik stellen 
         
        Von Fritz Imhof 
        aus Reformierte Presse Nr.7, 2000 
         
        Es ist wie ein Gewitter über die Anthroposophie hereingebrochen. 
        1991 wurde das 1931 in Basel erstmals gedruckte Buch "Das Rätsel 
        des Judentums" des Anthroposophen Ludwig Thieben vom anthroposophischen 
        Perseus-Verlag neu aufgelegt. Der in einer jüdischen Familie aufgewachsene 
        Thieben war zuerst zum Christentum konvertiert und dann Anthroposoph geworden. 
        Thieben vertritt die These, weil das Judentum mit der Entstehung des Christentums 
        seine geschichtliche Mission erfüllt habe, existiere es nur noch 
        als dessen "Schatten" weiter. Die Existenz des Judentums sei 
        unberechtigt.  
         
        Thieben kann sich die weitere Existenz von "Juden" nur mit dem 
        Rückgriff auf antijüdische Stereotypen wie "Blindheit", 
        "Verstockung", "Verblendung" erklären. Der Verleger 
        streute eigens noch Salz in die Wunden mit einem Vorwort, in dem er in 
        das Leiden der Juden im Holocaust einen Sinn interpretierte. Die Thesen 
        des Verlegers gipfeln in der Vorstellung, dass das Leiden und die Morde 
        in der Schoa uns die Augen öffnen sollen für die "Grosstaten" 
        Christi, von denen Herzl geträumt habe: "So könnte der 
        beste, sich fortentwickelnde Teil des Judentums sein, der dem Deutschtum 
        in Zukunft bei der Verwirklichung seiner wahren Aufgaben beisteht." 
        (S. 254) Diese Theorie ist für heutige Beobachter nicht nur abwegig. 
        Sie verletzt nach den Worten von Pfr. Nico Rubeli-Guthauser, die Ehre 
        der Toten. "Die Opfer sollen ihren Sinn in der Tradition der Täter 
        erhalten?!" protestiert der Leiter der "Christlich-jüdischen 
        Projekte" (Basel). 
         
        Verstoss gegen das ARG? 
        Wegen Verdachts auf einen Verstoss gegen das Anti-Rassismus-Gestz (ARG) 
        kam das Buch ins Gespräch. Zu einer Anklage kam es unter anderem 
        deshalb nicht, weil sich Exponenten des jüdisch-christlichen Dialogs 
        für eine didaktische Aufarbeitung des Problems aussprachen, so Pfr. 
        Nico Rubeli-Guthauser in einer Expertise, die von der Staatsanwaltschaft 
        zitiert wurde. Doch die Anthroposophen wurden nun von jüdischen Kreisen 
        und jüdisch-christlichen Organisationen zur Verantwortung gerufen. 
         
        Bereits für den 9. Juni 1998 war ein Gesprächsforum mit Anthroposophen 
        angesagt. Doch die Gesprächsteilnehmer warteten im Regenz-Zimmer 
        der Universtität Basel vergeblich auf die Vertreter der Anthroposophischen 
        Gesellschaft (AAG). Diese hatten kurzfristig zurückgezogen mit der 
        Begründung, Anthroposophen hielten den Einstieg in das Gespräch 
        über das neu aufgelegte Buch von Ludwig Thieben "Das Rätsel 
        des Judentums" nicht für sinnvoll. Sie wollten nicht mit einem 
        "Streitgespräch" beginnen.  
         
        Am 7. September 1999 war ein neuer kontradiktorischer Anlass zum Thema 
        "Antisemitismus, Rasssismus und Sexismus in der Anthroposophie" 
        angesagt, organisiert von der "Aktion Kinder des Holocausts (AKdH)" 
        und linken Parteien in Basel. Er scheiterte, weil der kurzfristig eingesetzte 
        Anthroposoph Stefan Leber von der Gegenseite nicht akzeptiert wurde. Man 
        warf ihm extreme Positionen zur Rassenfrage vor.  
         
        Endlich ein erstes Treffen 
        Nun fühlte sich die "Anthroposophische Gesellschaft, Zweig am 
        Goetheanum" zum Handeln genötigt. Am 18. Januar 2000 lud sie 
        in den ehrwürdigen "Grundsteinsaal" des Goetheanums in 
        Dornach zu einem "Podium zur Verständigung von Judentum und 
        Anthroposophie" ein. Der Judentumskenner Ekkehard Stegemann analysierte 
        vor einem vorwiegend anthroposophischen Publikum Äusserungen nicht 
        nur von Rudolf Steiner, sondern auch von den anthroposophischen Autoren 
        Ludwig Thieben und Karl König. Alle drei hätten den Antisemitismus 
        abgelehnt und trotzdem antijüdische und antisemitische Vorurteile 
        tradiert, sagte Stegemann. Ein entscheidendes antijüdisches Stereotyp 
        sieht Stegemann vor allem in der seit Steiner nachweisbaren Auffassung, 
        dass "jüdische Existenz zu verschwinden habe, weil sie nach 
        Christus nicht mehr legitim wäre."  
         
        Schlimmer noch als Steiner hat sich der Wiener Arzt und Heilpädagoge 
        Karl König ausgedrückt, für den das Judentum nur die Aufgabe 
        hatte, 2000 Jahre in unentwegter Zeugenschaft für den Christus dazusein: 
        "Was in den letzten Jahrzehnten geschehen ist, ist die opfernde Begründung 
        eines neuen Christentums, das durch Geisteswissenschaft allein erfassbar 
        und erkennbar sein wird", sagte König über die Judenverfolgungen, 
        was Stegemann mit der Schlussbemerkung quittierte: "Vor solch einer 
        Geisteswissenschaft ... graut mir." 
         
        Steiner kein Antisemit ... 
        Dennoch stimmte Stegemann mit seinem anthroposophischen Koredner Andreas 
        Heertsch, Vorstandsmitglied des "Zweiges am Goetheanum" (Dornach), 
        in der Feststellung überein, dass Steiner kein Antisemit gewesen 
        sei. Heertsch erklärte sie "aus der Stimmung seiner Zeit und 
        dem jugendlichen Vergnügen an drastischen Formulierungen" bei 
        Steiner heraus. Er räumte ein, "diesbezügliche problematische 
        Aussagen Steiners" seien "im historischen Kontext verständlich, 
        aber nach dem Holocaust nicht mehr vertretbar." 
         
        Ratlosigkeit hinterliess Heertsch allerdings mit der Frage: "Warum 
        muss das jüdische Volk Jahrhundert um Jahrhundert leiden, nicht nur 
        unter Christen, auch unter Muslimen, Kommunisten und sicher auch noch 
        unter andern Gruppierungen?" Darauf angesprochen erklärte Heertsch, 
        dass er, um das Judentum und seine Geschichte besser zu verstehen, eine 
        angemessenere Antwort suche, als er sie von der Kirche vermittelt erhalte. 
        Antisemitismus müsse durch gegenseitiges Verständnis, nicht 
        bloss durch Sprachregelung überwunden werden. 
         
        Eine provozierende Frage 
        Heertschs Frage trieb Vertreter der Aktion Kinder des Holocausts (AKdH) 
        auf die Barrikaden. Sie machten ihm den Vorwurf, er wolle dem Leiden des 
        jüdischen Volkes unausgesprochen einen Sinn geben. Diese Fragestellung 
        verneine, dass der Antisemitismus selbst die Ursache für das Leiden 
        sei. Im Namen seiner Organisation forderte Samuel Althof, bei weiteren 
        Veranstaltungen müsse von den Anthroposophen "eine deutliche 
        Selbstkritik bezüglich antisemitischer Denkstereotypen in der Anthroposophie 
        zum Tragen kommen." 
         
        Eine solche Veranstaltung fand dann bereits am 1. Februar in Basel statt, 
        zu der die Kinder des Holocausts (AKdH) den Münchner Journalisten 
        und Politologen Peter Bierl sowie den Wiener Autor und Filmemacher Petrus 
        van der Let eingeladen hatten. Anthroposophische Koreferenten zur Frage 
        "Anthroposophie: Rassenlehre ohne Rassismus" waren nicht auf 
        dem Podium. Moderiert wurde der Abend von Stefan Keller, Autor von "Grüningers 
        Fall". 
         
        "Obskure Rassenlehre" 
        Peter Bierl erläuterte im Bürgerlichen Waisenhaus die Rassentheorie 
        von Steiner und lieferte Belege dafür, dass sich durch das ganze 
        Steinersche Denken hindurch rassistische Gedanken finden liessen. Er zeigte 
        dies an der "Wurzelrassenlehre" Steiners auf, die den blonden 
        europäischen Arier als Höhepunkt einer Entwicklung sieht, die 
        insbesondere Indianer, Schwarze, Asiaten und Juden nicht erreicht haben. 
        Eine Rolle spielt in diesem evolutionistischen Denken der angeblich versunkene 
        Kontinent Atlantis, aus dem sich die verschiedenen Rassen hochentwickelt 
        hätten, am höchsten die europäisch-arische. Spuren dieser 
        Leere seien auch in Steinerschulen zu finden, so zum Beispiel im Unterrichtsfach 
        Weltgeschichte der 5. Klasse in der Rudolf Steiner Schule Birseck bei 
        Dornach.1) Laut Bierl vertrat Steiner eine "obskure Rassenlehre", 
        von der es von Seiten der Anthroposophischen Gesellschaft bis heute keine 
        Distanzierung gebe.  
         
        Laut Petrus van der Let, der mehrere Dokumentarfilme zur Geschichte des 
        Antisemitismus, zum Beispiel über "Hitlers Religion", gedreht 
        hat, waren sowohl Rudolf Steiner wie sein Zeitgenosse Adolf Jörg 
        Lanz von Liebenfels fanatische Wagnerianer. Richard Wagner jedoch habe 
        ein vernichtendes Urteil über die Juden gefällt und bereits 
        von einem judenfreien Deutschland gesprochen. Zu dieser Zeit habe sich 
        ganz allgemein rassisches und antisemitisches Gedankengut entwickelt, 
        ohne dass jemand der Tendenz gewehrt habe. Van der Let zog Parallelen 
        zur heutigen politischen Situation in Österreich. 
         
        Kommt es zur Distanzierung? 
        Van der Let forderte die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft (AAG) 
        auf, sich von der Rassenlehre des Gründervaters zu distanzieren. 
        Die holländischen Anthroposophen hätten diesen Schritt aufgrund 
        öffentlicher Kritik bereits getan. Wenn die Kritik bei der Anthroposophischen 
        Gesellschaft nicht von innen kommen, werde sich der äussere Druck 
        verstärken und wie eine Lawine losgehen, warnte van der Let. 
         
        Die Äusserungen anwesender Anthroposophen liessen allerdings nicht 
        darauf schliessen, dass dieser Prozess im deutschsprachigen Raum bereits 
        eingesetzt hätte. Sie forderten weitere Belege und eine Diskussion 
        von Detailfragen. Eine anthroposophische Teilnehmerin wies ausserdem darauf 
        hin, dass gemäss anthroposophischem Verständnis die eigenen 
        Schriften nur von Leuten verstanden werden könnten, die auch die 
        erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der anthroposophischen Lehre akzeptierten. 
         
        Gegenüber der Reformierten Presse erklärte dazu Andreas Heertsch, 
        zwar kenne auch die Anthroposophie methodische Voraussetzungen für 
        die wissenschaftliche Auseinandersetzung. Hier handle es sich aber um 
        eine gesellschaftliche Bewertung von Äusserungen, der sich die Anthroposophie 
        zu stellen habe. Dass die Anthroposophen zu diesen Fragen "so schwerfällig 
        reagieren", liege daran, dass die heute thematisierten Aussagen in 
        der anthroposophischen Bewegung "völlig unbekannt" seien. 
        "Wir Anthroposophen müssen allerdings zur Kenntnis nehmen, dass 
        es diese problematischen Aussagen in der anthroposophischen Literatur 
        gibt und uns damit auseinandersetzen", räumte Heertsch ein. 
        Sie seien zwar aus dem damaligen Kontext verständlich, aber heute 
        nicht mehr vertretbar. In der Zeit des Nationalsozialismus habe es in 
        der Anthroposophie sowohl Distanzierung wie auch Opportunismus gegeben. 
        Heertsch erinnerte jedoch daran, dass die Anthroposophie von den Nationalsozialisten 
        verboten worden sei mit der Begründung, Rudolf Steiner sei ein Judenfreund 
        gewesen.  
         
        Eine offizielle Distanzierung von den antisemitischen und rassistischen 
        Aussagen ist laut Heertsch unmöglich, weil es dazu kein Gremium gebe, 
        das für alle Anthroposophen sprechen könne. Die Allgemeine Anthroposophische 
        Gesellschaft (AAG) habe allerdings im März 1998 durch ihren Vorstand 
        erklärt, dass sie "jede Art von Diskriminierung, insbesondere 
        jegliche Form von Antisemitismus ablehnt." Zur Rassenlehre von Rudolf 
        Steiner sagte Heertsch, Steiner sei später unglücklich über 
        den Begriff "Rasse" gewesen und habe ihn auch nicht mehr gebraucht. 
        Er habe dann von "Kulturepochen" gesprochen. Das Grundanliegen 
        der Anthroposophie sei die Entwicklung des Individuums, wobei Unterschiede 
        zwischen verschiedenen Menschengruppen nicht übersehbar seien. Zum 
        Zitat aus dem Schulheft an der Rudolf Steiner Schule in Birseck erklärte 
        Heertsch, er habe - obwohl in diesem Zitat keine Diskriminierung erkennbar 
        sei - die Lehrkräfte der Schule gebeten, inskünftig den Begriff 
        Rasse nicht mehr zu verwenden. Heertsch stellt diesbezüglich auch 
        an den Schulen einen Denkprozess fest. Er sprach die Bitte aus, den Anthroposophen 
        für die Verarbeitung dieses Vergangenheitskapitels Zeit zu lassen. 
         
        Gewisses Verständnis ... 
        Dass sich die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft mit ihrer Vergangenheitsbewältigung 
        schwer tut, dafür hat zumindest Nico Rubeli-Guthauser ein gewisses 
        Verständnis. Auch die christlichen Kirchen hätten sich mit der 
        Aufarbeitung der antisemitischen Vergangenheit schwer getan oder täten 
        es noch. Auch sie hätten für diesen Prozess ihre Zeit gebraucht. 
        Trotzdem könnten die Anthroposophen letztlich auch einer Theoriekritik 
        nicht ausweichen. Die protestantischen Kirchen zum Beispiel hätten 
        hingegen gelernt, sich von den antisemitischen Aussagen der Reformatoren 
        zu distanzieren, ohne das Gute zu verwerfen.  
         
        Dieser Prozess müsse von den Anthroposophen deshalb verlangt werden, 
        weil es dem Aufkommen eines neuen Antisemitismus zu wehren gelte. Wichtig 
        sei jedoch, dass sie den Willen aufbrächten, sich dem Problem zu 
        stellen.  
         
        Heertsch kann attestiert werden, dass er einen Anfang gemacht und den 
        Willen zur Fortsetzung des Prozesses bekundet hat. 
         
        Anmerkung 
        1) "Zwischen Europa und Amerika, wo sich heute ein grosses Meer befindet, 
        gab es einmal einen Erdteil, Atlantis genannt. Die Erde war damals weicher, 
        die Luft aber dichter und von Nebel durchzogen. Eine wuchernde Pflanzenwelt 
        bedeckte den Boden. In langen Zeiträumen entstanden verschiedene 
        Menschenrassen, deren Nachkommen heute in den schwarzen, roten, gelben 
        und weissen Völkern anzutreffen sind. Damals hatten die Menschen 
        noch einen weichen bildsamen Leib ..." 
         
          
         
        Kasten 
        Die Christengemeinschaft 
        1922 wird die "Christengemeinschaft" als religiöser Flügel 
        der Anthroposophie unter Friedrich Rittelmeyer begründet. Steiner 
        selbst wird nicht Teil der Christengemeinschaft, weil seine Anthroposophie 
        ja Wissenschaft, nicht Religion sein will. Dennoch entwirft Steiner den 
        Kultus der Christengemeinschaft bis ins Detail hinein. Der Christengemeinschaft 
        liegt ein durch und durch ritualistisches Verständnis des Christentums 
        zugrunde, worauf es ankommt, das ist der Kult, die Messe in katholischer 
        Tradition, die allerdings in Menschenweihehandlung umbenannt wird. Die 
        protestantische Idee des Vorrangs des Wortes vor dem Kult wird scharf 
        abgelehnt. Dabei geht es in Steiners Verständnis des Christentums 
        nicht um Erlösung des Menschen, sondern um die Gewährung der 
        Selbsterlösung. Ein stellvertretendes Opfer ist ausgeschlossen. Jeder 
        muss seine Sünden nach dem Karmagesetz selbst büssen. 
        Die Bibel ist als "Urkunde" von Interesse, Glaubensbasis kann 
        sie aber nicht sein. Basis ist vielmehr die "geisteswissenschaftliche" 
        Forschung, also das Werk Rudolf Steiners. Die Christengemeinschaft kann 
        in den folgenden Jahren einigen Erfolg verzeichnen, wobei sich aber lange 
        nicht alle Anthroposophen dieser anschliessen. An den Steinerschulen existiert 
        deshalb neben dem Religionsunterricht der Kirchen und der Christengemeinschaft 
        auch ein freier anthroposophischer Religionsunterricht.  
        (Georg Otto Schmid, 1999) 
         
         
          
        Kasten 
        Wie christlich ist die Anthroposophie? 
        Die Frage, ob die Anthroposophie als christlich bezeichnet werden kann, 
        wird sehr unterschiedlich beantwortet. Die Anthroposophie selbst betont, 
        christlich zu sein, ja die Form des Christentums darzustellen, die für 
        unsere Zeit angemessen ist. Die Frage ist für Anthroposophen also 
        nicht, ob die Anthroposophie christlich ist, sondern eher ob die Kirchen 
        dies noch sind. Für den Protestantismus, insbesondere den liberalen, 
        verneint Steiner die Christlichkeit. Manche landeskirchlichen Menschen, 
        auch Theologen, sehen eine grosse Nähe zwischen Christentum und Anthroposophie. 
        Die Lehren Steiners scheinen ihnen eine Möglichkeit zu sein, Christentum 
        heute plausibel zu vertreten. Andere weisen darauf hin, dass die Anthroposophie 
        die Bibel nicht als Grundlage kennt, wichtige Lehren des Christentums, 
        etwa diejenige der Dreieinigkeit, verwirft und Lehren als wesentlich vertritt, 
        die die Bibel nicht kennt, so die Theorie von Reinkarnation und Karma. 
        Die Anthroposophie erscheint ihnen als westöstliche Mischreligion. 
        Religionsgeschichtlich gesehen muss zum einen betont werden, dass Rudolf 
        Steiner das Christentum ein grosses Anliegen war. Es ging Steiner darum, 
        das Christentum durch die Zeit des Materialismus hindurchzuretten und 
        auf eine neue, plausible Basis zu stellen.  
        Andererseits hat Steiners Fassung des Christentums mit biblischem Christentum 
        tatsächlich sehr wenig gemein. Steiner verlässt die Grundlagen, 
        die die verschiedenen christlichen Kirchen verbinden, die Bibel und das 
        apostolische Glaubensbekenntnis, und ersetzt sie durch eigene Schau. Der 
        Anspruch der Wissenschaftlichkeit dieser Schau ist nicht zu erhärten, 
        solange Intersubjektivität und Reproduzierbarkeit der Erkenntnisse 
        nicht gegeben sind. Religionsgeschichtlich gesehen kann die Anthroposophie 
        deshalb als christliche Neuoffenbarer-Gemeinschaft in theosophischer Tradition 
        bezeichnet werden. Der Dialog zwischen Kirchen und Anthroposophie muss 
        deshalb kein unfreundlicher sein. Die grossen Differenzen, die bestehen, 
        sollten aber m. E. nicht voreilig überspielt werden.  
        (Georg Otto Schmid, 1999) 
      
        
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