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Holocaust, esoterisch aufgekocht
Tages Anzeiger vom 25. Mai 1998
Heute Montag tritt in Basel Barbro Karlén
auf, die sich als die wiedergeborene Anne Frank sieht. Über die
Show einer Weltfremden und die Politik eines Esoterikers. Von Mathias
Ninck
So wie es viele gibt, die von ihrer Umgebung
nicht recht ernst genommen werden, weil sie vielleicht Napoleon
sind oder Christus oder Julius Cäsar, so gibt es einige, die unglücklich
ihr Dasein fristen als Anne Frank. Doch eine von ihnen ist über
dieses Stadium hinausgekommen, hat es sogar zu etwas Ruhm und Aufsehen
gebracht: die schwedische Schriftstellerin Barbro Karlén.
Seit Kindesalter behauptet sie, schon einmal
gelebt zu haben, und zwar als Anne Frank; sie erinnere sich, in
Amsterdam im Versteck gehaust zu haben, von der SS abtransportiert
und im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet worden zu sein.
Darüber schrieb sie ein Buch, und ihr Verleger in der Schweiz, der
Basler Anthroposoph Thomas Meyer, sagt: "Ich weiss, dass sie es
ist." Es sei sinnlich nicht zu beweisen, aber es gebe ein übersinnliches
Bewusstsein. "Ich kann es voll verantworten, dass sie jetzt auftritt."
Unterstützt wird er, zumindest rhetorisch,
von Buddy Elias, Anne Franks Cousin, der ebenfalls an die Wiedergeburt
glaubt und für den, wie er dem "Brückenbauer" sagte, Barbro Karlén
"durchaus glaubwürdig wirkt". Heute Montag in Basel, am Mittwoch
in Zürich wirbt Barbro Karlén für ihr neues Buch und für die Botschaft,
die der Veranstalter unters Volk bringen will.
Thomas Meyer, der als Verleger erst kürzlich
für Schlagzeilen gesorgt hat, als er das 1930 geschriebene Buch
"Das Rätsel des Judentums" neu auflegte und dabei die antisemitischen
Aussagen tel quel mitdruckte, sagt: "Das Ziel ist, zu zeigen, dass
man den ganzen Sumpf des Rassismus wirklich überwinden kann. Wenn
wir begreifen, dass ein Mensch immer wieder geboren wird und dabei
durch verschiedene Rassen hindurchgeht, fördert das die Toleranz."
Es sei ein bedeutender Denkanstoss, dass Karlén den Mut habe, die
"Wiedergeburt in den Zusammenhang zu stellen mit dem Holocaust".
Und das tut sie. Sie versucht den Beweis der "absoluten Unvernichtbarkeit
der Seele" zu erbringen. Ihr Buch endet mit den Worten: "Sie sieht,
wie sie hinausgeht, hinaus in die Sonne, hinaus in die völlige Freiheit.
Jetzt kann ihr niemand mehr Schaden zufügen (. . .) ihre Seele ist
frei."
Die politische Botschaft solcher Esoterik
ist: "Der Mensch ist nicht vernichtbar" (Thomas Meyer). Die Sensibilität
gegenüber solchen verbalen Ungeheuerlichkeiten ist unterdessen allerdings
gross, und so haben die beiden Reinkarnations-Veranstaltungen schon
im voraus Aufregung ausgelöst. Der Historiker und Musiker Binjamin
Wilkowirski, ein Überlebender des Holocaust, sagt: "Es ist ein Betrug
im moralischen Sinn, den Leuten mitzuteilen, es gehe den gestorbenen
jüdischen Seelen ja gar nicht so schlecht. Die angebliche Anne-Frank-Wiedergeburt
finde ich nicht schlimm, das ist einfach ein verwirrter Geist. Schlimm
ist, dass jetzt die Manager kommen und das ausnützen, weil sie ein
Geschäft wittern." Und Ekkehard Stegemann, Theologieprofessor an
der Universität Basel, meint: "Ich habe grundsätzlich Mühe mit dem
Gedanken der Reinkarnation, aber ganz besonders bezüglich dieser
Veranstaltung." Denn da schwinge Wiedergutmachung mit, die es in
der Realität nicht geben könne. "Die Erschlagenen sind erschlagen,
und das wird so bleiben."
Letzte Woche hat die Aktion Kinder des Holocaust
den Geschäftsführer des Volkshauses in Zürich und den Direktor des
Basler Hotels "Hilton" gebeten, ihre Säle für die "respektlose Vereinnahmung
der Schoa" nicht bereitzustellen. In Basel kam der Vorstoss vergeblich.
"Das ist eine Veranstaltung wie jede andere", sagt der zuständige
Bankettchef des "Hilton", "wer bezahlt, kann unsere Säle mieten."
Beim Volkshaus in Zürich hat der Geschäftsführer bereits "verschiedene
Sachen unternommen". Er prüfe, ob er die Veranstalter wieder ausladen
solle, sagt Hans-Rudolf Wirz, es gebe eine entsprechende Klausel
im Mietvertrag. Zurzeit holt er verschiedene Meinungen ein, heute
Montag fällt der Entscheid.
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