QU:
tangram Nr 19
Gesprächsleitung: Doris Angst, Leiterin Sekretariat der
Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR
Protokoll: Sabine Kreienbühl, juristische Mitarbeiterin
Sekretariat EKR
Gespräch
am runden Tisch mit Samuel Althof, Geschäftsführer der
Aktion Kinder des Holocaust (AKdH), Basel, und Giorgio Andreoli,
Projektleiter gggfon Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus, Bern
Können
Sie sich und Ihre Organisation kurz vorstellen?
Althof:
Die AkdH wurde von Kindern von Holocaust-Überlebenden gegründet,
aus einem politischen Engagement im ersten Libanonkrieg heraus.
AkdH ist heute als Verein konstituiert und wird über eine
Stiftung sowie vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund
finanziert. Es arbeiten zwei bis maximal vier Personen in der
AkdH. Ich habe eine Ausbildung als Psychiatriepfleger und bin
in Gestalt- und Gesprächstherapie sowie Psychodrama ausgebildet.
Andreoli:
gggfon ist ein Projekt der Regionen Bern und Burgdorf und wird
von Beiträgen aus 48 Gemeinden finanziert, 15 Steuerrappen
pro Einwohner-/in plus einem Sockelbeitrag. Das ergibt zirka 60
000 Franken pro Jahr. Das Projekt gggfon betreibt eine Informations-
und Beratungsstelle zum Thema Gewalt und Rassismus, führt
Workshops und Projekte zu diesen Themen durch. Ich bin Sozialarbeiter
mit Spezialgebiet Gemeinwesenarbeit.
Grundsätzliche
Arbeitsmethoden?
Andreoli:
Da das gggfon von Gemeinden getragen wird, sind wir gesellschaftlich
und sozialpsychologisch tätig. Wir analysieren Konflikte
und deren Akteure, machen eine Triage an die zuständigen
Institutionen und begleiten diese, um sie auch zu ermächtigen,
mit den Konflikten umzugehen. Im Zentrum stehen der öffentliche
Raum – rund um den Bahnhof zum Beispiel - und der Respekt
der Menschenrechte in den Gemeinwesen.
Althof:
AKdH hat ein eklektisches Vorgehen aus verschiedenen methodischen
Ansätzen entwickelt. Wir arbeiten in direktem Kontakt mit
individualpsychologischen Methoden, kombiniert mit einer Vermittlungstätigkeit.
Wir legen ebenfalls Gewicht auf ein Empowerment der verschiedenen
Dienste, die mit rechtsextremen Jugendlichen zu tun haben. Von
Fall zu Fall entscheiden wir, ob AkdH im Hintergrund unterstützend
wirken soll oder selber direkt an der Front tätig ist.
Wo
sehen Sie Ihre Stärke…
Althof:
Die persönlichen Gespräche über die Motivation,
welche die Jugendlichen zu einem Mitmachen in rechtsextremen Gruppierungen
bewegt, und die Vermittlung des Gefühls, als Person akzeptiert
zu sein, setzen einen Prozess in Gang, dass sie bei einem Ausstieg
gewinnen können. Oft kommt man in den Gesprächen auf
ganz andere Dinge zu reden: Schulden, Beziehungsprobleme, Stress
mit den Eltern… Rechtsextremismus ist ja, zumindest bei
den Mitläufern, oft ein Substitut für all die anderen
nicht bewältigten Dinge. Allerdings funktioniert diese akzeptierende
begleitende Arbeit bei Rechtsextremen, die bereits programmatisch
ideologisiert sind, nicht. Dennoch haben wir auch Kontakte mit
diesen Leuten, oft langjährige sogar. Die Kontakte entstehen
aufsuchend, aber wir werden auch von den Jugendlichen oder ihren
Eltern (meist den Müttern, denn oft sind in dieser Situation
die Väter physisch oder psychisch nicht vorhanden) direkt
kontaktiert; auch übers Internet-Streetworking läuft
vieles. Als Jude und eben Angehöriger der zweiten Generation
von Holocaust-Überlebenden ziehe ich viele Projektionen auf
mich, kann aber diese auch direkt unterbrechen. AkdH arbeitet
zusammen mit dem SIG mit jüdischen Jugendlichen und Jugendleitern,
dass sie sich nicht in Auseinandersetzungen mit Jugendlichen der
rechtsextremen Szene verwickeln. Unsere Stärke ist sicher
die Niederschwelligkeit und die ausserordentliche Vernetzung über
Internet sowie die Beziehungsarbeit. Wichtig ist immer auch die
Arbeit mit Medienschaffenden und Behördenvertretern.
Andreoli:
das gggfon hat sich als Informationsund Beratungsstelle
etabliert. Wir werden oft um Unterstützung angegangen, man
holt unsere Fachkompetenz. Gerade auch Fachkräfte, welche
in ihrer beruflichen Tätigkeit mit der Problematik konfrontiert
sind, wie zum Beispiel Lehrpersonen, Sozialarbeitende oder auch
die Polizei, kontaktieren das gggfon häufig. Für die
Gemeinden, die uns bezahlen, sind wir die abrufbaren Fachleute
und versuchen gemeinsam mit den Betroffenen das Geschehen aufzuarbeiten
und geeignete Handlungsansätze zu finden. Wir sind keine
Hotline, aber für die Gemeinden im Standby-Modus. Wir beraten,
organisieren erste Gespräche und initiieren runde Tische.
Es kommt auch vor, dass wir auch Familien besuchen, die sich bei
uns gemeldet haben, weil zum Beispiel ihr Sohn in der rechtsextremen
Szene ist. Ein weiteres Projekt ist der «Stopp-Rassismus-Kiosk».
Ein Angebot für den öffentlichen Raum. Gespräche
entwickeln sich um den Kiosk herum, Geschichten tauchen auf, die
Hinweise auf versteckte Konflikte, Ängste geben.
…wo
Ihre Schwächen?
Althof:
Das grösste Problem sehe ich in der gesellschaftspolitischen
Situation. Es gibt zu wenig Delegitimation gegenüber dem
Rechtsextremismus, das heisst rechtsextrem Inhalte werden verharmlost,
und die SVP macht diese gesellschaftsfähig. Gleichzeitig
findet auch in den Medien, durch schreierische und verkürzende
Titel zum Beispiel, eine Verwischung von wichtigen Unterschieden
statt. So wird zum Beispiel gleich der Begriff «Nazi-Partei»
hochgefahren, was mir als Person, dessen Familie durch die NSDAP
und den Nazi-Staat Deutschland teilweise ausgelöscht wurde,
völlig deplaziert erscheint. Je mehr sich die Jugendlichen
in ihren rechtsextremen Ideen getragen fühlen, desto weniger
Unrechtsbewusstsein haben diese. Dies gilt übrigens für
linken und rechten Extremismus gleicherweise.
Andreoli:
Eine Schwierigkeit besteht für uns in der Nachhaltigkeit,
die natürlich an sich etwas in Widerspruch zum schnellen
Einsatz steht. Die Gemeinden geben dann nach einer Beruhigung
der Situation und dem Ende der akuten Krise weniger gerne Ressourcen
für eine nachhaltige Präventionsarbeit aus.
Und
die Nachhaltigkeit bei Ihnen, Herr Althof?
Althof:
Der Massstab des «Erfolgs» muss sein, dass jemand
dauerhaft aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen ist. Unterstreichen
muss ich hier, dass unsere Arbeit sehr prozesshaft ist, es handelt
sich um Beziehungen zu den Jugendlichen bis ins Erwachsenenalter
hinein, also über lange Zeit.
Wir
bauen ja einen Teil dieses TANGRAMDossiers um die Rollen Jugendlicher
als Opfer, Täter, Zeugen auf. Wie stellen Sie sich aus Ihrer
Arbeit dazu?
Althof:
Es gibt viele Opfererfahrungen unter Jungen, die sich
dann dem Rechtsextremismus zuwenden. Es gibt Rassismus und Gegenrassismus
von Gruppen ausländischer Jugendlicher. Hinzu kommen Verletzungen,
die in der Familie erlebt wurden. Man kann psychisch jemanden
nur erreichen, wenn man, auch wenn er Täter geworden ist,
seine Opfergeschichte auch anerkennt. Dies ist gegenüber
Rechtsextremen, die man in der Gesellschaft nur als «gefährlich»
und «Täter» sieht, meist nicht der Fall.
Andreoli:
Die Opfererfahrung darf nicht als Entschuldigung für Aggression
missbraucht werden. Ich will Verantwortlichkeit für die Menschenrechte
erreichen. Wir haben wohl auch einen unterschiedlichen Zugang
zu anderen Extremismen?
Althof:
Es ist interessant zu beobachten, wie ruhig sich Mitglieder der
rechtsextremen Szene von der Polizei kontrollieren lassen. Die
linksextreme Bewegung sieht in der Polizei die Verkörperung
des Faschismus. Die rechtsextremen Jugendlichen sind sozusagen
von der Polizei enttäuscht, dass diese nicht auf ihrer Seite
steht. Nicht zu vergessen, dass wir einen neuen Extremismus haben:
islamistischer Fundamentalismus. Hier wird noch nicht viel Präventionsarbeit
geleistet.
Wollen
Sie zur Rolle der Polizei Stellung nehmen?
Althof
und Andreoli: Die Arbeit der Polizei nehmen wir als deutlich
differenzierter als noch vor ein paar Jahren wahr. Es wird auch
in der polizeilichen Schulung auf Phänomene wie Extremismus
von links und von rechts eingegangen. Die Sicherheitsbehörden
kooperieren mit uns und suchen unsere Unterstützung. Wir
profitieren selber auch von dieser Kooperation mit den Sicherheitsbehörden.
|