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Die
Europäische Union besitzt eine Stelle zur Beobachtung von
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC)
in Wien. Sie beauftragte das Zentrum
für Antisemitismusforschung in Berlin mit einem
Bericht über die Manifestationen von Antisemitismus in der
Europäischen Union. Als der Bericht 2003 vorgelegt wurde,
wurde die Studie zuerst unter Verschluss gehalten, dann vom Auftraggeber
selbst diskreditiert. Es war der EUMC politisch zu brisant,
zunehmend virulente antisemitische Tendenzen unter jungen Moslems
in Frankreich oder etwa bei linken Gruppen und Globalisierungsgegnern
zu benennen. Wenn Antisemitismus von gewöhnlichen Verdächtigen
kommt, darf man ihn wohl benennen. Dass es in Deutschland vornehmlich
rechtsextremistische Jugendliche sind, die zur Gewalt gegenüber
Juden und jüdischen Einrichtungen greifen, ist auszusprechen
gewissermassen politisch korrekt. Dass etwa in Frankreich zunehmend
junge Moslems Übergriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen
zu verantworten haben, ist hingegen heikel. Und bei der Linken
ist der Antisemitismus ja eigentlich ganz was anderes, nämlich
"Antizionismus", "Antiimperialismus", Antiamerikanismus
- aber nicht eben Wiederauflage judenfeindlicher Stereotypie zur
Schmähung des jüdischen Staates.
Die Kritiker der unangenehm offenen Studie fragten nach Kriterien,
Definitionen und eigentlich vor allem danach, dass der rechtsextremistische
Antisemitismus, der alte Nazirassismus als der eigentliche Antisemitismus
weiterhin zu gelten habe.
Die Benennung jeglicher Form von Judenfeindschaft und auch das
Zunehmen antisemitischer Vorfälle, wie die Studie es getan
hatte, wurde als unwissenschaftliches Vorgehen in Zweifel gezogen.
Die EUMC liess etwa verlauten, dass die Studie zur Verwirrung
führen müsste, wenn "Verbindungen zwischen Antizionismus,
Kritik der israelischen Politik und Antiamerikanismus" hergestellt
würden. Dass gerade damit das neue antisemitische Feindbild
sein ideologisches Verwirrspiel spielt, ist allerdings von vielen
Antisemitismusforschern anerkannt.
In
der Zwischenzeit wurde der Bericht der EUMC
veröffentlicht und dient der EU als Basis für
die offizielle Definition von Antisemitismus, welche auch linke
Israel-Kritik umfasst.
Die
Schweiz kommt im Bericht des Zentrums für Antisemitismusforschung
nicht vor, da sie nicht zur Europäischen Union gehört.
Gleichwohl gibt es nach jahrelangen Bemühen breiter Kreise
seit kurzen auch hier eine Melde- und Beratungsstelle für
antisemitische Vorfälle, die vom Schweizerischen
Israelitischen Gemeindebund (SIG) eingerichtet wurde.
Als
sie kürzlich über die gemeldeten antisemitischer Ereignisse
berichtete und in der Presse Beachtung fand, hatte vor allem das
jüdische Wochenmagazin tachles damit Probleme und
wählte den Kurs der Verharmlosung. Das Editorial von Gisela
Blau machte mit einem alten antisemitischen Witz auf
und spielte die wohlbekannte Karte, nicht die Botschaft sei schlecht,
sondern der Bote und fragte natürlich auch nach wissenschaftlichen
Kriterien. Dass der Witz des jüdischen Stotterers, der keine
Stelle als Rundfunkansager bekommen hat, weil dort "a-alles
A-a-antisemiten" seien, nicht den Antisemitismus erträglicher
macht, wie im Editorial gesagt, sondern im Kontext des Editorials
suggeriert, man möge doch das alles nicht so wichtig nehmen,
entgeht der Autorin. Die folgende Argumentation baut darauf auf,
dass die gemeldete Zahl antisemitischer Vorfälle sehr klein
sei und es für diese Meldung keinerlei wissenschaftliche
Kriterien gäbe. In ihrem Bemühen um Verharmlosung ignoriert
die Autorin damit die Ergebnisse jahrzehntelanger akademischer
Antisemitismusforschung genauso wie die "Working Definition"
von Antisemitismus durch die EU. Antisemitismus nach
der Quantität zu gewichten, spielt den Leuten in die Hände,
die das Phänomen Antisemitismus nur in Nazi-Deutschland erkennen
wollen – wenn überhaupt. Es stellt sich die Frage,
ab wie vielen Vorfällen Antisemitismus als öffentliche
Erscheinung benannt werden muss – ein, wie die Geschichte
lehrt, falscher und die betroffenen Menschen nicht ernst nehmender
Zugang. Das angeführte Gegenbeispiel, nämlich die niederschwellige
Behandlung antisemitischer Vorfälle im Zuge der Debatte um
die nachrichtenlosen Vermögen durch die damaligen Verantwortlichen
des SIG, passt hier nicht, denn was soll dies beweisen? Könnte
dahinter nicht vielleicht sogar das Argument stehen, ein zu lautes
Benennen des Antisemitismus würde wieder Antisemitismus erzeugen?
Die Frage nach der Wissenschaftlichkeit, mit der Antisemitismus
und antisemitische Vorfälle beurteilt würden, muss tatsächlich
gestellt werden, beantwortet wird sie im Editorial allerdings
nicht, sondern nur auf eine demnächst erscheinende Studie
hingewiesen, die dann die "gültige Antwort" liefern
würde. Vergessen wird auch, dass es in den vergangen 10 Jahren
mehrere unabhängige wissenschaftliche Studien in der Schweiz
gegeben hat, die alle für die Schweiz das Bestehen eines
substantiellen Antisemitismus nachgewiesen haben. Die
wissenschaftliche Aufarbeitung des Antisemitismus hat auch diverse
Erklärungsmodelle geliefert. Trotzdem sind bisher alle Versuche,
Antisemitismus "endgültig" zu erklären, gescheitert,
was nicht verwundert, handelt es sich doch um ein Phänomen,
dessen Grundkonsens sich nicht verändert, dessen Erscheinungsform
aber immer wieder neu diskursiv verhandelt, aber vor allem ausgelebt
und weitergegeben wird. Antisemitismus muss immer wieder neu angeschaut
werden, die Kriterien der heutigen Studie, sind morgen die Kriterien
von gestern. Das Material aber, um überhaupt eine Studie
zu erstellen, um sich mit neuen alten oder alten neuen Formen
des Antisemitismus auseinanderzusetzen, liefern Meldestellen wie
die oben angesprochene.
Richtigstellungen
der Meldestelle
Frau Gisela Blau verwechselt die Meldestelle mit einem wissenschaftlichen
Messinstrument zur Feststellung von Antisemitismus. Ein solches
Messinstrument arbeitet mit repräsentativen Umfragen und
nicht wie die Meldestelle auf Grund von eingegangenen Meldungen.
Das eine kann mit dem anderen nicht verglichen werden.
Die Meldestelle ist zudem auch eine Beratungsstelle.
Frau Gisela Blau verharmlost den Antisemitismus, denn alle im
Bericht erfassten Meldungen entstanden aufgrund tatsächlich
stattgefundener antisemitischer Übergriffe. Zentrales Kriterium
ist immer die rassistische Herabwürdigung von Juden. Meldungen
mit diesbezüglich unklaren Aussagen wurden nicht erfasst.
(siehe auch: Working
Definition of Antisemitism der EUMC)
Die Kriterien nach welchen die Meldestelle arbeitet sind auf deren
Webseite erklärt. Dass diese ungenügend wären,
müsste von Tachles erst bewiesen werden.
Frau Gisela Blau gibt zu verstehen, die Vorfälle seien nicht
geordnet. Zitat:„ Nur Gemessen an welcher Zahl und in welchem
Zeitraum.“ Beides ist vorhanden: Zeitraum und Zahl.
Die Meldestelle liess nie verlauten, dass „der SIG vom Bund
die Übernahme der Registratur wünsche“ (Zitat
Tachles). Die Forderung der Meldestelle bezieht sich alleine auf
die wissenschaftliche Messung der antisemitischen Strömungen
in der Schweiz.
Ausgewählte
Zitate aus dem tachles-Editorial von Gisela Blau vom 19. Januar
2007
Mit diesem „Witz“ werden die Ergebnisse der Meldestelle
einleitend kommentiert:
„Verlässt ein jüdischer Stotterer das Radiostudio
und trifft auf der Strasse einen Bekannten. «Jossele, was
hast du da drin gemacht?» «Mi-mi-mich u-um die Sch-sch-stelle
des A-a-a-ansagers beworben.» «Und? Hast du sie bekommen?»
«N-n-nein! Da-da-das s-sind a-alles A-a-antisemiten!»"
„Sicher aber müssen genaue Kriterien definiert und
saubere Beurteilungsgrundlagen entwickelt werden, sofern Relevanz
und Aussagekraft angestrebt werden. Sonst ist jede Sammlung von
Vorfällen – ein Witz.“
„Neue Amtsträger im SIG verbreiteten jahrelang Schreckensmeldungen
über eine Zunahme des Antisemitismus in der Schweiz, ohne
sie je sauber nachzuweisen.“
„Das vorläufige Fazit scheint zu sein, dass das Monitoring
des Antisemitismus in der Schweiz (das er zu oft mit Israelkritik
verwechselt) nicht dem SIG überlassen werden sollte, solange
er es im unüberprüfbaren Milizsystem führt."
"Fakten schaffen. Bald gibt es eine gültige Antwort:
Das GfS-Forschungsinstitut ist bereits am Werk, unter dem Patronat
der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus und in Partnerschaft
mit der tachles-Herausgeberin JM Jüdischen Medien AG, eine
unabhängige wissenschaftlich fundierte Untersuchung und regelmässiges
Monitoring über Antisemitismus in der Schweiz zu erheben.
Und das ist kein Witz.“
Siehe
auch:
Kennen Sie den? Editorial von Gisela Blau
Antisemitism
Summary overview of the situation in the European Union 2001-2005
(updated version December 2006)
Jahrbuch
für Antisemitismusforschung
Stellungnahme zum
Entwurf der Studie der EUMC
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