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Anzeige wegen rassistischer Punk-Band
Der Bund 29. Juli 1996, von Peter Sennhauser
In Basel hat die «Kinder des Holocaust»
gegen vier Musikgeschäfte wegen des Verkaufs rassistischer CDs Anzeige
erstattet. Die «Kinder des Holocaust» wollen damit Rechtsextremen
die Nutzung von Nischen in der Jugendkultur zur Verbreitung ihrer
Ideologie verbauen.
Es dürfte nicht die letzte Anzeige geblieben
sein: In Basel sind in den vergangenen Wochen vier Musikgeschäfte
angezeigt worden weil sie eine Platte der deutschen Punk-Band
«Bühse Onkelz» im Angebot führen. Die Band hat sich
wohl von ihren früheren rassistischen Texten und ihrer neonazistischen
Ausrichtung distanziert nachdem sie in Deutschland vom Verfassungsschutz
verboten worden war.
Die «Kinder des Holocaust» sind
jedoch davon überzeugt, dass es sich dabei um ein strategisches
Manöver handelt. Die «Kinder des Holocaust», laut Angaben
eines Sprechers ein lockerer Verbund von Nachkommen von Holocaust-Überlebenden,
hat sich den Kampf gegen alle Formen von offenem und verstecktem
Rassismus verschrieben. Je nach Notwendigkeit besteht die Gruppierung
aus dreissig, bei grossen Aktionen schnell aber auch aus 1500 Personen.
Die Anzeige gegen die Musikhändler, welche die «Böhse
Onkelz» in Basel vertreiben hat erklärtermassen Präjudizcharakter.
Denn die Texte der Band sind heute in der Tat nicht mehr auf den
ersten Blick als rassistisch oder von Neo-Nazi Ideologie geprägt
zu erkennen.
Das gesamte Umfeld der Platte aber, die Tatsache,
dass die Band bereits einmal verboten war und jetzt «Scheinheilige
Lider» (Titel der Platte) veröffentlicht, lasse nur eine Interpretation
der meist zweideutigen Texte zu, argumentieren die «Kinder
des Holocaust». Sie wollen eine Verurteilung unter Würdigung
des Umfeldes der Liedertexte erreichen.
Staatsanwaltschaft aktiv
Die Basler Staatsanwaltschaft nimmt die Anzeige
nicht auf die leichte Schulter, wie Sprecher Markus Melzel dem «Bund»
erklärt. Es gehe darum, gerade bezüglich nicht auf den ersten Blick
zu beurteilenden Anzeigen eine Gerichtspraxis zu schaffen, die etwas
deutlicher definiere, was noch zulässig ist und was nicht. Dazu
könne die Beurteilung der Platte durchaus einen Beitrag leisten.
Es liege beim Schweizerischen Rechtssystem durchaus im Bereich des
Möglichen, dass ein Richter die Platte im Gesamtzusammenhang als
Verletzung der Anti-Rassismus-Strafnorm anerkenne. Die Staatsanwaltschaft
habe sich jedenfalls die Texte der Platte beschafft - nach dem ein
Mitschreiben beim Probehören nicht sehr realistisch erschienen sei:
«Die singen ja nicht gerade wie Mani Matter», umschreibt
Melzel die Erkenntnis der Untersuchungsbeamten.
Sind es bei den «Bühse Onkelz»
noch die Texte und die Vergangenheit der Band, an die sich «Kinder
des Holocaust» stossen, so war es bei der Band «Death
in June» die Verbindung des Plattencovers mit Nazi-Insignien
und ebenfalls Textpassagen wie «Europa hat gebrannt und wir
wieder brennen». Wegen des Verkaufs dieser Platte haben die
« Kinder» gegen eines der vier Geschäfte eine zweite
Strafanzeige erstattet.
In Basel sind zudem weiter Anzeigen, basierend
auf dem Anti-Rassimsus-Artikel hängig. Eine richtet sich gegen eine
grosse Buchhandlung, die trotz Hinweisen der Israelitischen Gemeinde
auf antisemitische Passagen das Buch «Geheimgesellschaften»
nicht aus dem Sortiment genommen hat. Eine andere, von der sich
die Staatsanwaltschaft ein klärendes Grundsatzurteil erhofft, erging
gegen antisemitische Flugblätter.
Übertriebene Zensur?
Den Vorwurf, unter Missbrauch der Anti-Rassismus-Strafnorm
übertriebene Zensur zu betreiben, wollen die «Kinder des Holocaust»
nicht auf sich sitzen lassen. Sie würden die Platten nicht leichtfertig
beurteilen, erklärt der Sprecher, der wegen bereits erfolgter Drohungen
gegen andere Mitglieder der Aktion anonym bleiben möchte. "Wir
gehen nur gegen das vor, was von der ganzen Anlage her eindeutig
zuzuordnen ist. Es gebe viel Material, das in diese Richtung tendiere;
und gerade weil sich die entsprechenden Kreise in «gewissen
Nischen der jugendlichen Subkultur» eingerichtet hätten, seien
sie keineswegs harmlos, sondern sehr gefährlich". Derzeit arbeite
die Gruppe an einem Index von rassistisch oder durch Nazi-Ideologie
geprägten Platten. «Diese Liste wird aber nicht veröffentlicht,
sondern den Plattenläden und den Radiostationen zugestellt werden»,
betont der Sprecher. Denn in den USA haben ähnliche Aktionen dazu
geführt, dass sich gewisse Plattenläden ausschliesslich auf die
indizierten Scheiben spezialisierten und damit auch noch ein Geschäft
machen. Es sei auch keineswegs so, dass die Gruppe schlicht alles,
was irgendwie an die Vergangenheit Europas erinnere, aus den Regalen
verbannen wolle. Die Beurteilung, ob etwas bekämpft werden solle
oder nicht, werde von der «Kinder des Holocaust» sehr
differenziert vorgenommen. «Wir kämen beispielsweise nicht
auf die Idee, die Platten der Gruppe Kiss verbieten zu wollen, weil
deren Namenszug das Doppel-S in Runenschrift enthält», erklärt
der Sprecher der Gruppe.
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