Lehrstueck aus Basel - Ein Buch aus dem Perseus-Verlag bringt die anthroposophische Bewegung in Verlegenheit
 
 
   
 
 
 
 

ANTHROPOSOPHIE UND ANTISEMITISMUS

Die Wochenzeitung, WoZ vom 9.April 1998, Nr. 15

Lehrstück aus Basel - Ein Buch aus dem Perseus-Verlag bringt die anthroposophische Bewegung in Verlegenheit
Von Katia Schär & Zora Kirschbaum

Verleger Thomas Meyer fühlt sich gründlich missverstanden und das gleich von mehreren Seiten: von Ekkehard Stegemann. Theologieprofessor an der Universität Basel, von der «Aktion Kinder des Holocaust», vom Centre de Contact Suisses-lmmigrés/SOS Racisme, vom Auschwitz - Komitee in der Bundesrepublik Deutschland und vom Publizisten Alfred A. Häsler. Anlass ist die Neuauflage des 1991 in Meyers Perseus - Verlag erschienenen Buchs «Das Rätsel des Judentums» von Ludwig Thieben.

Thieben ein von der Anthroposophie überzeugter österreichischer Jude, versuchte 1930 die «weltgeschichliche Entwicklung des Judentunis unter Rückgriff auf das Gedankengut Steiners», so Meyen aufzuzeichnen - und das nicht ohne antisemitische Aussagen. Thieben sprach von Blutsveranlagung, von gierigem Nomadentum, von Schmarotzertum der Juden gegenüber anderen Völkern. Oder: «Ackerbau, Technik und Kunst ist ihnen [den Juden] fremd, wie jede ehrlich schaffende Arbeit. Sie geben sich den Anschein, als verachten sie die Arbeit, in Wahrheit aber fehlen ihnen die Fähigkeiten dazu.»

Der Anthroposoph Meyer ergänzte diesen Text mit einem Nachwort Zitat: «In diesem Sinne könnten die Deutschen als die Juden der Moderne bezeichnet werden.» Stegemann bezeichnete den Vergleich zwischen Deutschen und Juden als pervers und die antijüdische Ideologie Meyers als empörend. Nico Rubeli, evangelischer Pfarrer und Mitglied der Stiftung «Kirche und Judentum», beurteilt Meyers Ausführungen als antijüdisch und rassistisch und verweist auf den gedanklichen Irrweg des Autors, den «Irrtum» der Deutschen - den Holocaust mit dem «Irrweg» der Juden zu vergleichen, den Messias nicht erkannt zu haben.

Aber Meyer fühlt sich - wie gesagt - missverstanden. Auf die Aufforderung der Aktion «Kinder des Holocaust», das Buch aus dem Handel zu ziehen, da andernfalls eine Klage zu erwägen wäre, reagiert Meyer mit der Androhung einer Gegenklage gegen Samuel Althof, den Sprecher der «Aktion Kinder des Holocaust». In seiner anthroposophisch angehauchten Postille «Der Europäer» macht Meyer aus der Debatte um das Buch einen «Fall Althof».

Meyers Angriffe richten sich aber auch gegen Stegemann, dessen Vorgehensweise er als unwissenschaftlich bezeichnet. Stegemann erklärt dazu, Meyer habe sich auf keinen Punkt seiner Kritik bezogen, sondern ihn einfach persönlich angegriffen. «Das ist eben Meyers Stil, ziemlich windig und nicht ernst zunehmen.» Ernst zunehmen sei nur, dass Meyer mit seiner Zeitschrift eine Möglichkeit habe, seine windigen Gedanken zu verbreiten.

Die Diskussion um Meyers Buch wirkt sich auch auf die anthroposophische Bewegung aus. Die Anthroposophen stellen sich auf den Standpunkt, dass eine Verbindung von Anthroposophie und Antisemitismus prinzipiell unmöglich sei. Die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft (AAG) in Darnach reagierte zögernd auf die Vorwürfe Meyers Buch betreffend.

Donald Vollen vom Vorstand des Goetheanum Dornach liess schriftlich verlauten: «Das Buch enthält nach unserer Auffassung tatsächlich zum Teil diskriminierende Äusserungen gegenüber dem Judentum die wir keineswegs billigen können.» Jedoch verwies er darauf, dass Meyers Verlag ein von der AAG unabhängiges Unternehmen sei. Auch Meyer behauptet, dass es zwischen Anthroposophie und Antisemitismus keine Verbindung geben könne. Meyer ist der Meinung, nur von jüdischer Seite könne qualifiziere Kritik gegenüber seinem Nachwort erwachsen. Bis jetzt hätten sich aber nur Nicht - Juden dazu geäussert. Dabei ignoriert er, dass Samuel Althof, Philip Karger, Professor Ludwig E. Ehrlich, Bergier - Kommissions-Mitglied Jacques Picard, Vinzent Frank, siebzehn Jahre Präsident des Anne - Frank - Fonds und andere jüdische Persönlichkeiten sein Buch verurteilen. In seiner schriftlichen Stellungnahme gegenüber der WoZ betont er seine Ausführungen seien von jüdischer Seite her nicht generell als verletzend empfunden worden.

David Schweizer, Präsident der Zionistischen Vereinigung Basel, könne dem Buch durchaus sein Gutes abgewinnen. Samuel Althof, Sprecher der «Aktion Kinder des Holocaust» weist Meyers Argumentation zurück: «Gott sei dank kommt die Kritik endlich von christlicher Seite. Es ist höchste Zeit, dass sich nicht nur die Opfer wehren. Das Problem des Antisemitismus liegt schliesslich nicht bei den Juden. Es ist gut, dass dort Opposition entsteht, wo das Problem herkommt.» Meyer sieht es anders: «Es kommt für die Wahrheit einer Sache nicht darauf an, wie viele Menschen eine bestimmte Meinung haben.»

Gegen Meyer wurde inzwischen eine Klage wegen Verletzung der Antirassismus - Strafnorm eingereicht. Der Kläger ist unbekannt.

 

 
 

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