Vernetzt gegen die vernetzte
Rechte
"Webring" soll Gegengewicht gegen das
rechtsradikale Treiben im Internet sein
Von Jutta Heeß
Frankfurter Rundschau 5.3.2000
Das in Deutschland verbotene Buch
"Mein Kampf" von Adolf Hitler lässt sich problemlos aus
dem Internet herunterladen; auf Websites mit antisemitischen und gewaltverherrlichenden
Inhalten stößt man hin und wieder sogar per Zufall - ohne
gezielt nach ihnen gesucht zu haben: Rechtsextreme haben längst
gelernt, die Vorteile des weltweiten Datennetzes für ihre Zwecke
zu nutzen. Die ungehinderte Verbreitung von rechtem Gedankengut via
Internet ist ein Problem, das fast genauso alt ist wie die Erfindung
des Webs. Im Grunde ein Geburtsfehler, denn die Kontrolle des unüberschaubaren
Datendschungels, das war von Anfang an klar, ist unmöglich. Die
Schweizer "Aktion Kinder des Holocaust" (AKdH), ein internationaler
Zusammenschluss von Nachkommen Holocaust-Überlebender, will das
rechte Treiben im Netz wenigstens eindämmen.
"Es ist ein Kampf gegen Windmühlen",
beschreibt Samuel Althof, ein Sprecher der Aktion, die Bemühungen.
Denn wie bekommt man Homepages mit bedenklichen Inhalten raus aus dem
Netz? "Wir fungieren wie eine ,Pressure Group'. Das heißt,
wir üben Druck auf die Provider aus, indem wir an die Öffentlichkeit
bringen, welches Gedankengut sie anbieten", erklärt Althof.
Oft wiesen diese allerdings jegliche Verantwortung von sich, so dass
die Seiten nach wie vor zugänglich seien. Die Sisyphos-Arbeit ist
aber nicht immer vergeblich: So wurden auf Initiative der AKdH bereits
rassistische Seiten eliminiert. Auch der Online-Buchhändler amazon.de
reagierte im vergangenen Jahr auf das Drängen der AKdH und nahm
die englischsprachige Version von "Mein Kampf" aus seinem
Angebot.
Ein bloßer Achtungserfolg angesichts
dessen, was immer noch im Netz kursiert? "Unser eigentliches Ziel
ist es, ein weit verbreitetes Problembewusstsein zu schaffen",
unterstreicht Althof. Dazu hat die AKdH kürzlich einen "Webring"
ins Leben gerufen. Auf dem "Holocaust-Ring" können sich
Anbieter, die sich der Thematik Holocaust und Shoah widmen, registrieren
und miteinander vernetzen lassen: Der Webring bietet jeweils Links zu
den entsprechenden Seiten. So soll eine umfangreiche Datenbank - ein
Netz im Netz - entstehen, die die Orientierung im Internet erleichtert.
(Unter www.webring.de finden sich Navigationshilfen zu einer Vielzahl
von Themen.) "Wir möchten damit eine bessere Vernetzung der
Thematik im Web erreichen" sagt Althof, der den Ring verwaltet
und die aufzunehmenden Seiten prüft. Der Holocaust-Ring der AKdH
ist im deutschsprachigen Bereich einzigartig; unter www.webring.org
gibt es vergleichbare Linksammlungen, die englischsprachige Seiten zusammenfassen
- so zum Beispiel der "Jewish Ring" mit 605 Einträgen.
Dem Holocaust-Ring beigetreten sind in den ersten Tagen bereits elf
Anbieter - u.a. die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die
linke Deutschschweizer Wochenzeitung WOZ und natürlich der AKdH
(www. akdh.ch). Althof zufolge stecken allerdings noch viele Interessenten
in der Anmeldeschleife. In Laufe des nächsten Monats rechnet er
mit einer Erweiterung auf 50 bis 60 Seiten. Der Ring könnte dann
zu einer Art Gütesiegel für deutschsprachige Seiten werden,
die sich mit dem Holocaust ernsthaft auseinandersetzen. Denn neben den
offensiv rechtsradikalen Seiten schlummern auch - oft in ihrer Brisanz
unterschätzte - scheinwissenschaftliche Seiten im Web, die den
Holocaust mit angeblichen "Fakten" zu relativieren trachten.
Inzwischen scheint das Problem auch Eingang in die Politik zu finden:
Im Sommer soll in Genf eine Konferenz über Rassismus im Internet
stattfinden.
Frankfurter Rundschau 2000
Dokument erstellt am 05.03.2000 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 06.03.2000