| Simon Wiesenthal schrieb am 9. Juni 1998 den folgenden Brief an die «Aktion Kinder des Holocaust» (Das Original ist bei der Aktion einzusehen)
DOKUMENTATIONSZENTRUM DES BUNDES JÜDISCHER VERFOLGTER DES
NAZIREGIMES
Salztorgasse 6/IV/5 1010 WIEN, AUSTRIA Sehr geehrter Herr Karger, sehr geehrter Herr Althof!
Ich möchte mich für die Zusendung Ihres Faxes und der
Beilagen bedanken, mit denen Sie mich über die Aktivitäten
von Frau Barbro Karlén und anderer Personen im Zusammenhang
mit Anne Frank informierten. Ich teile natürlich Ihre Betroffenheit
und Ablehnung, denn für mich war und ist Anne Frank zusammen
mit ihrem Tagebuch eine einmalige Erscheinung der Geschichte der
Shoa. Jeden Trennungsversuch ihres Körpers von ihrer Seele
muss man zurückweisen; meiner Überzeugung nach gibt es
keine Reinkarnation - schon gar nicht bei solchen Personen, die
das von sich behaupten und dies nur durch Gefühle ihrerseits
begründen können. Erst wenn sich die Geschichte - was
Gott verhüten möge - wiederholen sollte, könnten
ausschliesslich spätere Generationen vielleicht Ähnlichkeiten
von handelnden Personen feststellen - wobei die Betonung auf dem
Wort "vielleicht" liegen muss. Anne Frank und ihr Tagebuch sind
ein Indentifikationsbegriff. Ihr Leben und Sterben, Ihre Gedanken
und Gefühle, die durch ihr Tagebuch in aller Welt bekannt wurden,
haben ihr als Opfer eines unmenschlichen Regimes mehr Anteilnahme
und Sympathie eingebracht, als es jede andere Person oder irgend
ein anderes literarisches Werk für sich verbuchen konnte. Ich
will Frau Barbro Karlén keine unlauteren Beweggründe
unterstellen. Wenn ich ein Arzt wäre, könnte ich ihre
sogenannte Reinkarnation sicher richtig medizinisch einordnen. Es
ist mir bekannt, dass z.B. in Jerusalem jedes Jahr während
katholischer Feiertagsprozessionen Leute auftauchen, die behaupten,
die Reinkarnation von Jesus zu sein. Diese Personen werden mit Zustimmung
der katholischen Kirche einer medizinischen Behandlung unterworfen.
Mit freundlichen Grüssen
Simon Wiesenthal
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