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  Zunahme von Antisemitismus und die Skeptiker
Analyse der akdh zum tachles-Editorial von Gisela Blau vom 19. Januar 2007
 


Die Europäische Union besitzt eine Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in Wien. Sie beauftragte das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin mit einem Bericht über die Manifestationen von Antisemitismus in der Europäischen Union. Als der Bericht 2003 vorgelegt wurde, wurde die Studie zuerst unter Verschluss gehalten, dann vom Auftraggeber selbst diskreditiert. Es war der EUMC politisch zu brisant, zunehmend virulente antisemitische Tendenzen unter jungen Moslems in Frankreich oder etwa bei linken Gruppen und Globalisierungsgegnern zu benennen. Wenn Antisemitismus von gewöhnlichen Verdächtigen kommt, darf man ihn wohl benennen. Dass es in Deutschland vornehmlich rechtsextremistische Jugendliche sind, die zur Gewalt gegenüber Juden und jüdischen Einrichtungen greifen, ist auszusprechen gewissermassen politisch korrekt. Dass etwa in Frankreich zunehmend junge Moslems Übergriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen zu verantworten haben, ist hingegen heikel. Und bei der Linken ist der Antisemitismus ja eigentlich ganz was anderes, nämlich "Antizionismus", "Antiimperialismus", Antiamerikanismus - aber nicht eben Wiederauflage judenfeindlicher Stereotypie zur Schmähung des jüdischen Staates.
Die Kritiker der unangenehm offenen Studie fragten nach Kriterien, Definitionen und eigentlich vor allem danach, dass der rechtsextremistische Antisemitismus, der alte Nazirassismus als der eigentliche Antisemitismus weiterhin zu gelten habe.
Die Benennung jeglicher Form von Judenfeindschaft und auch das Zunehmen antisemitischer Vorfälle, wie die Studie es getan hatte, wurde als unwissenschaftliches Vorgehen in Zweifel gezogen. Die EUMC liess etwa verlauten, dass die Studie zur Verwirrung führen müsste, wenn "Verbindungen zwischen Antizionismus, Kritik der israelischen Politik und Antiamerikanismus" hergestellt würden. Dass gerade damit das neue antisemitische Feindbild sein ideologisches Verwirrspiel spielt, ist allerdings von vielen Antisemitismusforschern anerkannt.

In der Zwischenzeit wurde der Bericht der EUMC veröffentlicht und dient der EU als Basis für die offizielle Definition von Antisemitismus, welche auch linke Israel-Kritik umfasst.

Die Schweiz kommt im Bericht des Zentrums für Antisemitismusforschung nicht vor, da sie nicht zur Europäischen Union gehört. Gleichwohl gibt es nach jahrelangen Bemühen breiter Kreise seit kurzen auch hier eine Melde- und Beratungsstelle für antisemitische Vorfälle, die vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) eingerichtet wurde.

Als sie kürzlich über die gemeldeten antisemitischer Ereignisse berichtete und in der Presse Beachtung fand, hatte vor allem das jüdische Wochenmagazin tachles damit Probleme und wählte den Kurs der Verharmlosung. Das Editorial von Gisela Blau machte mit einem alten antisemitischen Witz auf und spielte die wohlbekannte Karte, nicht die Botschaft sei schlecht, sondern der Bote und fragte natürlich auch nach wissenschaftlichen Kriterien. Dass der Witz des jüdischen Stotterers, der keine Stelle als Rundfunkansager bekommen hat, weil dort "a-alles A-a-antisemiten" seien, nicht den Antisemitismus erträglicher macht, wie im Editorial gesagt, sondern im Kontext des Editorials suggeriert, man möge doch das alles nicht so wichtig nehmen, entgeht der Autorin. Die folgende Argumentation baut darauf auf, dass die gemeldete Zahl antisemitischer Vorfälle sehr klein sei und es für diese Meldung keinerlei wissenschaftliche Kriterien gäbe. In ihrem Bemühen um Verharmlosung ignoriert die Autorin damit die Ergebnisse jahrzehntelanger akademischer Antisemitismusforschung genauso wie die "Working Definition" von Antisemitismus durch die EU. Antisemitismus nach der Quantität zu gewichten, spielt den Leuten in die Hände, die das Phänomen Antisemitismus nur in Nazi-Deutschland erkennen wollen – wenn überhaupt. Es stellt sich die Frage, ab wie vielen Vorfällen Antisemitismus als öffentliche Erscheinung benannt werden muss – ein, wie die Geschichte lehrt, falscher und die betroffenen Menschen nicht ernst nehmender Zugang. Das angeführte Gegenbeispiel, nämlich die niederschwellige Behandlung antisemitischer Vorfälle im Zuge der Debatte um die nachrichtenlosen Vermögen durch die damaligen Verantwortlichen des SIG, passt hier nicht, denn was soll dies beweisen? Könnte dahinter nicht vielleicht sogar das Argument stehen, ein zu lautes Benennen des Antisemitismus würde wieder Antisemitismus erzeugen?

Die Frage nach der Wissenschaftlichkeit, mit der Antisemitismus und antisemitische Vorfälle beurteilt würden, muss tatsächlich gestellt werden, beantwortet wird sie im Editorial allerdings nicht, sondern nur auf eine demnächst erscheinende Studie hingewiesen, die dann die "gültige Antwort" liefern würde. Vergessen wird auch, dass es in den vergangen 10 Jahren mehrere unabhängige wissenschaftliche Studien in der Schweiz gegeben hat, die alle für die Schweiz das Bestehen eines substantiellen Antisemitismus nachgewiesen haben. Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Antisemitismus hat auch diverse Erklärungsmodelle geliefert. Trotzdem sind bisher alle Versuche, Antisemitismus "endgültig" zu erklären, gescheitert, was nicht verwundert, handelt es sich doch um ein Phänomen, dessen Grundkonsens sich nicht verändert, dessen Erscheinungsform aber immer wieder neu diskursiv verhandelt, aber vor allem ausgelebt und weitergegeben wird. Antisemitismus muss immer wieder neu angeschaut werden, die Kriterien der heutigen Studie, sind morgen die Kriterien von gestern. Das Material aber, um überhaupt eine Studie zu erstellen, um sich mit neuen alten oder alten neuen Formen des Antisemitismus auseinanderzusetzen, liefern Meldestellen wie die oben angesprochene.

Richtigstellungen der Meldestelle

Frau Gisela Blau verwechselt die Meldestelle mit einem wissenschaftlichen Messinstrument zur Feststellung von Antisemitismus. Ein solches Messinstrument arbeitet mit repräsentativen Umfragen und nicht wie die Meldestelle auf Grund von eingegangenen Meldungen. Das eine kann mit dem anderen nicht verglichen werden.
Die Meldestelle ist zudem auch eine Beratungsstelle.

Frau Gisela Blau verharmlost den Antisemitismus, denn alle im Bericht erfassten Meldungen entstanden aufgrund tatsächlich stattgefundener antisemitischer Übergriffe. Zentrales Kriterium ist immer die rassistische Herabwürdigung von Juden. Meldungen mit diesbezüglich unklaren Aussagen wurden nicht erfasst. (siehe auch: Working Definition of Antisemitism der EUMC)

Die Kriterien nach welchen die Meldestelle arbeitet sind auf deren Webseite erklärt. Dass diese ungenügend wären, müsste von Tachles erst bewiesen werden.

Frau Gisela Blau gibt zu verstehen, die Vorfälle seien nicht geordnet. Zitat:„ Nur Gemessen an welcher Zahl und in welchem Zeitraum.“ Beides ist vorhanden: Zeitraum und Zahl.

Die Meldestelle liess nie verlauten, dass „der SIG vom Bund die Übernahme der Registratur wünsche“ (Zitat Tachles). Die Forderung der Meldestelle bezieht sich alleine auf die wissenschaftliche Messung der antisemitischen Strömungen in der Schweiz.

Ausgewählte Zitate aus dem tachles-Editorial von Gisela Blau vom 19. Januar 2007
Mit diesem „Witz“ werden die Ergebnisse der Meldestelle einleitend kommentiert:

„Verlässt ein jüdischer Stotterer das Radiostudio und trifft auf der Strasse einen Bekannten. «Jossele, was hast du da drin gemacht?» «Mi-mi-mich u-um die Sch-sch-stelle des A-a-a-ansagers beworben.» «Und? Hast du sie bekommen?» «N-n-nein! Da-da-das s-sind a-alles A-a-antisemiten!»"

„Sicher aber müssen genaue Kriterien definiert und saubere Beurteilungsgrundlagen entwickelt werden, sofern Relevanz und Aussagekraft angestrebt werden. Sonst ist jede Sammlung von Vorfällen – ein Witz.“

„Neue Amtsträger im SIG verbreiteten jahrelang Schreckensmeldungen über eine Zunahme des Antisemitismus in der Schweiz, ohne sie je sauber nachzuweisen.“

„Das vorläufige Fazit scheint zu sein, dass das Monitoring des Antisemitismus in der Schweiz (das er zu oft mit Israelkritik verwechselt) nicht dem SIG überlassen werden sollte, solange er es im unüberprüfbaren Milizsystem führt."

"Fakten schaffen. Bald gibt es eine gültige Antwort: Das GfS-Forschungsinstitut ist bereits am Werk, unter dem Patronat der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus und in Partnerschaft mit der tachles-Herausgeberin JM Jüdischen Medien AG, eine unabhängige wissenschaftlich fundierte Untersuchung und regelmässiges Monitoring über Antisemitismus in der Schweiz zu erheben. Und das ist kein Witz.“

Siehe auch:
Kennen Sie den? Editorial von Gisela Blau

Antisemitism Summary overview of the situation in the European Union 2001-2005 (updated version December 2006)
Jahrbuch für Antisemitismusforschung
Stellungnahme zum Entwurf der Studie der EUMC




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