aktuell

archiv

home


archiv

AKdH gewinnt Prozess: «Bedingt» für Auschwitz-Leugner
Basler-Zeitung 28. April 2000

Weiter unten: Auschwitz-Leugner: Urteil bestätigt

Dutzende von Schmähbriefen mit rassistischem Inhalt hat Walter Stoll in den letzten Jahren verschickt. Trotz schlechter Prognose verurteilte ihn das Strafgericht zu einer bedingten Strafe von vier Monaten.

pld. Walter Stoll, 79, ist ein Überzeugungstäter. Zu Nazizeiten stand er im Sold der Waffen-SS, heute verunglimpft er Personen, die ihm politisch oder religiös nicht genehm sind, auch ohne sie persönlich zu kennen. Gestern nun stand Stoll vor dem Basler Strafgericht. Zum einen ging es um die Strafverfolgung wegen Verletzung des Antirassismusartikels; dazu kamen drei Ehrverletzungsklagen.

Anonyme Schmutzkampagne

Belegt ist die jahrelange Aktivität Stolls als anonymer Briefschreiber. Als «Feldjäger vom Hochrhein» unterzeichnete er Schmähpost an verschiedene Privatpersonen, die sich in der einen oder anderen Art öffentlich zum Thema Juden, Zweiter Weltkrieg oder Ausländer geäussert hatten. Betroffen waren neben Politikern vor allem die Autorinnen und Autoren von Leserbriefen, die Stoll in primitivster Weise konterte. Als der Revisionist selbst einen Leserbrief in der BaZ platzieren wollte und die Redaktion das rassistische Elaborat an die Staatsanwaltschaft weiterleitete, war Stoll als Urheber der Schmutzkampagne überführt.
In der gestrigen Verhandlung verlas Gerichtspräsident Niklaus Benkler zahlreiche Muster, wie Stoll seine Adressaten verbal attackierte: Von «Kauft nicht bei Juden» über «Gruss aus Buchenwald» bis zu «jüdische Ratten» reicht sein Arsenal. Einer im Kleinbasel wohnhaften Frau schrieb er, «wenn es so weiter geht, fangen wir an, Häuser anzuzünden» - eine Drohung, die erschreckend an die «Kristallnacht» von 1938 erinnert. Neben Privatpersonen belästigte Stoll mit seiner meist unfrankierten Post auch Organisationen wie die Israelitische Religionsgesellschaft oder die Basler Handelskammer.
14 Betroffene hatten im Lauf der Jahre gegen Unbekannt Strafanzeige wegen Rassendiskriminierung erhoben. Allerdings stellte die Staatsanwaltschaft sämtliche Verfahren «mangels Beweisen» ein.
Einzig der SP-Grossrat Hanspeter Kehl rekurrierte gegen den Entscheid und bekam Recht. Kehl, auch Kläger wegen Ehrverletzung, hatte vorgeschlagen, ein Mahnmal für abgewiesene Flüchtlinge und Schweizer, die ihnen geholfen haben, zu errichten - und war so in Stolls Visier geraten.

«Unverbesserlicher Rassist»

«Ich will diesen Personen meine konträre Meinung bekannt machen und erreichen, dass sie endlich Ruhe geben», begründete der notorische Auschwitzleugner seinen anonymen Amoklauf. Die Vorwürfe akzeptiert er inhaltlich, ist sich jedoch keiner Schuld bewusst oder gar reuemütig. Niggi Dressler, der Anwalt der drei Privatkläger, bezeichnete denn auch in seinem Plädoyer den Angeklagten als «unverbesserlichen Rassisten». Stoll sei zudem kein harmloser alter Mann, sondern nehme aktiv an SS-Veteranentreffs teil. Auch die 14-monatige Gefängnisstrafe, die er 1946 wegen fremder Kriegsdienste hatte antreten müssen, habe seine Einstellung zur Nazizeit nicht verändert. Schliesslich seien die 14 belegten Fälle nur die Spitze des Eisbergs, es habe dutzende oder sogar hunderte weiterer Briefe und Postkarten gegeben, so der Anwalt. Dressler forderte deshalb eine unbedingte neunmonatige Gefängnisstrafe sowie je 3000 Franken Entschädigung wegen Ehrverletzung.
Amtsverteidiger MT stellte nicht in Abrede, dass sich sein Mandant rassistisch und ehrverletzend geäussert habe. Trotzdem plädierte er für Freispruch: Der Tatbestand der Öffentlichkeit sei nicht gegeben gewesen, denn Stoll habe seine Adressaten individuell angeschrieben. Zum andern dürfe beim laufenden Verfahren bloss der einzige, dank Rekurs zu behandelnde Fall berücksichtigt werden. Die Ehrverletzungsklagen schliesslich seien verjährt, da sie an die falsche Instanz eingereicht worden seien.
Gerichtspräsident Niklaus Benkler suchte einen Kompromiss und orientierte sich an den wenigen vorhandenen vergleichbaren Urteilen. Eine einfache Rassendiskriminierung und dreifache Ehrverletzung sei unbestritten; beim Strafmass spiele die Persönlichkeit des Angeklagten eine Rolle: Er sei keine Führerfigur, sondern ein «Mitstreiter im braunen Strom». Weiter handle es sich um eine «reduzierte Öffentlichkeit», da Stoll seine Thesen nicht in einer Zeitschrift publiziert, sondern in Briefform zugestellt hatte - vier Monate seien angemessen. Eher als Spagat mutet die Gewährung des bedingten Strafvollzugs an, denn «eine positive Prognose kann man diesem Überzeugungstäter kaum stellen», räumte Benkler ein. Kombiniert mit der auf drei Jahre angesetzten Probezeit sei dies aber vertretbar. Stolls einziger Kommentar: «Jetzt appellieren wir mal und schauen nachher weiter.»


Auschwitz-Leugner: Urteil bestätigt
QU: Basler Zeitung, 14. Juni 2001

Das Basler Appellationsgericht hat die viermonatige Gefängnisstrafe gegen einen notorischen Auschwitz-Leugner bestätigt. Kritisch merkte das Gericht an, angesichts der fehlenden Einsicht des Täters habe die Vorinstanz eine milde Strafe ausgesprochen. «Befremdend» sei die Gewährung des bedingten Vollzugs.

pld. Entschuldigung und Einsicht sind Walter Stolls Dinge nicht. Auch an der gestrigen Verhandlung nahm er keine seiner Tiraden zurück, die er während Jahren postalisch an Dutzende von Personen des öffentlichen Lebens auf Karten und in Briefen verschickt hatte - anonym und unfrankiert nota bene. «In der Wortwahl lag ich sicher nicht immer richtig», war die einzige Relativierung seiner rassistischen Anwürfe, die Ende April letzten Jahrs vor dem Basler Strafgericht verhandelt worden waren. Inhaltlich distanzierte sich der heute 79-Jährige aber in keiner Art und Weise von seiner Schmutzkampagne. Bezeichnungen wie «Nazi» lässt er sich unkommentiert zuweisen.
Der «Feldjäger vom Hochrhein», wie Stoll seine herabsetzende Schriften unterzeichnete, hat eine schillernde und in der heutigen Zeit irritierende Vergangenheit. In jungen Jahren liess sich der Schweizer in die deutsche Waffen-SS einteilen, «um einen Beitrag für die Abwehr der roten Horden zu leisten, die Europa überschwemmten», wie er gestern erklärte. Noch immer nimmt er an Veteranentreffen der Waffen-SS teil. Er glaubt, «es wäre an der Zeit, die Juden würden in ihr Vaterland heimkehren» - dann erledige sich der Antisemitismus von selbst.

«Öffentlichkeit ist gegeben»

Gestern nun kam das Verfahren vor das Appellationsgericht. Zu prüfen war zweierlei: Die Verletzung der Antirassismus-Strafnorm, andererseits die Klagen wegen Ehrverletzung von drei Empfängern seiner Briefe. Unbestritten war, dass die Schriftstücke rassendiskriminierenden Inhalt hatten. Im Zentrum stand deshalb, wie schon vor dem Strafgericht, die Frage, ob die Stimmungsmache gegen Juden ein «öffentliches Handeln» war - Voraussetzung für eine Verletzung des erwähnten Paragrafen. Die Vorinstanz hatte diesem Punkt zugestimmt, der Pflichtverteidiger MT widersprach: Es habe sich um gezielte Briefe als Reaktion auf bestimmte Meinungsäusserungen der Adressaten gehandelt. Das Gericht folgte aber der Argumentation von Anwalt Niggi Dressler: Es seien zahlreiche Personen von der braunen Post betroffen gewesen, zudem verschiedene Institutionen wie die Israelitische Gemeinde oder die Basler Handelskammer, wo es naheliegend sei, dass mehrere Personen die Post läsen. Auch wenn man sich zusätzlich auf eingestellte Einzelverfahren beziehen müsse, «das Kriterium der Öffentlichkeit ist offensichtlich gegeben», schloss Gerichtspräsident Eugen Fischer.

Eine Ehrverletzung verjährt

Das langwierige Prozedere hat für die Anzeige Führenden zu einer - kosmetischen - Niederlage geführt: Das Appellationsgericht liess nur noch zwei Anzeigen wegen Ehrverletzung zu, die dritte war nach vier Jahren verjährt. Auf den Vorwurf der Verteidigung, die Anzeigen seien an die falschen Stelle (Staatsanwaltschaft statt Zivilgericht) eingereicht worden, deshalb verspätet und ungültig, trat das Gericht nicht ein. Erneut nicht berücksichtigt wurde hingegen die Forderung des Anwalts Dressler, der für seine drei Mandanten je 3000 Franken Genugtuung forderte, die man der Organisation «Kinder des Holocausts» überweisen wolle. Die Kläger müssten sich damit zufrieden geben, dass das Urteil der Vorinstanz in Sachen Antirassismusnorm geschützt werde, meinte Gerichtspräsident Fischer. Aus dem neuen Verfahren ergeben sich Kosten von rund 3000 Franken, die der Angeklagte übernehmen müsste - der aber laut eigenen Angaben von AHV und Sozialbeiträgen lebt.

Warum bloss «bedingt»?

Anlässlich der Urteilsverkündigung hielt Fischer nicht mit seiner Meinung zum Tun Stolls zurück: In seiner Karriere habe er kaum etwas derart Erbärmliches erlebt, «was Sie getan haben, ist unbeschreiblich». Kritik übte Fischer auch an der Vorinstanz. Die vier Monate Gefängnis seien aufgrund der Tat «milde». Und dass der bedingte Vollzug gewährt worden sei, «befremdet mich angesichts des unbelehrbaren Angeklagten». Wenn das hohe Alter den Ausschlag dafür gegeben habe, sei dies kein Grund: «Über allfällige Erleichterungen müsste die Vollzugsbehörde entscheiden», so Fischer. Doch eine Strafverschärfung war vor Appellationsgericht nicht möglich - auch wenn an der Unbelehrbarkeit Stolls kein Zweifel besteht: In der Nachfolge des Strafgerichtsurteils hatte er es nicht lassen können, zwei Kläger erneut mit seiner Post zu belästigen und zu beleidigen.






© Aktion Kinder des Holocaust