Brief von Ralph Giordano an die «Aktion Kinder des Holocaust»

30. Mai 1998

Ich habe Ihren Fax in Sachen "Anne Frank ist wieder da - Barbro Karlén erhalten - und kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte! Die Widerlichkeit der Akteure will einem die Sprache verschlagen, wobei man nicht weiss, was ekelerregender ist: die verrückte, spinnerte Barbro Karlén oder ihre publizistischen Ausbeuter. Am Unverzeihlichsten und unentschuldbarsten aber ist Buddy Elias, Anne-Frank-Fonds. Sein Verrat an der Cousine, ja, an der ganzen Familie Frank, schmerzt am meisten. Was weht den Mann an, mit in dieses idiontisch-esoterische Horn zu blasen? Ich war bereits Zeuge so mancher Verhöhnung und Annexion des Holocaust, dies ist die schauerlichste. Man höre sich das an: Die Seele sei unvernichtbar... Der Körper Anne Franks war vernichtbar, und das, wahrlich, hatte sie zu spüren bekommen! Es gibt nichts billigeres und Verabscheuungswürdigeres, als ein real-tragisches Schiksal in spirituellen Humbug zu verwandeln, es sei denn, sich an einen berühmten Namen zu hängen, das traurigste Zeugnis aller eigener Persönlichkeitsdefizite. Noch übler aber das, was hier von der Seite des bereits vorher unrühmlich hervorgetretenen Perseus-Verlages unter dem Unstern schamlosen Profitstrebens bedient wird. Arme Anne Frank! - möchte man sagen, wenn man nicht doch letztlich wüsste, dass solche Attentate sie nicht wahrhaft beschädigen können. Ihr Name wird bleiben, der ihrer Missbraucher wird verwehen.

Zornig, Ralph Giordano, Köln (Deutschland)

 
 
© 1999 Aktion Kinder des Holocaust