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Trauerarbeit und Schamgefühle statt Medientamtam
QU: Badische Zeitung vom 8. November 2001

In Basel formiert sich eine rechte Szene / Spuren nach Deutschland / Aktion Kinder des Holocaust ebnet Wege aus der Gewaltspirale / Chats für Ausstiegswillige


BASEL. Wenn in der Schweiz in jüngster Zeit Debatten über rechtsradikale Umtriebe entbrennen, spielt oft genug die Basler Szene eine Rolle: Die Schweizer SonntagsZeitung berichtete in ihrer jüngsten Ausgabe, dass einer der angeblichen Aussteiger, der in Christoph Schlingensiefs Zürcher „Hamlet" mit~ wirkt, weiterhin Naziartikel vertreibt - über einen Basler Zwischenhändler. In Rheinfelden/CH sorgt ein Laden für Unmut, der demnächst eröffnen will und martialische „Hooligan Streetwear" verkauft. Hinter dem Geschäft steht ein einschlägig bekannter Versand mit Sitz in Basel. Sein Chef: der Vorsitzende der rechtsextremen „Partei national orientierter Schweizer" (Pnos). Einem Teilhaber gehört eine Basler Securityfirma.

Nach Expertenmeinung könnte sich die Pnos aus ehemaligen Mitgliedern der im letzten Jahr verbotenen Skinhead-Organisation „Blood & Honour" rekrutiert haben. Noch wird sie von der Arbeitsgruppe Rechtsextremismus des Berner Justizministerium nur als loses Netzwerk bezeichnet. Andere Beobachter, die die Radikalen im Auge haben, nehmen das wachsende Gewaltpotenzial ernst, beschwichtigen jedoch auch, dass die rechte Szene Basels „organisatorisch und intellektuell" bisher nicht in der Lage sei, terroristische Zellen zu bilden. Gleichwohl gebe es „interne Versuche", in diese Richtung zu steuern. Im Verdacht stehen auch Hintermänner des Basler Hooligan-Versenders.

Der harte Kern der Schweizer Rechtsradikalen beläuft sich nach amtlichen Schätzungen auf bis zu 700 Personen. Bedenklich dabei: Die Skinheadszene verjüngt sich stark. Ein guter Teil, so das Justizministerium, sei minderjährig, viele zwischen 16 und 22 Jahren alt. Das bedeutet: Neue Medien wie das Internet gewinnen als konspirativeKommunikationsform an Einfluss.

Wer also Jugendschutz betreiben will, muss hier mithalten können. Genau das tut die Aktion Kinder des Holocaust (AKdH), ein internationaler Zusammenschluss von Nachkommen Überlebender der Judenverfolgung und von Widerstandskämpfern im Zweiten Weltkrieg, in dem seit Jahren Fachleute verschiedener Berufe kooperieren. Internetseiten auf strafrechtliche Inhalte prüfen, Urheber aufspüren, das Gespräch mit den Providern suchen, um die Seiten zu löschen, ist eine ihrer Aufgaben.


Die Resultate werden an Ermittlungsbehörden weitergeleitet und auf der eigenen Web-Seite dokumentiert. Die Webmasterin der Pnos wurde in Deutschland ausfindig gemacht. Auch ist die Verbindung zur deutschen NPD nach Erkenntnissen der AKdH mit der Verlinkung der NPD auf der Pnos-Homepage eindeutig erkennbar.

Die „Kinder des Holocaust" verstehen sich als „Pressure-Group". Doch nicht nur. Im stillen ebnen sie Jugendlichen den Weg heraus aus der rechten Gewaltspirale. Was mehrfach gelang, nicht zuletzt weil die Anonymität des Internets die Kommunikation erleichtert. „Der Binnendruck der Gang wird so unwirksam", sagt Samuel Althof. Er ist Psychiatriepfleger und einer der Sprecher der AKdH. Seiner Ansicht nach ist dies ein erster Schritt, um mit jugendlichen Sympathisanten rechtsradikaler Sprücheklopfer in Kontakt zu kommen. Im Gegensatz zur Minderheit der Basler Programmatiker seien ihre Motive nur oberflächlich rassistisch. Meist stecken kaputte Familien und „Formen der Verwahrlosung" dahinter, dazu der Wunsch „Zeichen zu setzen, um gehört zu werden".

Über eines macht sich Althof keine Illusion: Die Reintegration braucht Zeit und „erfordert viel Trauerarbeit". Deshalb hält er etwa Schlingensiefs Medientamtam um sein theatralisches Aussteigerprojekt für „Quatsch". Wer unter seine Neonazivergangenheit seriös einen Schlussstrich ziehen wolle, müsse zuvor „ein Schamgefühl für seine Taten entwickeln und Leidensdruck erleben", statt sie in alle Welt zu posaunen.

Boulevardeskes Aufblasen der faschistischen Bedrohung ist gar nicht nach dem Geschmack der AKdH. Eher schon die Doppelstrategie mit einerseits juristischen, andererseits sozialpädagogischen Mitteln. Seit dem Herbst bietet sie regelmäßig Internet-Chats, Ende Oktober eines zum Thema Skinheads. Die Pnos war ausdrücklich zugelassen, reagierte nach Angaben Althofs aber nicht. Sich und andere auszugrenzen sei ihr Prinzip und ihr Problem, folgert Althof: „Sie sind nur das, wogegen sie sind."

Chat: 13. November, 20 Uhr. Thema: „Gewissen gestern und heute. Standpunkte der Tochter eines Underground Man" (Angehöriger des Widerstandes gegen Hitler). Anmeldung: www.akdh.ch

 




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