Das Fremde und die Medien
von Petrus van der Let
erschienen in Beiträge zur Medienpädagogik Herft Nr 31, März
2000, S. 55-59
Wie geht man als Filmemacher mit
dem Phänomen von Rassismus und ... um? Ein Erfahrungsbericht.
*
"Seit 1983 haben Zitate Rudolf Steiners in den Medien zu heftigen
Debatten hinsichtlich der Frage geführt: war Steiner Rassist. 1996
sollte diese Diskussion dann zu einer dramatischen Situation führen,
als ein Vorstandsmitglied der Anthroposophischen Gesellschaft der Niederlande
in einer Radiosendung versuchte, einige der beanstandeten Zitate Rudolf
Steiners nachvollziehbar zu machen. Ausser der Tatsache, dass dies zum
Rücktritt dieses Vorstandsmitgliedes führte, war es auch Anlass
zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der anthroposophischen Bewegung"
berichtet der Anthroposoph Jelle van der Meulen.
Am 2. April 1996 war in der FRANKFURTER RUNDSCHAU zu lesen: "die
geistigen Europäer seien die Rasse der Zukunft.
Schwarze Afrikaner stünden auf der Entwicklungsstufe eines
siebenjährigen Kindes. Diese und andere Äusserungen
Rudolf Steiners hatten in der Anthroposophischen Vereinigung der Niederlande
zu heftigen Auseinandersetzungen geführt." Im Juni desselben
Jahres wurden bei einer Tagung der IzAK (Initiative zur Anthroposophie-Kritik)
in Paderborn Hefte von Waldorfschülern vorgelegt. Darunter ein
Aufsatz über "Die Bantu Neger": "Am Rande des Regenwaldes
leben die Neger, wenn ein Forscher dort hingeht und einem Neger zum
Beispiel eine Stereoanlage schenkt, kann er in 3 Minuten alle Knöpfe
und Schalter gut bedienen." (Vgl. auch Grandt 1997, S. 209) Am
13. November 1996 sendete der ORF die Fernsehdokumentation "Erlöser",
die sich mit den okkulten Wurzeln des Rassismus beschäftigt und
auch erwähnt, dass Rudolf Steiner als langjähriger Generalsekretär
der Theosophischen Gesellschaft die "Wurzelrassenlehre" der
Helena Blavatsky in die Anthroposophie übernommen hat. Der Historiker
Eduard Gugenberger sagt in dem Film über diese Wurzelrassentheorie:
"Die Wurzelrassenlehre der Theosophie ist ein rassistisches Denkgebäude,
das die Menschheit aufzeigt, wie sie sich in Rassen, von niederen zu
immer höheren Stadien entwickelt hat, mit der arischen Rasse als
höchster Entwicklungsstufe, wobei die niederen Rassen dazu verdammt
sind, nach und nach abzusterben, zum Wohle eben der höheren Rasse.
Dieses Ideengebäude wurde später von der Ariosophie, von Lanz
Liebenfels und Guido von List, aufgegriffen und sehr stark auf das Germanentum,
auf die Ariergläubigkeit der Zeit umgemünzt."
1997 - im Europaratsjahr gegen den Rassismus - werden die Beschwerden
der Anthroposophischen Gesellschaft gegen den Film "Erlöser"
von der österreichischen Rundfunkkommission abgewiesen, das Schwarzbuch
Anthroposophie wird aber in der Folge vom Markt geklagt.
Anders verhielt sich die holländische Anthroposophische Gesellschaft.
Noch 1996 gab sie eine Untersuchung zu Steiners Vorstellungen über
Rassen in Auftrag. Die Wissenschafter waren selbst Anthroposophen und
kamen 1998 zu dem Fazit, dass 62 Textstellen aus heutiger Sicht diskriminierend
- ja sogar strafbar sind. Das noch vereinzelt an holländischen
Waldorfschulen bestehende Fach "Rassenkunde" wurde abgeschafft
und die Lehrmittel auf betreffende Aussagen hin überprüft.
In einer Zeit, in der die Wissenschaft den Begriff "Rasse"
beim Menschen für unhaltbar erklärt, haben offenbar viele
Anthroposophen noch grosse Schwierigkeiten, sich von "Ariern, Lemuriern
und Wurzelrassen" endgültig zu distanzieren. Das kritisieren
auch Anthroposophen wie Jelle van der Meulen (S.228f). So versucht Pietro
Archiati in seinem 1997 erschienen Text Die Überwindung des Rassismus
durch die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners, das Schwarzbuch Anthroposophie
der Brüder Grandt zu widerlegen. Dabei versinkt er allerdings nur
um so tiefer im alten System der hierarchischen, rassistischen Argumentation
und verteidigt ein Steinerzitat, das die niederländische Anthroposophische
Gesellschaft ein Jahr später sogar für aus heutiger Sicht
strafbar erklären sollte: "Soll der vollkommene Geist ebensolche
Voraussetzungen haben wie der unvollkommene? Soll Goethe die gleichen
Bedingungen haben wie ein beliebiger Hottentotte? So wenig wie ein Fisch
die gleichen Voraussetzungen hat wie ein Affe, so wenig hat der Goethesche
Geist dieselben geistigen Vorbedingungen wie der des Wilden. Der Geist
in Goethe hat mehr Vorfahren als der in dem Wilden." (S. 55f.)
Was hier deutlich wird, ist eine falsch verstandene Evolutionstheorie,
die seit dem vorigen Jahrhundert durch die Anthropologie geistert, von
der Wissenschaft aber schon lange abgelehnt wird: das Bild einer Entwicklungs-Pyramide,
wo die Hottentotten auf der untersten Stufe auf die Affen folgen und
an deren Spitze der weisse Europäer als Krönung der menschlichen
Entwicklung steht. Schautafeln dieser Art hat man schon längst
aus den Museen entfernt.
René Freund 1997 verweist in seiner Besprechung des Schwarzbuch
Anthroposophie auf den rassistischen Zusammenhang zwischen den völkischen
Denkern Lanz und Steiner: "Als nicht weniger kurios erweist sich
auch Steiners frühzeitiger Blondinenwitz: Die blonden Haare
geben eigentlich Gescheitheit. Geradeso wie sie wenig in das Auge hineinschicken,
so bleiben sie im Gehirn mit ihren Nahrungssäften, geben ihrem
Gehirn die Gescheitheit. Die Braunhaarigen und die Schwarzhaarigen und
die Schwarzäugigen, die treiben das, was die Blonden ins Gehirn
treiben, in die Augen und Haare hinein. Diese auf den ersten Blick
nur absurden Sätze von Rudolf Steiner gewinnen eine erschreckende
Dimension, wenn man weiss, dass zur selben Zeit ein gewisser Lanz von
Liebenfels, ein geistiger Wegbereiter Hitlers, ganze Bücher mit
seinen Fantasien von der Herrschaft der Blondhaarigen und Blauäugigen
füllte. Fantasien, die wenige Jahre später durch den braunhaarigen
Mann aus dem Innviertel grausame Wirklichkeit werden sollten."
(Wiener Zeitung, 7.März 1997)
"Blavatskys Rassismen sind milder und weniger hetzerisch im Ton
als die ihrer wirkmächtigen Nachfolger. Von heruntergekommenen
Nachfahren (Steiner) oder gar von Sodomsschratten(Lanz),
ist bei ihr m.W. nirgends die Rede", meint Harald Strohm und findet
auch bei Rudolf Steiner in der Akasha-Chronik die Niederwesen in Tierform:
"Was aber in die Tierheit hinabgestossen worden ist, das ist entweder
ausgestorben, oder es lebt in den verschiedenen höheren Tieren
fort... Was aber im Gebiet des Menschlichen geblieben ist, hat einen
ähnlichen Prozess, nur innerhalb des Menschlichen, durchgemacht.
Auch in mancher wilden Völkerschaft haben wir die heruntergekommenen
Nachfahren einstmals höher stehender Menschenformen zu sehen. Sie
sanken nicht bis zur Stufe der Tierheit, sondern nur bis zur Wildheit
..." Man beachte, dass auch hier nicht mehr nur von den Zeiten
Lemuriens und Atlantis die Rede ist, sondern von heute:
Der zweite Satz steht im Präsens.
Lanz von Liebenfels schrieb in seiner Theozoologie, dass die Frau durch
den Geschlechtsverkehr mit dem Mann "imprägniert" werde,
dass sie beim Verkehr mit "Tschandalen" (für Lanz minderwertige
Tiermenschen) die arische Rasse ins Tierische herunterzüchte. Ganz
ähnlich die Vorstellungen der Nazis, so etwa in der populärmedizinischen
Zeitschrift Deutsche Volksgesundheit zum Thema Rassenschande: "Für
den Wissenden steht ewig fest: Artfremdes Eiweiss ist der
Same eines Mannes von anderer Rasse. Der männliche Same wird bei
der Begattung ganz oder teilweise von dem weiblichen Mutterboden aufgesaugt
und geht so in das Blut über. Ein einziger Beischlaf bei einer
arischen Frau genügt, um deren Blut für immer zu vergiften.
Sie kann nie mehr, auch wenn sie einen arischen Mann heiratet, rein
arische Kinder bekommen, sondern nur Bastarde."
Bei Rudolf Steiner findet sich ganz Ähnliches, nur auf einer "geistigen"
Ebene: "Neulich bin ich in Basel in eine Buchhandlung gekommen,
da fand ich das neueste Programm dessen, was gedruckt wird: ein Negerroman,
wie überhaupt jetzt die Neger allmählich in die Zivilisation
von Europa hereinkommen! Es werden überall Negertänze aufgeführt,
Negertänze gehüpft. Aber wir haben ja sogar schon diesen Negerroman.
Er ist urlangweilig, greulich langweilig, aber die Leute verschlingen
ihn. Aber ich bin meinerseits davon überzeugt, wenn wir noch eine
Anzahl Negerromane kriegen, und wir geben diese Negerromane den schwangeren
Frauen zu lesen, in der ersten Zeit der Schwangerschaft namentlich,
wo sie heute ja gerade solche Gelüste manchmal entwickeln können-
wir geben diese Negerromane den schwangeren Frauen zu lesen, da braucht
gar nicht dafür gesorgt werden, dass Neger nach Europa kommen,
damit Mulatten entstehen; da entsteht durch rein geistiges Lesen von
Negerromanen eine ganze Anzahl von Kindern in Europa, die ganz grau
sind, Mulattenhaare haben, die mulattenähnlich aussehen werden."
(R. Steiner GA 348, Dornach 1983, S.188-189)
1997 versucht der deutsche Waldorfdozent Stefan Leber dieses Steinerzitat
als "derben Witz vor Bauarbeitern" darzustellen.
In Wirklichkeit beruhen die Behauptungen von Lanz, Steiner und später
der Nazis auf derselben medizinischen Unkenntnis über den weiblichen
Körper. Erst in den späten 20er Jahren veröffentlichten
der österreichische Gynäkologe Hermann Knaus und der Japaner
Ogino Kynsaku ihre Erkenntnisse über den Zyklus der Frau und leiteten
daraus die natürliche Methode der Empfängnisverhütung
"Knaus-Ogino" ab. Rudolf Steiner, der bereits 1925 starb,
folgte also den Theorien seiner Zeit zur Empfängnis der Frau, Theorien,
die bis heute in so manchem Hundezuchtverein kursieren, wenn behauptet
wird, eine Rassehündin, die Kontakt mit einem Nicht-Rasse-Rüden
hatte, sei für die Rein-Rassen-Aufzucht verdorben.
Anläßlich der endgültigen Schließung des sogenannten
"Rassensaals" im Naturhistorischen Museum, entstand 1997/98
der Film "Rasse Mensch". In ihm kommen vorallem Zeitzeugen
zu Wort, die im 3.Reich als Mischlinge eingestuft wurden, weil ein Elternteil
christlich und ein Elternteil jüdisch war. Obwohl diese Art des
"Zeitzeugenfilms" schon sehr oft gemacht worden ist, schien
Co-Regisseur Christian Schüller und mir diese Form bei dem Thema
geeignet, weil es über die "Mischlingsproblematik" kaum
Filme gibt.
Obwohl in dem Buch zum Film "Rasse Mensch" nur wenige Seiten
Rudolf Steiner betreffen, versucht die Anthroposophische Vereinigung,
Deutschland, das Buch vom Markt zu klagen, doch das Gericht, erteilt
den Rat, dies wegen mangelnder Gründe, zu unterlassen. Der Film
wird 1999 im Hauptabendprogramm von 3sat gesendet, in Paris bei der
Bilan du Film Ethnographique gezeigt und zum Human Rights Watch Filmfestival
eingeladen.
Über den Film und das Buch "Rasse Mensch" schreibt der
Religionssoziologe Michael Ley am 10.4.99 in der "Presse":
"Der Fremde, der Andersgläubige, der Andersrassige sind in
der Moderne höchst gefährdete Wesen. Die Moderne huldigt dem
Heiligen ebenso wie vormoderne, mythische Gesellschaften: "Opfer
ist, wer aus der Fremde kommt, ein angesehener Fremder. Er wird zu einem
Fest eingeladen, das im an ihm verübten Lynchmord sein Ende findet."
Der Kulturanthropologe René Girard beschreibt in seinen Büchern,
wie in Zeiten der Not und Bedrängnis die Gesellschaft den "vermeintlichen
Fremden" ausgrenzt und ihm die Rolle des Sündenbocks zuweist.
Die alten Griechen hatten diesen Vorgang mit dem "Pharmakos"
sogar institutionalisiert: in guten Zeiten wurde er von der Gemeinschaft
erhalten, um in Notzeiten als Sündenbock geopfert werden zu können.
Girard meint, daß diese Mechanismen bis heute wirksam sind.
Daß sie aber dennoch durchbrochen werden können - auch mit
Hilfe der Medien - zeigte das schwere Erbeben in der Türkei 1999:
nach Bekanntwerden der Katastrophe reagierten viele Länder - darunter
auch Griechenland sofort mit Hilfsangeboten. Doch der nationalstische,
türkische Gesundheitsminister lehnte griechische Blutkonserven
und ein Lazarett ab. Die Kritik der Bevölkerung und Medien war
so heftig, daß der Minister beinahe zurücktreten mußte.
Kurz darauf halfen türkische Hilfsgruppen in Griechenland mit,
als es dort auch bebte und es kam zu berührenden Verbrüderungsszenen.
Das Fremde kann also auch durch die Medien sehr schnell zum Vertrauten
werden.
Petrus van der Let, 1949 in Wien geboren, Studium der Theaterwissenschaft
und Kunstgeschichte an der Uni Wien, seit über 25 Jahren als freier
Regisseur und Drehbuchautor tätig.
In bisher fünf Dokumentarfilmen hat er Wurzeln des Rassismus und
Nationalsozialismus dargestellt: Wurzeln in der Religion (Adolf Lanz
MEIN KRAMPF / 1994, Herrn Hitlers Religion / 1995), Wurzeln in der Kunst
(Wagnerdämmerung/ 1996), Wurzeln im Okkultismus (Erlöser /
1996) und Wurzeln in der Wissenschaft (Rasse Mensch / 1998). Alle Filme
sind europäische Koproduktionen, wurden in über 20 Ländern
ausgestrahlt, erhielten Preise und wurden von der Europaratskampagne
gegen Rassismus unterstützt. Sie sind als Kaufkassetten bei Komplett-Video,
München und Alibri-Verlag, Aschaffenburg erhältlich.
Für den Unterricht wurden z.T. eigene Fassungen hergestellt.
1998 "Angstfleisch-Fleischangst" (ORF, 3sat, YLE TV2)
1999 "Ware Kind" - Mißbrauch und Prostitution (ORF,
3sat, BMUK, BMJUF, BKA)
Veröffentlichungen: Rasse Mensch, hg. Christian Schüller,
Petrus van der Let, Aschaffenburg 1999;
Ware Kind, von Guido&Michael Grandt, Petrus van der Let, Düsseldorf
1999;
* Wir publizieren hier nur einen
Teil des Artikels. Den ganzen Artikel finden sie in Medien Impulse,
Beiträge zur Medienpädagogik, Heft Nr 31, Hrsg: Bundesministerium
für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten, Wien.