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QU: NZZ am Sonntag, 1. Dezember 2002, Nr.38
Was
die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz
(Auns) für die
Alten, ist die Internet-Site «patriot.ch» für
die Jungen - ein Sammelbecken
für Unzufriedene und Frustrierte. Die Initianten geben sich
stramm
patriotisch, sind aber angeblich «nicht gewalttätig».
Von Urs Rauber
Fast die halbe Schweiz hat letzten Sonntag einer Initiative zugestimmt,
die
das Asylrecht faktisch abgeschafft hätte. Die meisten Befürworter
sind weder
Rassisten noch SVP-Anhänger, sagen die Meinungsforscher.
Sie wollten den
Behörden einfach einen Denkzettel verpassen: gegen Asylrechtsmissbrauch,
gegen Laissez-faire in der Einwanderungspolitik, gegen massive
Probleme beim
Zusammenleben mit Ausländern. Viele, die jetzt über
die
«Beinahe-Katastrophe» entsetzt sind, haben die Aufdeckung
solcher Missstände
tunlichst vermieden.
Dafür
haben andere geredet. Ungeschminkt, direkt, oft verletzend,
primitiv-unbeholfen, unmissverständlich. «Langsam,
aber sicher geht's nicht
mehr so weiter! Immer wieder hat man Scheissereien! Man wird angepöbelt
auf
der Strasse und im Ausgang! Und das Schlimmste: Wenn man als Schweizer
sich
wehrt, bekommt man mit dem Gesetz Probleme! Wir sind die Idioten
im eigenen
Land!» Das schreibt kein Neonazi, sondern einer, «der
stolz darauf ist,
Schweizer zu sein».
Auf
der Homepage von «patriot.ch» geht die Post ab. Patrick
aus Zürich sieht
sich «von Ausländern als Drecksschweizer beschimpft».
Waeby aus Spreitenbach
(AG), der einzige Schweizer unter 17 Schülern, klagt, dass
man an seiner
Schule die Türkenfahne zeigen dürfe, nicht aber das
Schweizerkreuz. Jessica
aus Wetzikon (ZH) stösst sich daran, dass ihr Lehrer «motzt»,
wenn sie eine
Jacke mit Schweizerkreuz trage. Eine andere Kollegin schimpft
über ihren
«typisch linken Lehrer», der ihr eine schlechte Aufsatznote
gab, «weil ihm
meine Meinung zum Patriotismus nicht passt».
Nur
Patrioten?
Schweizer Jugendliche schreiben sich ihre Wut von der Seele. Der
Tenor: «Der
Staat kann oder will uns nicht helfen. Unser eigener Staat ist
gegen uns. Es
schmerzt, wenn das Vaterland auseinander bricht, weil wir uns
anpassen
müssen.» Anpöbelei im Zug, Schlägereien im
Schwimmbad, «Lämpen» in der
Disco. Von Lachen (SZ) bis Reigoldswil (BL), von Rheineck (SG)
bis nach
Haslital (BE) machen sich unter Schülerinnen und Schülern,
Lehrlingen und
jungen Berufsleuten Zorn, Frustration und Ohnmacht breit. Viele
fühlen sich
allein gelassen. Können nicht verstehen, warum viele Erwachsene
die Gewalt
von ausländischen Jugendlichen oft verharmlosen oder entschuldigen.
Während
sie die Heimatliebe und den Nationalstolz von Schweizer Jugendlichen
vorschnell als reaktionär oder rassistisch verteufeln.
Hinter
«patriot.ch» stehen der 37-jährige Zürcher
Computerspezialist Mark
Hilfiker und der 42-jährige Thurgauer Speditionsangestellte
Karl Weder. «Wir
sind ein Internetportal für rechts denkende Jugendliche»,
sagt Weder im
schwarzen «Patriot»-Pullover mit Bürstenschnitt
und Stoppelbart, «wir
kämpfen für die Freiheit der Schweiz, aber sind keine
Fremdenhasser.» Wer
sich als Rechtsextremer oute oder zur Gewalt aufrufe, werde ausgeschlossen;
das sei bisher bei etwa acht Personen der Fall gewesen.
Die
im Februar gegründete Internetbewegung umfasst heute 1870
Mitglieder,
davon rund 300 zahlende (Mitgliedsbeitrag 30 Franken). Die Mehrheit
sei
zwischen 15 und 20 Jahren alt. Jeden Monat stiessen 200 bis 300
Neue dazu.
«Wir sind Idealisten», sagt Weder, und seine Augen
funkeln hinter starken
Brillengläsern, «wir helfen rechten Jugendlichen, ihren
Frust auszudrücken,
und zeigen ihnen, dass sie als Patrioten nicht rechtsextrem werden
müssen.»
Veteran Weder arbeitet wie besessen für sein Ziel. Unter
dem Nickname
«Napoleon» beantwortet er die meisten Mails, rät
zu Strafanzeigen, warnt vor
Gegengewalt («Sonst bist du der Böse»), räsoniert
über «Völkervermischung»
und interveniert bei Schulen und Gemeindepolizei.
«Menschen,
die eine schwere Jugend hatten, wollen ein Land, das Recht und
Ordnung bietet», sagt er; «wenn die Verhältnisse
nicht stimmen, kommen sie
durcheinander.» Karl Weder stammt selbst aus schwierigen
Verhältnissen
(Alkoholismus, Gewalttraumatisierung), wie er freimütig einräumt.
Sein
Arbeitgeber, ein Thurgauer SVP-Mitglied, bei dem er seit 17 Jahren
arbeitet,
toleriert seine Politaktivität. Bis zur EWR-Abstimmung war
Weder bei der
Autopartei. «Dann merkte ich, dass es mir nicht um die Lastwagen
ging,
sondern um die Schweizer Bevölkerung.» Hier ortet er
das Hauptproblem bei
der Ausländergewalt - «wir bekämpfen sie aber
nicht wie die Skins mit
Dreinschlagen, sondern mit Strafanzeigen. So muss die Polizei
handeln.»
«Napoleon»
Weder brüstet sich mit seinem direkten Draht zum Bundesamt
für
Polizei (BAP), das einen Zugang zum inneren Bereich der Patrioten-Website
habe. In Bern spielt man diese Kontakte herunter. Roman Studer
vom Dienst
für Analyse und Prävention des BAP bestätigt, dass
man «gelegentlich»
Anfragen von «patriot.ch» erhalte: «In diesem
Zusammenhang versuchen wir,
fallbezogene Tipps beziehungsweise Verhaltensvorschläge -
Anzeigen bei der
Polizei, Informieren der Schulbehörden etc. - abzugeben;
es handelt sich
somit um keine eigentliche Zusammenarbeit.» Ungewöhnlich
ist auch der
Kontakt von «patriot.ch» zur «Aktion Kinder
des Holocaust» (AKdH). Diese
engagiert sich gegen Rassismus und Antisemitismus im Internet
und entwickelt
Deeskalationsstrategien im Umgang mit gewaltbereiten Jugendlichen.
Zurzeit
betreut die AKdH 15 jugendliche Neonazis, darunter einige, die
ihr von Weder
vermittelt wurden. AKdH-Sprecher Samuel Althof betont: «Die
Probleme von Schweizer Jugendlichen mit Ausländern sind sehr
ernst zu
nehmen.» In diesem Sinne coache die AKdH solche Personen;
allein schon das
Gespräch schraube das Gewaltpotenzial hinunter. Wer jugendliche
Extremisten
hingegen nur politisch bekämpfe, verschärfe die Lage
und sei selbst «Teil
des Problems». (siehe: Prävention)
In
den letzten Monaten suchte «pariot.ch» vermehrt die
Öffentlichkeit. Im
Sommer wollten einige Patrioten mit einem Love-Mobil an die Street
Parade,
was ihnen verwehrt wurde. In der Jugendsession im November tauchten
einige
Teilnehmer in roten «Patriot»-Shirts auf. Und vor
zwei Wochen führte die
Gruppierung ihren ersten grossen «Helvetia-Day» durch,
an dem sie in 95
Gemeinden Flyer für die SVP-Asylinitiative verteilte.
Die
Meinungen über die Bewegung junger Nationalisten, die sich
von Gewalt
abgrenzen, sind geteilt. Für Reto Vannini vom Zürcher
Volksschulamt ist es
eine «widerliche Homepage». Der Rechtsextremismus-Spezialist
und Journalist
Hans Stutz sieht dahinter «eine Organisation, die einen
grobschlächtigen
Nationalismus vertritt und rechtsextremistische Gewalt nicht ablehnt».
Anders die Auns, deren Geschäftsführer Hans Fehr offenbar
auf Integration
setzt. Bereits suchte er die Jugendbewegung unter seine Fittiche
zu nehmen.
Doch Weder winkt ab: «Überparteilich sind wir stärker.»
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