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Sontagszeitung 16.04.2006
von Jean François Tanda und Michael Soukup
Die
Internetbuchhandlung dient als Fundgrube für antisemitische
und revisionistische Machwerke
Die weltweit
führende Internetbuchhandlung Amazon macht einmal mehr Geschäfte
mit verbotener Nazi-Literatur und umstrittenen Büchern von
Holocaust-Leugnern. Erst Mitte dieser Woche nahm Amazon.de Adolf
Hitlers «Mein Kampf» aus dem Angebot, nachdem die
SonntagsZeitung die Buchhandlung mit ihren Recherchen konfrontierte.
Das Buch gab
es in diversen Ausgaben zum Preis von 800 und 1800 Euro. Die Angebote
fanden sich im Partnerprogramm «Amazon.de Marketplace»,
wo Privatpersonen, Buchhandlungen oder Antiquariate als so genannte
zShops auf der Amazon-Website Bücher verkaufen. Immer noch
erhältlich ist das Buch «Geheimgesellschaften, Verschwörungstheorie
- Heute und im Dritten Reich» des Revisionisten Jan van
Helsing, eines bekannten Holocaust-Leugners.
Weil die Basler
Buchhandlung Jäggi Bücher von ihm verkauft hatte, wurde
Wily Jäggi 1996 zu einer Busse von 1000 Franken verurteilt.
In Deutschland wurde das Buch 1996 bundesweit beschlagnahmt. Aus
formalen Gründen, sagt Petra Meier von der deutschen Bundesprüfstelle
für Jugendgefährdende Medien (BPJM), musste die Beschlagnahme
im April 2001 aufgehoben werden.
Arthur R.
Butz, Paul Rassinier und David K. Irving sind weitere Autoren
aus dem revisionistischen Umfeld. Sie sind zwar von der Bundesprüfstelle
nicht indiziert, aber sie werden vom deutschen Informationsdienst
gegen Rechtsextremismus als Holocaust-Leugner aufgeführt.
Ein Augenschein bei der Konkurrenz bol.ch beispielsweise ergibt
keine Treffer.
Kommt bei
Amazon das Fressen vor der Moral? Samuel Althof von der Organisation
Aktion Kinder des Holocausts: «Jedenfalls kommt Amazon der
Sorgfaltspflicht nicht nach, die seriösen Buchhändlern
gebührt.» Zwar würden Einträge verbotener
Literatur gelöscht. Aber der Hinweis «zurzeit nicht
verfügbar» erwecke den Anschein, dass die Bücher
grundsätzlich erhältlich seien.
«Amazon
gibt sich mit halbbatzigen Lösungen zufrieden», sagt
Althof. Damit werde Amazon zu einem «wirksamen Nachschlagewerk
für antisemitische und revisionistische Literatur».
Dass Amazon einmal mehr ins schiefe Licht gerät, erstaunt.
Denn bereits letztes Jahr hat die Tageszeitung «Neues Deutschland»
praktisch die gleichen Missstände angeprangert.
Amazon setzt
Vorschriften nur halbherzig um
Zudem bemängelt
Althof die lasche Reaktion Amazons auf Hinweise bezüglich
verbotener oder zumindest umstrittener Literatur. «Bei Ebay
oder Yahoo dauert es mittlerweile nur noch Stunden oder gar Minuten,
bis die Angebote gelöscht werden.» Zwar wird in den
Vertragsbedingungen für zShop-Partner auf das Verbot von
«diskriminierenden Inhalten, basierend auf Rasse, Geschlecht,
Religion, Nationalität, Invalidität, sexueller Orientierung
oder Alter» hingewiesen, die Vorschriften werden hingegen
nur halbherzig umgesetzt. Die Frage, welche Sicherheitsmechanismen
bei Amazon eingebaut seien, liess Christine Höger, Leiterin
der Öffentlichkeitsarbeit bei Amazon.de, unbeantwortet. Dabei
liessen sich die Inhalte Amazons einfach und kostengünstig
überprüfen: Eine Studentenhilfskraft könnte Amazon.de
via Stichwortsuche überwachen. Amazon könnte damit auch
strafrechtlichen Konsequenzen entgehen.
«Amazon
darf Bücher nicht in die Schweiz liefern, die nach Schweizer
Recht verboten sind», sagt Strafrechtsprofessor Marcel A.
Niggli. Das trifft etwa auf das genannte Buch zu von van Helsing.
Dieses führte in der Schweiz zu einem Strafverfahren und
endete mit einer Verurteilung.
www.bundespruefstelle.de
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