AUSNAHMEN SIND DIE
REGEL
Die moderne Genetik widerlegt den Rassismus
von Christian Schüller
Wir
publizieren diesen Text mit der freundlichen Genehmigung des Alibri
Verlag, Aschaffenburg
Über eine Frage
konnten sich die Anhänger der 'Rassenlehre' nie einigen: Wieviele
'Rassen' gibt es eigentlich ? Schon Charles Darwin hat sich über
diese 'größtmögliche Meinungsverschieden- heit'
unter seinen Forscherkollegen Gedanken gemacht, nicht ohne Ironie.*
Gab es nun zwei Rassen, wie Jean-Joseph Virey behauptete, oder vier,
wie Immanuel Kant meinte ? Fünf - nach Blumenbach -, sechs
(Buffon), sieben (Hunter), acht (Agassiz), elf (Pickering), fünfzehn
(Bory St. Vincent), sechzehn (Desmoulins), zweiund-zwanzig (Morton),
sechzig (Crawford) oder nach Burke dreiundsechzig Arten oder Rassen
?
Die moderne Genetik hat darauf eine verblüffend einfache Antwort:
'Es gibt 6 Milliarden Rassen - soviele Rassen wie Menschen!' Man
weiß heute, daß die Menschen viel verschiedener sind,
als man sich bisher vorstellen konnte, zugleich aber viel enger
miteinander verwandt.
Ein paradox scheinendes Ergebnis, das Darwin vor 150 Jahren zwar
vorausahnte, aber mit den Mitteln seiner Zeit nicht beweisen konnte.
Und selbst wenn es ihm gelungen wäre, die Rassenlehre als Mythos
zu entlarven, der mit Naturwissenschaft so wenig zu tun hat wie
die biblische Erzählung von Adam und Eva, so hätte das
zwanzigste Jahrhundert für diese Erkenntnis wohl keine Verwendung
gehabt.
EINE GENETISCHE VISITENKARTE
Darwin und seine Zeitgenossen
konnten noch nicht wie die moderne Genetik in die kleinsten Bausteine
des Lebens blicken. Ihre Einteilungen der Menschen beruhten auf
einigen wenigen
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* "The Origin of Species", London 1871
äußeren
Merkmalen wie Hautfarbe, Größe, Kopfform. Die Genetik
aber kann mit ihren verfeinerten Werkzeugen eine Vielzahl von Erbmerkmalen
identifizieren, die nicht sichtbar sind. Und kommt dabei auf Ergebnisse,
die unsere bisherige Vorstellung von Vielfalt völlig sprengen
!
Jeder von uns ist demnach Träger einer 'genetischen Visitenkarte'
von gigantischen Dimensionen. Unser 'Name' entspricht einem Wort,
das mindestens 3 Millionen Zeichen lang wäre, geschrieben in
einem Alphabet mit bis zu tausend Buchstaben ! Und jeder Name -
so die Genetiker - kommt unter den Menschen nur ein einziges Mal
vor.
Greifen wir nur drei biologische Merkmale heraus, die in der Medizin
eine große Rolle spielen: die Blutgruppe, den Rhesus-Faktor
und die HLA-Gruppe (Human Leucocyte Antigen), die bestimmt, ob wir
ein Organtransplantat vertragen oder nicht.
Das Blutgruppen-Gen kommt, wie wir wissen, in 3 Varianten vor (A,
B, 0), der Rhesus-Faktor in 2 Varianten (+ oder -) und die HLA-Gruppe
eines Menschen wird von einer Kombination von 6 Genen bestimmt,
die wiederum zwischen 19 und 61 Varianten aufweisen.
Geht man nur von diesen 3 Erbmerkmalen aus, kommt man auf 1.291.178.228.421.950.000
mögliche Kombinationen - und genausoviele Individuen, die sich
voneinander unterscheiden, das sind weit mehr als zur Zeit auf der
Erde leben.* Dabei hat jeder von uns weitaus mehr genetische Merkmale
als die drei genannten.
Beeindruckende Zahlen....
Aber kann man damit unsere Alltags-erfahrung in Frage stellen ?
Können wir einen Fremden nicht meist mit freiem Auge als Japaner,
Araber oder Skandinawier identifizieren, und kommt es nicht sehr
selten vor, daß wir uns dabei irren ? Kann man daraus nicht
schließen, daß unsere Klischees ziemlich verläßlich
sind ? Will die moderne Wissenschaft das alles in Abrede stellen
?
Das läßt
sich nicht so einfach beantworten, erwidert die Genetik. Zunächst
kommt es einmal darauf an, was wir genau meinen, wenn wir im Alltag
zwei Individuen oder Gruppen miteinander vergleichen. Beobachten
wir Menschen, die wir nicht kennen, verbinden wir unwillkürlich
Aussehen und Verhalten, also biologische und kulturelle Faktoren.
KÖNNEN WIR NUR BIS 3 ZÄHLEN ?
Einerseits bestätigt
unsere Beobachtung immer das, was wir sehen wollen - Freund oder
Feind. Andererseits gehen wir offenbar unbewußt von einer
Faustregel aus: Je mehr sich jemand äußerlich von uns
unterscheidet, desto weniger meinen wir biologisch mit ihm 'verwandt'
zu sein.
Woran aber messen wir diese biologische Ähnlichkeit ? fragt
der Genetiker. Und wie wir noch sehen werden, hat er gute Gründe,
unserer alltäglichen Beobachtungsgabe zu mißtrauen. Unser
Bild von der Wirklichkeit ist nämlich immer eine extreme Verein-fachung
- eine Karikatur.
So kommt es, daß Europäern, die noch nie in China waren,
alle Chinesen zum Verwechseln ähnlich erscheinen. Die Erfahrung
zeigt, daß es Menschen aus weit entfernten Kulturkreisen mit
uns nicht anders ergeht.
Würden wir ein fremdes Gesicht aber langsam nach einzelnen
Gesichtspunkten untersuchen - es gleichsam "auseinander-nehmen"
wie das Kriminalisten bei der Erstellung eines Phantom-bildes tun,-
so würden wir entdecken, daß viele Merkmale zu ganz verschiedenen
"Rassen" passen. Und das würde uns einen ersten Hinweis
darauf geben, daß dieser Mensch - wie jeder andere übrigens
- eine sehr weitverzweigte Geschichte haben muß.
So systematisch gehen wir aber im Alltag nicht vor. Denn zwei Gruppen
nach mehreren Kriterien gleichzeitig zu vergleichen (zum Beispiel
nach Hautfarbe und Körpergröße), setzt bereits eine
aufwendige mathematische Operation voraus. Unser praktischer Hausverstand
wäre mit einer solchen Aufgabe mit Sicherheit überfordert.
Deshalb wenden wir
im Alltag einen Trick an, um uns das Leben zu erleichtern: Wir setzen
ein bestimmtes Merkmal - zum Beispiel die Hautfarbe - an die erste
Stelle und ordnen zunächst einmal danach die Personen. Danach
wenden wir das nächste Merkmal
an und bilden Untergruppen usw...Die Reihenfolge, in der wir dabei
vorgehen, ist willkürlich, dementsprechend auch das Resultat.
Wir wissenschaftlichen Banausen können uns damit begnügen,
oberflächliche Beobachter von Gesichtern zu sein, ohne daß
ein Irrtum fatale Konsequenzen für unser Überleben hätte.
Aber der Naturwissenschaft ist lange Zeit auch nicht mehr eingefallen
als uns, auch sie tappte - bis zur Entwicklung der Genetik - im
Dunkeln.
Einerseits wollte man die Menschen in eine Rangordnung bringen,
das entsprach der vorherrschenden Ideologie: Platz für den
Weißen Mann ! Andererseits fand man keine brauchbaren Kriterien,
auf denen man eine solche Wertung aufbauen konnte.
So verfiel man darauf, Köpfe zu vermessen, und in Lang- und
Rundschädel einzuteilen. Nur mußte man feststellen, daß
beide Typen in allen Bevölkerungsgruppen vorkommen.
Auch die Gruppierung der Menschen nach der Hautfarbe löste
nicht das Problem. Die Übergänge zwischen hell und dunkel
sind innerhalb jeder Bevölkerung fließend. Und die Hellsten
in der dunklen Gruppe sind heller als die dunkelsten in der hellen
Gruppe.
Nehmen wir ein anderes äußeres Merkmal, die Körpergröße.
Gehen wir von Durchschnittswerten aus, so sehen wir, daß die
Bewohner gemäßigt-kalter Klimazonen ebenso wie die Wüstenbewohner
größer sind als die Menschen, die in tropischen Regenwäldern
oder im polaren Bereich leben.
Bei einem Größenvergleich zwischen etwa 100 Franzosen
und genausovielen Ketschua lag die Durchschnittsgröße
der gemessenen Franzosen bei 175,2 cm, die der Ketschua bei 157,9.
Aber die Größten der Kleinen sind mit 170 cm immer noch
größer als die Kleinsten der Großen(160). Noch
dazu kann sich die Körpergröße rasch ändern,
von einer Generation auf die nächste.
Selbst wenn man sich
auf Durchschnittswerte beschränkt, bleibt die Frage, in welcher
Reihenfolge man die Unterscheidungsmerkmale berücksichtigen
sollte. Teilt man zuerst nach Hautfarbe ein und danach nach Körpergröße,
oder zuerst nach der Schädel-form und erst in zweiter Linie
nach der Hautfarbe ? Im neunzehn-ten Jahrhundert schlug jeder Forscher,
wie Darwin bemängelt hat, seine eigene Einteilung vor, und
die Zahl der Kategorien und Subkategorien wuchs ins Groteske....
DIE MOLEKULARUHR
Das 20. Jahrhundert
brachte für die "Rassenlehre" zwei wesentliche Erfahrungen:
Erstens daß sie sich hervorragend dazu eignet, die halbe Menschheit
zu vernichten und zweitens, daß sie wissenschaftlich unbrauchbar
ist - Letzteres hat sich aber nur unter den Experten herumgesprochen,
und das erst sehr spät.
Denn zunächst schienen die neuen, präziseren Methoden
von Biochemie und Genetik die "Rassenlehre" zunächst
sogar zu unterstützen. Wenn man nämlich die kleinsten
Bausteine des Lebens erforschen konnte, war es auf einmal denkbar,
viel mehr Dinge zu messen und zu zählen als nur eine Schädeldecke.
Vielleicht würde es am Ende doch noch gelingen, die Menschheit
auf einem schönen, übersichtlichen Baum darzustellen,
mit fixen Stammplätzen für die unterschiedlichen "Rassen".
Darwins Begriffe "Evolution" und "Überleben
des Geeignetsten" hatten inzwischen das Bewußtsein ganzer
Generationen geprägt. Wo Evolution ist, dachten Darwins Kinder
und Enkelkinder, muß es doch ein Oben geben, und damit auch
ein Unten.
Wenn man nun dank der modernen Forschung genügend Daten über
genetische Merkmale sammeln konnte, brauchte man nur jeden einzelnen
Unterschied mit einer Zahl auszudrücken und aus der Summe dieser
Zahlen eine 'Distanz' zwischen den Individuen a und b oder zwischen
den Gruppen A und B errechnen.
Das Ergebnis könnte man in unserem 'Verwandtschafts-Baum' in
Form von Ästen unterschiedlicher Länge ausdrücken:
Je größer der Unterschied zwischen a und b, desto früher
haben sie sich im Lauf der Evolution auseinandergelebt, desto länger
der Zweig, der die beiden trennt.
Auf diese Weise ist der Biologie tatsächlich viel gelungen.
Mithilfe des Proteins Hämoglobin, das in den roten Blutkörperchen
vorkommt, hat man den Verwandtschaftsgrad verschiedener Tiere zum
Menschen gemessen. Jedes Protein besteht aus einer Kette von 20
verschiedenen Aminosäuren, die für jede Tierart in einer
bestimmten, charakteristischen Reihenfolge angeordnet sind. Je mehr
sich diese
Ketten unterscheiden, desto früher muß die Trennung zwischen
2 Arten stattgefunden haben.
So kann man beweisen, daß der Mensch dem Gorilla ähnlicher
ist als dem Schwein, und dem Schwein ähnlicher als zum Beispiel
dem Kaninchen. Was aber für uns von größerer Bedeutung
ist: Der Vergleich winziger Moleküle hat es ermöglicht,
die Trennung des
Menschen vom Affen erstmals ziemlich zuverlässig zu datieren:
Sie liegt vor etwa 5 bis 7 Millionen Jahren.
Der sprachbegabte Jetzt-Mensch (Homo Sapiens Sapiens) hat sich allerdings
erst vor 300.000 Jahren zu Wort gemeldet. Würde man die bisherige
Geschichte des Lebens auf ein Jahr umlegen, wären die ersten
Wirbeltiere um den 20. November aufgetaucht, der Altmensch am 31.
Dezember um 16 Uhr und der Jetzt-Mensch, der Homo Sapiens Sapiens
am 31. Dezember, eine Viertelstunde vor Mitternacht ! Archäologie
und Paläontologie haben diese Datierungen unterdessen weitgehend
bestätigt.
MENSCHEN HABEN KEINEN
STAMMBAUM
Wenn es auf diese Weise
möglich ist, Affen und Menschen zu vergleichen, meint der "Rassentheoretiker",
warum sollten wir dann nicht in der Lage sein, das Gleiche zwischen
den Menschen zu tun ? Schon schwebt ihm wieder der Baum vor, wobei
er selbst
sich auf dem längeren Ast sitzen sieht, dort wo Affen keinen
Zutritt haben. Aber soviel die Genetiker auch messen und zeichnen,
zeichnen und messen - es wird kein Baum daraus. Da wir Menschen
wie die meisten Tiere unser Erbgut sowohl vom Vater wie von der
Mutter erhalten, gleicht unsere Abstammung eher einem Geflecht,
das in der fernen Vergangenheit immer dichter und verworrener wird,
anstatt schön ausladende Zweiglein zu bilden.
Auf einem Baumdiagramm kann man nämlich sinnvollerweise nur
solche Gruppen darstellen, die sich im Lauf der Zeit ständig
weiter auseinanderentwickelt haben, ohne sich je miteinander zu
vermischen. Das trifft wohl zu für die Evolution der einzelnen
Tierarten, zwischen denen es ab einem gewissen Zeitpunkt keine gemeinsame
Fortpflanzung mehr gab.
Geht es aber nicht mehr um verschiedene Arten, sondern um verschiedene
Gruppen der einen Art "Mensch", liegt der Fall völlig
anders. "Wanderung und Vermischung waren offenbar weitaus häufiger
der Grund für genetische Veränderungen, als die Anpassung
an natürliche Gegebenheiten" schreibt der französische
Bevölkerungswissenschaftler Albert Jacquard ganz trocken. Im
Klartext: Wir haben nicht nur keinen Stammbaum -
unser aller Vergangenheit sieht ziemlich nach Chaos aus....
Gegen eine solche Behauptung sträubt sich zunächst unsere
Logik. Wenn die Vermischung so große Bedeutung hätte,
müßten dann die Menschen einander nicht immer ähnlicher
werden ? Unsere Alltagsbeobachtung scheint doch das Gegenteil festzu-stellen.
Jedenfalls sind unterschiedliche Hautfarben und Typen keineswegs
verschwunden.....
Aber auch für diesen Widerspruch hat die Genetik eine Antwort
gefunden. Unter den vielen Merkmalen, die vererbbar sind, und die
uns ausmachen, sind nur einige wenige besonders empfindlich für
den Einfluß von Klima und Ernährung. Sie passen sich
schnell an - in nur 5.000 bis 10.000 Jahren. Und sie bilden am ehesten
kompakte Gruppen.
Nun sind es aber genau
diese Außenseiter unter den Genen,die uns mit freiem Auge
am meisten auffallen- Weil sie mit der Oberfläche des Körpers
zu tun haben. Würde man die Menschen nach anderen, nicht sichtbaren
Erbmerkmalen gruppieren, behauptet die Genetik, dann kämen
ganz andere Einteilungen heraus.
FAMILIENQUIZ
Auch wenn man noch
nicht jene Gene ausfindig machen konnte, die für dunkle oder
helle Hautfarbe verantwortlich sind, wissen wir genau, was diese
Gene tun: Sie steuern das Pigment Melanin. Es läßt sich
leicht beobachten, daß Menschen in heißen Regionen im
allgemeinen mehr Melanin produzieren - die dünklere Farbe schützt
ihre Haut vor Verbrennung, - und daß die Menschen in kühlen
und gemäßigten Klimazonen im Durchschnitt heller sind.
Es sieht also so aus, als wäre das Melanin-Gen in den kühleren
Gebieten allmählich ausgestorben, weil es nicht mehr gebraucht
wurde. Ist es unter gewissen Umständen sogar schädlich
geworden? Das ist nicht immer auf Anhieb zu sagen, denn Gene können
aus verschiedenen Gründen aus einer Bevölkerungs-gruppe
verschwinden. Auch durch Zufall, besonders wenn die Gruppe klein
ist und wenig Kontakt zur Außenwelt hat.
Im Fall des Melanin dürfte die Veränderung mit Ernährungsgewohnheiten
zu erklären sein: In Europa hat sich mit dem Ackerbau die Verwendung
von Getreide als Hauptnahrungsmittel verbreitet. Zum Unterschiedvon
Fisch und Fleisch enthält Getreide kein Vitamin D, aber ein
Provitamin, das die ultraviolette Strahlung braucht, um sich in
Vitamin D zu verwandeln. Voraussetzung ist eine helle Haut. Das
Verschwinden des Melanin-Gens hat es leichter gemacht, die nördlichen
Breiten zu besiedeln.
Es gibt freilich auch einige Ausnahmen von dieser Hell-Dunkel-Geographie,
zum Beispiel die Eskimos, die im Durchschnitt eine dünklere
Hautfarbe haben, obwohl sie kein natürliches 'Sonnen-filter'
brauchen würden. Aber Eskimos ernähren sich vorwiegend
mit Fisch und Fleisch und nicht mit Getreide. Weniger leicht ist
der Fall der Pygmäen erklärbar, die im dichten Dschungel
nur wenig Sonnenstrahlung bekommen, und auch nicht jeden Tag Fleisch
essen.
Würde man die Menschen aufgrund der Melanin-Produktion ihrer
Haut in Großgruppen einteilen, müßte man die "Schwarzen"
den "Weißen und Gelben" gegenüberstellen.
Aber ganz anders sieht die biologische Landkarte aus, wenn wir ein
anderes genetisches Merkmal als Ausgangspunkt nehmen, die Fähigkeit,
noch als Erwachsener Milchzucker zu verwerten. Das erlaubt uns ein
Enzym namens Laktase, das ursprünglich nur von Säuglingen
produziert wurde.
In diesem Fall haben die Statistiker detaillierte Zahlen geliefert.
In Skandinawien, wo viel Milch konsumiert wird, können 90 Prozent
der Individuen Milchzucker verwerten. In Italien, von Gegend zu
Gegend unterschiedlich, zwischen 50 und 90 Prozent.
Die Fähigkeit, Milchzucker zu verwerten, bringt Vorteile, haben
die Biologen festgestellt, besonders in lichtschwachen Regionen,
weil sie das Rachitis-Risiko vermindert.
Es hat sich gezeigt, daß das "Laktase-Gen" nur in
Europa stark verbreitet ist, in Asien und Afrika dagegen selten
vorkommt.
Würde man aus der Milchverwertung ein Kriterium für Verwandt
schaft machen, käme heraus, daß Afrikaner und Asiaten
einander viel näher sind, als wir ihnen. Schon würde der
"Stammbaum" eine andere Form haben.
Zum Unterschied von der Hautfarbe ist die Fähigkeit, Milch
zu genießen, nicht äußerlich sichtbar. Beide Merkmale
haben aber gemeinsam, daß sie stark von Klima und Ernährungsgewohnheiten
beeinflußt werden, und haben sich in der Geschichte des Menschen
ziemlich spät herausgebildet.
Anders liegt der Fall bei den Blutgruppen, und dieser Unterschied
ist besonders interessant - sprechen doch die großen Verfechter
der reinen "Rassenlehre" bis zum heutigen Tag gerne vom
"Blut", wenn sie "Hautfarbe" meinen.
AUSNAHMEN SIND DIE
REGEL
Ein besonders gut erforschtes
Blutmerkmal ist der sogenannte Rhesus-Faktor, der dazu führen
kann, daß der Körper einer schwangeren Frau ihr Embryo
ablehnt. Diese früher oft tödliche Reaktion wird von einer
Substanz ausgelöst, die sich in den roten Blutkörperchen
des Kindes befindet. Wenn man nun auf verschiedenen Kontinenten
Versuchsgruppen nach dem Merkmal Rhesus-Positiv oder Rhesus-Negativ
vergleicht, kommt man zu einem überraschenden Resultat: Afrikaner
und Europäer sind einander ähnlicher als andere Groß-Gruppen
untereinander.
Das gleiche Bild entsteht, wenn man die HLA-Gruppe untersucht, (Human
Leucocyte Antigen), die bei der Organverpflanzung eine Rolle spielt.
Dieses Merkmal konnte von Genetikern weitgehend entschlüsselt
werden. Man kennt die 4 Stellen in unseren
Chromosomen, die für diese Abwehrreaktionen zuständig
sind. Wieder zeigt sich, daß Europäer und Afrikaner,
was ihre HLA- eigenschaften betrifft, eine Gruppe bilden, während
Eskimos und Asiaten sich statistisch ähnlich verhalten wie
die amerikani-
schen Indianer.
Drei Vergleiche, drei völlig unterschiedliche Ergebnisse !
Der italienische Genetiker Luca Cavalli-Sforza wollte sich mit diesem
verwirrenden Bild nicht zufriedengeben. Statt jeweils nur ein Merkmal
heranzuziehen, hat er zuerst 5, dann 48, dann 110
genetische Merkmale zusammengefaßt und aus den jeweiligen
Differenzen einen Durchschnitt errechnet. Das Ergebnis unterschied
sich jeweils deutlich von dem, was Anthropologen durch genaueste
Vermessung von Schädeln und Gesichts-merkmalen herausgefunden
hatten. Und je mehr Merkmale Cavalli-Sforza für seinen Vergleich
heranzog, je feiner also die Analyse wurde, desto mehr unterschied
sich das Ergebnis von
dem der 'Kraniologen' (der 'Schädelvermesser') . *
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*Luca Cavalli-Sforza, Verschieden und doch gleich,
Der amerikanische Genetiker Richard Lewontin hat es 1974 auf den
Punkt gebracht: "Der genetische Unterschied zwischen 2 Menschen
aus verschiedenen Ländern eines Kontinents ist nur um 7% größer
als der zwischen 2 Menschen aus dem gleichen
Land. Selbst der Unterschied zwischen einem zufällig gewählten
Afrikaner und einem Europäer ist im Durchschnitt nur um 15
% größer als der zwischen 2 Menschen aus dem gleichen
Dorf !"
Diese Ergebnisse der Genetik erzählen die Geschichte der Menschen
auf eine völlig neue Weise: Es ist eine Geschichte ständiger
Vermischung. Je genauer wir eine Bevölkerungsgruppe analysieren,
desto vielfältiger wird sie. Ausnahmen sind die
Regel !
Nur wenn zwei Gruppen voneinander völlig isoliert sind, können
sie sich im Lauf der Zeit sosehr auseinanderentwickeln,daß
verschiedene Arten entstehen. Bei Säugetieren dauert ein solcher
Prozeß 1 Million Jahre - eine Million Jahre strikter Isolation
!
Wir wissen aber, daß es den Jetzt-Menschen erst seit 300.000
Jahren gibt. Und in dieser Zeit hat er nicht aufgehört, sich
zu bewegen und zu vermischen - von Nachbardorf zu Nachbardorf, über
ganze Kontinente hinweg. Manchmal langsam, manchmal sehr schnell,
unter dem Druck von Hunger, Trockenheit und Krieg. Und immer wieder
hat er genetische Spuren hinterlassen. Manche dieser Spuren hat
die Zeit verweht. Manche haben sich
aber tief eingeprägt und im Laufe der Generationen vervielfacht.
ALLE VERWANDT
Dabei hätte schon
ein einfaches Rechenexempel genügt, um zu zeigen, wiesehr die
Vorstellung von einer 'reinen Rasse' an der Realität vorbeigeht..
Jeder von uns kann sich ausrechnen, wieviele Vorfahren er zu einem
bestimmten Zeitpunkt X gehabt haben müßte: 2 hoch n,
wobei n die Zahl der Generationen ist, die uns vom Zeitpunkt X trennt.
Im Jahr 1200 hätten
wir also 2 hoch 33 Vorfahren gehabt, das sind 8 Milliarden Menschen
! Nun wissen wir aber, daß zu diesem Zeitpunkt nicht mehr
als ein paar hundert Millionen gelebt haben können. (Erst 1830
erreichte die Weltbevölkerung die erste
Milliarde !)
Der Widerspruch läßt sich nur auf eine Weise aufklären:
Manche unserer Ururgroßväter und Ururgroßmütter
müssen gleich mehrmals als unsere Vorfahren fungiert haben:
weil es in jeder Familie auch Heiraten zwischen Cousins und Geschwistern
gab. Gehen wir noch weiter zurück, zur Zeit der ersten Menschen,
müßten wir 2 hoch 5000 Vorfahren gehabt haben. Eine gänzlich
unvorstellbare Zahl ! Es liegt auf der Hand, daß jeder der
damals
lebenden Menschen auf tausendfache Art unser Vorfahre ist, ebenso
wie der aller anderen lebenden Menschen. Wir sind also alle miteinander
verwandt, wenn wir auch in einigen Fällen zehn-tausend Jahre
zurückgehen müßten, um gemeinsame Elternteile zu
entdecken.
IQ-KOMPLEX
Über diese Rechnung
hätte man sich bereits im 19. Jahrhundert wundern sollen. Schon
Darwin stellte fest, daß die biologischen Merkmale, die uns
unterscheiden, fließend sind und keine klaren Grenzen zulassen.
Und daß Menschen dazu neigen, die Gewohn-
heiten ihres Milieus anzunehmen, wenn sie nur früh genug in
eine andere Umgebung verpflanzt werden, auch das wußte man
schon seit langem. Und doch konnte dieses Wissen die Karriere des
"Rassen"-Begriffs nicht aufhalten.
So kommt es nicht überraschend, daß zwei amerikanische
Soziologen (Murray und Herrnstein) mitten in den 90er Jahren des
Zwanzigsten Jahrhunderts behaupteten, weiße Kinder seien intelligenter
als schwarze, und diese Kluft sei mit keinem Mittel zu überbrücken.
Mit dieser Studie, die unter dem Namen "the Bell Curve"
weltweit für Emotionen sorgte, war eine folgenschwere politische
Forderung verknüpft:Weniger Geld für die schwarze Unterschicht!
Dabei hatte fünfzehn Jahre vorher eine andere Untersuchung
, festgestellt, daß japanische Kinder um 11% intelligenter
seien als amerikanische. Damals lautete die Schlußfolgerung
aber umgekehrt: Steckt mehr Geld ins amerikanische Schulsystem !
Es ist nicht schwer zu erraten, daß solche Studien dazu neigen,
die jeweiligen Auftraggeber zufriedenzustellen.
Schon die Erstellung eines Intelligenz-Tests ist in keinem Fall
"neutral". Getestet werden die Fähigkeiten, die einer
bestimmten Gesellschaft relevant erscheinen. In den Zwanzigerjahren
hatte die sogenannte Davenport-Gruppe in New York mit einem großangelegten
wissenschaftlichen Projekt in die Debatte um Einwandererquoten eingegriffen.
Der Eugeniker Davenport untersuchte den Intelligenzquotienten von
Zuwanderern aus Süd- und Osteuropa und stellte, im Vergleich
zum amerikanischen Durchschnitt, ein geistiges Defizit fest. Daß
viele Immigranten in ihrem Herkunftsland weder
schreiben noch lesen gelernt hatten, beeinträchtigte natürlich
ihre Leistung beim IQ-Test. Die Schlußfolgerung lautete, man
müsse die US-Bevölkerung vor 'minderwertigem' Menschen-material
besser schützen.
Vierzig Jahre später, und lange nach dem Holocaust, forderte
ein amerikanischer Physiker (und Nobelpreisträger) öffentlich
die Sterilisierung schwarzer Frauen. Sein Hauptargument war die
Studie des Stanford-Professors Arthur Jensen, der schwarzen Kindern
und Jugendlichen um 15 % weniger Intelligenz attestierte als weißen.
Jensen berücksichtigte in seiner Arbeit allerdings nicht die
damals sehr unterschiedliche Qualität schwarzer und weißer
Schulen, und ließ überhaupt die Wirkung des sozialen
Umfelds
beiseite.
Diesen Fehler versuchten die Autoren der "Bell Curve"
weitere 25 Jahre später zu vermeiden. Sie legten eine Langzeit-Studie
vor und kamen zu dem Ergebnis, daß Mängel bei den Intelligenzwerten
sich über Generationen hinweg nur sehr langsam ändern
ließen.
Daraus zogen sie den Schluß, daß kurzfristige soziale
Unterstützung nichts bewirken könne und daher verzichtbar
sei.
Das Buch von Murray und Herrnstein löste eine heftige Kontroverse
aus. "The Bell Curve - Intelligence and Class Structure"
wurde zu einem der umstrittensten Bücher der Nachkriegsgeschichte.
Die Kritiker gingen allerdings weniger auf die Inhalte
der Studie ein als auf die vermuteten politischen Absichten. Dem
Auftraggeber wurden langjährige Kontakte zu rassistischen Organisationen
vorgeworfen. Außerdem wurde die Aussagekraft von Intelligenz-Tests
ohne Einschränkung in Abrede gestellt. Die Autoren wiederum
sahen sich durch die Heftigkeit der Reaktionen darin bestätigt,
daß sie erfolgreich an ein Tabu gerührt hatten und daß
die Verfechter der Gleichberechtigung 'ideologisch' argumentierten
und nicht sachlich.
In diesem Punkt haben sie sogar Recht. Denn wie man eine Statistik
liest, bei der es um Unterschiede zwischen sozialen oder nationalen
Gruppen geht, ist in jedem Fall eine politische Ent-scheidung. 'Gleichheit'
kann nur ein gesellschaftliches Ziel sein, keine wisssenschaftlich
beweisbare Tatsache.
Man könnte also die Resultate der 'Bell Curve' durchaus ernstnehmen
- und gleichzeitig gegen ihre Autoren wenden: Wenn es stimmt, daß
die Intelligenz unter den Bevölkerungsgruppen deutlich ungleich
verteilt ist und daß sich staatliche Wohlfahrtsprogramme auf
diese Differenz bisher nur sehr wenig auswirken, könnte man
genausogut die Frage stellen, ob diese Programme nicht vielumfassender
und längerfristig angelegt werden müßten als dies
bisher der Fall war.
SPRACHVERWIRRUNG
Bevor Menschen gezwungen
wurden, anhand von bunten Drei-ecken und Kreisen ihre gesellschaftliche
Nützlichkeit zu beweisen, hatten die Gelehrten ein anderes
Maß für die Intelligenz eines Individuums: Man nannte
es das 'Beherrschen der Sprache'.
Dabei wurde nicht nur vorausgesetzt, daß die jeweils eigene
Nationalsprache die schönste und reichste war - man hatte auch
durch vergleichende Studien festgestellt, daß es komplexere,
also vornehmere, und primitivere, also niedere Sprachen gab.
Besonders seit der Entdeckung des Sanskrit als Muttersprache aller
"arischen Völker" hatten die Zeichner von Stammbäumen
ein neues Betätigungsfeld gefunden: Die Sprachwissenschaft.
Sprachwissenschaft und Naturwissenschaft halfen einander dabei,
die vorgefaßte Meinung von der Überlegenheit des Weißen
Mannes zu untermauern. Völker, deren Sprachen nicht vom Sanskrit
'abstammten', konnten es nach dieser Lehre niemals zu höheren
Kulturleistungen bringen.
So zog der französische Anthropologe Ernest Ronan 1862 einen
Vergleich zwischen Sanskrit und Hebräisch und kam dabei zum
Schluß, daß die "schreckliche Einfalt des semitischen
Geistes das menschliche Gehirn zum Schrumpfen bringe und es jeder
höheren geistigen Leistung gegenüber verschließe."*
Erst in den Zwanzigerjahren unseres Jahrhunderts zog ein prominenter
Sprachwissenschaftler die rassistischen Sprachtheorien in Zweifel.
Prinz Nikolai Trubetzkoj, einer der Begründer der modernen
Linguistik, wußte noch nichts von Genetik. Sein flammendes
Plädoyer für die Gleichwertigkeit aller Menschen beruhte
nur auf seiner Beobachtung als Sprachwissenschaftler:**
"Man sagt uns: Vergleicht die geistige Ausstattung eines Europäers
mit der eines Hottentotten oder Botokudo: Ist seine Überlegenheit
nicht augenscheinlich ? Ich antworte darauf, daß diese Überlegenheit
rein subjektiv ist. Sobald wir uns die Mühe geben, ohne Vorurteile
nachzudenken, bleibt von dieser Augenscheinlichkeit
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* E.Renan, Eröffnungsvortrag vor dem College de France, 1862
**N.Trubetzkoj, 'Europa und die menschliche Gattung', Sofia 1920
nichts mehr übrig. Ein sogenannter "Wilder", ein
Jäger und Sammler, der die Fähigkeiten beherrscht, die
in seinem Stamm geschätzt werden, verfügt ebenfalls über
eine reiche geistige Ausstattung. Er muß das Leben der ihn
umgebenden Natur genau kennen, die Gewohnheiten der Tiere und tausend
andere Details, die selbst dem aufmerksamsten europäischen
Naturforscher entgehen. Alle diese Kenntnisse sind im Denken des
"Wilden" aber keinesfalls auf chaotische Weise angehäuft.
Sie sind systematisch sortiert, und wenn seine Kategorien nicht
denen des Europäers entsprechen, dann weil die seinen besser
seinem Lebensstil angepaßt sind.
Neben diesen praktischen und wissenschaftlichen Kenntnissen enthält
sein Geist auch die oft sehr komplizierte Mythologie seines Stammes,
einen moralischen Kodex, Verhaltensregeln und einen Schatz mündlich
überlieferter Literatur.
Mit einem Wort, der Kopf eines "Wilden" ist genauso gut
ausgestattet wie der eines Europäers, wenn auch mit anderen
Materialien. Man sollte also von Verschiedenheit sprechen. Die Frage,
ob einer dem anderen überlegen ist, kann man nicht beantworten."
Die moderne Linguistik
ist noch weiter gegangen: Jede Sprache, jeder Dialekt, habe eine
gleich komplexe Struktur. Noam Chomsky beschäftigte sich mit
der Fähigkeit des Menschen, eigenständig die komplizierten
Regeln seiner Muttersprache zu erarbeiten
und laufend Sätze zu bilden, die er noch nie gehört hat.*
Die heutigen Linguisten sind sich darin einig, daß jedes Kleinkind
jede beliebige Sprache erlernen könnte, unabhängig davon,
welche Sprache seine Eltern gesprochen haben.
Damit ist aber auch klargestellt, was die Sprachwissenschaft beim
Studium unserer Frühgeschichte leisten kann und was nicht.
Verwandtschaften zwischen Sprachen können helfen, frühe
Wanderungsbewegungen nachzuvollziehen, aber niemals eine Rangordnung
unter verschiedenen Völkern aufzustellen.
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* N. Chomsky, 'Syntactic Structures', Paris-Den Haag 1957
ARIER- MYTHOS
Auch die moderne Geschichtsforschung
hat dazu beigetragen, die Theorie vom "arischen Übermenschen"
in ihre Bestandteile zu zerlegen und als das zu erkennen was sie
von Anfang an war: eine Wunschvorstellung.
Der französische Historiker Leon Poliakow hat in seinem Standard-Werk
"der Arier- Mythos"* versucht, Legende und historische
Fakten zu trennen.
Nach heutigem Forschungsstand waren die Indoeuropäer bzw. Indogermanen
eine Sprachenfamilie, die sich über Jahrtausende und Kontinente
auseinanderentwickelt hat.'"Rassische" Gemeinsamkeiten
für alle Indo-Europäer sind unbewiesen und unbeweisbar.
"Die Gleichsetzung von Indo-Europäern mit Ariern ist reine
Willkür, erst recht von 'Ariern' mit Germanen...' Den Ariern
alle höhere Kulturleistung zuzuschreiben ist wissenschaftlicher
Unsinn."**
In Wirklichkeit hätten sich die Indoeuropäer zunächst
als Zerstörer altorientalischer Hochkulturen hervorgetan, oder
als Eroberer anderer barbarischer Bevölkerungen. Und weil
es zuwenig Frauen gab, verbanden sie sich mit ihren Untertanen,
auch wenn ihr moralischer Kodex 'Blutreinheit' forderte.
Die 'Arier' lebten wie andere Barbaren, halbnomadische Wanderbauern
und Viehzüchter. Sie hatten die gleichen sozialen und politischen
Strukturen wie die ihnen folgenden turk-mongolischen Völker,
und hinterließen die gleiche Wirkung. Auch wenn sie anders
aussahen und eine andere Sprache benützten, unterschieden sie
sich kaum von turk-mongolischen, semitischen und berberischen Nomaden.
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*L. Poliakow, 'Le mythe aryen', Paris 1971
** Immanuel Geiss, 'Geschichte des Rassismus', Frankfurt 1988
Unbestritten war nur die militärische Überlegenheit der
IndoEuropäer, verfügten sie doch über eine Wunderwaffe,
den Pferdestreitwagen. "Die Arier führten mit ihren Einbrüchen
in die altorientalischen Kulturzentren - im Mittleren Osten, in
Indien, eventuell auch in China - das Pferd mit Streitwagen und
Eisenwaffen ein. Dank ihrer anfänglichen militärischen
Überlegenheit gründeten sie eigene Herrschaften und etablierten
sich als erobernde kriegerische Aristokratien, die bis heute die
größten Wirkungen in Indien haben. Die indoeuropäischen
Aristokraten- und Herrenvölker führten, historisch zum
ersten Mal faßbar, zur Erhaltung ihrer Machtstellung eine
Art Apartheid durch Verweigerung von Konnubium und Commercium in
breiter Front ein." *
ZWISCHEN DEN RASSEN
Wenn die 'arischen
Eroberer' die Rassentrennung propagierten - wofür sie Jahrhunderte
später von den 'Arisierern' bewundert wurden- dann handelte
es sich doch von Anfang an um eine Utopie. Je mobiler Eroberer waren,
desto größer war das Defizit an eigenen Frauen, desto
mehr wurden einheimische Konkubinen gebraucht.
Daraus entstand eine Gruppe, die als Kinder der Unterdrücker
wie der Unterdrückten einen besonders heiklen Status hatte.
Es ist der modernen Sozialgeschichte zu verdanken, daß die
wichtige Rolle der sogenannten "Mischlinge" in rassistischen
Herrschafts-systemen spät, aber doch herausgearbeitet wurde.
Oft wurden "Mischlinge" später zu Vorkämpfern
gegen Sklaverei und Rassendiskriminierung. Eines von vielen Beispielen
war Toussaint L'Ouverture, der Anführer der Revolution auf
Haiti. (1791-1803)* *
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*L.Poliakow, Le mythe Aryen
* *C.L.R.James, 'The Black Jacobins', New York 1989
Für die herrschende Schicht lag es zu allen Zeiten nahe, diese
Gruppe besonders zu bekämpfen und gegen sie spezielle Vorwürfe
zu verbreiten. Der Loyalitätskonflikt des "Mestizen"
zwischen der Welt des Vaters - Unterdrücker - und der seiner
Mutter -
Unterdrückte - wurde oft als besondere "Verschlagenheit"
verunglimpft, biologisch mußte der "Mischling" zur
Abschreckung als besonders minderwetig dargestellt werden.
Davon zeugt zum Beispiel die weite Verbreitung des Begriffs "Mulatte",
also 'kleiner Maulesel' - eine Anspielung auf eine Kreuzung aus
Pferd und Esel, die selbst nicht mehr zeugungsfähig ist....
Wenig erforscht wurde bisher die besondere Diskriminierung der sogenannten
'Mischlinge ersten und zweiten Grades' unter dem Nationalsozialismus.
Das Ausmaß der Massenvernichtung in den Lagern scheint ihre
weniger spektakulären Schicksale später in den Schatten
gestellt zu haben.
Das eigene Erleben nicht so wichtig zu nehmen, 'da man doch ohnehin
überlebt hat', wurde vielleicht auch als eine Art Preis in
Kauf genommen, den man für die ohnehin schwierige Wieder-anpassung
an die Nachkriegsgesellschaft zu zahlen hatte.
Aber wenn die Nazis 'Mischlinge' aus Rücksicht auf den 'arischen'
Elternteil nicht direkt in die Gaskammern schickten, so richtete
sich die Wut der Rassisten doch in besonderer Weise gegen die Vermischung
von Juden und Nicht-Juden - Davon zeugen die Nürnberger Rassengesetze.
In der Nazi-Propaganda wurde weniger die ausgeprägte Eigen-tümlichkeit
der Juden angeprangert, als im Gegenteil ihre Fähigkeit zur
kulturellen Anpassung. "Deklarier Dich !" brüllt
der Rassist zu seinem Opfer. "Sag' wer Du bist, sonst fresse
ich Dich!" Eine tödliche Falle ! Nicht die Verschiedenheit
scheint der Rassist zu fürchten, sondern die Beweglichkeit,
den Grenzgänger. Wird es ihn beruhigen, daß die gesamte
Menschheit - wie uns die heutige Wissenschaft sagt - aus Grenzgängern
besteht ?
Die Toten von Auschwitz wurden nicht Opfer der Wissenschaft.
Wissenschafter haben sich nur als Werkzeug benützen lassen,
so wie die pflichtbewußten Eisenbahner, welche die Todeszüge
zu den Lagern lenkten.
Heute haben sich Anthropologie, Sprachwissenschaft und Biologie
von der Aufgabe befreit, Systeme zu konstruieren, die politische
Gewalt begründen sollen. Aber droht heute nicht eine neue Form
der Gewalt ? Sind die reichen Länder nicht längst damit
beschäftigt, die Schwächeren möglichst wirkungsvoll
auszu-grenzen ? Wird die Wissenschaft diesmal der Versuchung widerstehen
können, sich für die Stärkeren 'nützlich' zu
machen ? Oder werden die Massenmedien dafür sorgen, daß
wieder mächtige Wünsche und schleichende Ängste den
Blick auf die Wirklichkeit verstellen ?
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