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Tagesanzeiger 21.12.2006
Jugendlichen fällt es schwer, aus rechtsextremen Kreisen
auszusteigen. Die Nazi- Utensilien verschwinden zwar, das Gedankengut
meist nicht.
Von
Thomas Knellwolf, Basel
Wer als Rechtsextremer linksum kehrt macht, lebt gefährlich.
Aussteiger können Opfer von Szenenneulingen werden, die sich
über Gewalt an «Verrätern» profilieren wollen.
Doch die meisten Rechtsextremen machen gar nicht linksum kehrt,
selbst wenn sie die engere Szene verlassen. Dies zeigt eine gestern
präsentierte Studie der Universität Basel, die vom Nationalfonds
finanziert wurde. Viele Rechtsextreme distanzieren sich zwar räumlich,
aber nicht im Kopf von ihren Cliquen oder Kameradschaften.
Was
die Gesellschaft verlangt
«Wer
also die Bomberjacke und die geistigen Pfeiler des Rechtsextremismus
fein säuberlich in den Kleiderschrank entsorgt, kann jeden
Tag im Privaten darauf zurückgreifen», sagt Wassilis
Kassis, einer der Verfasser der Studie. Damit würden die
jungen Männer genau so weit gehen, wie dies die Gesellschaft
mit einem gewissen Druck einfordere.
Viele
Rechtsextreme gebärden sich mit zunehmendem Alter nicht mehr
öffentlich, aber noch immer privat ausländerfeindlich
und antisemitisch. Die Einstellung bleibt die alte, doch das aggressive,
provokante Auftreten und die Gewaltbereitschaft nehmen ab. Die
Basler Soziologen sprechen in solchen Fällen nicht von einem
Ausstieg, sondern von einem Austritt (wie aus einem Verein). Die
Ausgetretenen fänden durch einen Beitritt in eine rechte
Partei «eine gesellschaftlich anerkannte Bestätigung
ihrer fundamentalen Überzeugung».
Die
Gründe für Ausstieg wie für Austritt liegen zum
Teil in enttäuschten Erwartungen. So suchen die Jugendlichen
in rechtsextremen Gruppierungen Halt. Doch gerade persönliche
Probleme und Gefühle gelten dort als Schwäche. Oft stellt
auch die Freundin ihren rechts abdriftenden Partner vor die Wahl:
Hakenkreuz und Glatze oder ich. Zum Abgang motivieren zudem gute
Erfahrungen mit Repräsentanten von «Feindgruppierungen»
- also mit Ausländern und Linken.
Laut
Samuel Althof, dem Leiter der «Aktion Kinder des Holocaust»,
ersetzt allerdings nicht selten eine extreme Geisteshaltung die
andere. Aus seiner psychologischen Beratungstätigkeit weiss
er von ehemaligen Rechtsradikalen, die sich linksradikalen oder
fundamentalreligiösen Gruppen anschlossen.
Durch
Interviews mit 40 (Ex-)Rechtsextremen isoliert die Studie weitere
Ausstiegsfaktoren wie «Übersättigung auf Grund
ausgelebter Bedürfnisse», «Burnout» und
als «belastend wahrgenommene Strafverfahren». Viele
haben es satt, zu provozieren, politisch nichts zu bewirken, aber
immer wieder mit einem Springerstiefel im Gefängnis zu stecken.
«Irgendwann löscht es einem auch ab», sagte ein
Befragter.
Die
Studienresultate decken sich weit gehend mit den Erfahrungen von
Szenekennern. Rechtsextremismusexperte und Journalist Jürg
Frischknecht geht von «Kiste und Chischte» als wichtigsten
Ausstiegsgründen aus: von der Zweierkiste mit einer Freundin
und vom drohenden Gefängnisaufenthalt, schweizerdeutsch «Chischte».
Für
seinen Kollegen Hans Stutz betont die Basler Studie allerdings
das gesellschaftspolitische Umfeld zu wenig. An verschiedenen
Orten hätten Bürgerbewegungen den rechtsextremen Gruppierungen
erfolgreich den öffentlichen Raum streitig gemacht. Samuel
Althof vermisst auch jene Fälle, in denen der Rechtsextremismus
auf eine krankhafte Persönlichkeitsstruktur zurückzuführen
ist, die sich «in mehrjähriger Arbeit» therapieren
lasse.
Die
Austretenden nicht allein lassen
«Viele
Pubertierende bewegen sich nur kurz in rechtsextremen Gruppierungen
und wenden sich dann oft einer anderen Jugendszene zu»,
sagt Jürg Frischknecht. Er schätzt, dass etwa die Hälfte
der Jugendlichen die rechtsradikalen Zirkel nach «ein, zwei
Saisons» wieder verlassen. Auch bei ihnen bleibt oft extremes
Gedankengut hängen. Von einer «vorübergehenden
Pubertätsphase» könne in der Regel nicht gesprochen
werden, hält die Studie fest. Umso wichtiger ist für
Samuel Althof, dass die Austretenden nicht allein gelassen werden.
Es brauche niederschwellige Angebote wie etwa Gassenarbeit.
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