Verlag am Goetheanum · CH-4143 Dornach
Herrn Ständerat
Prof. Dr. Gian-Reto Plattner
Andreasplatz 8
4051 Basel
Dornach, 03. September 1999
Sehr geehrter Herr Ständerat, sehr geehrter Herr Professor Plattner,
mit höchstem Befremden haben wir die Ankündigung der Veranstaltung zum Thema Anthroposophie
am 7. September zur Kenntnis genommen. Noch mehr befremdet hat uns allerdings die Tatsache,
dass neben den offenbar mitveranstaltenden etablierten Parteien auch Sie als Wissenschaftler, Politiker
und Ständerat daran mitwirken.
Es zeugt – allen rhetorischen und juristischen absichernden "Fragezeichen" zum Trotz – von
mangelndem historischen Bewusstsein und von mangelnder Sensibilität in der Gegenwart, wenn –
wie im grotesken Titel der Veranstaltung, der praktisch üblen Nachrede und Verleumdung darstellt
– heute, 60 Jahre nach Ausbruch des 2.Weltkrieges, Andersdenkende gesellschaftlich und politisch
wieder quasi-offiziell diskriminiert werden. Dabei sollte jedem, der sich mit dem Thema auch nur
oberflächlich auseinandergesetzt hat, nicht nur das Urteil der niederländischen Antirassismus -
Kommission, sondern auch die zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen der letzten Zeit
zum Thema "Anthroposophie und Rassismus" etc. bekannt sein. Eine Publikation der Gebrüder
Grandt mit ähnlichen (Vor-)Urteilen, wie sie bereits in der undifferenzierten und demagogischen
Fragestellung Ihrer Veranstaltung zum Ausdruck kommen, wurde hingegen in der BRD richterlich
verboten.
Was wollen Sie "moderieren ", wo nur die eine Seite eingeladen ist? Wir hätten Ihnen viele
Persönlichkeiten nennen können (auch Professoren und Kirchenvertreter), die die "andere" Seite
kompetent hätten vertreten können. Sie machen es sich zu einfach. Die äusserst unfaire "Information",
die Sie anbieten, steht in einer undemokratischen und unwissenschaftlichen Tradition, sie lässt ungute
Erinnerungen aufkommen. Diskriminierung ist nur der erste Schritt. Diskriminiert und beleidigt aber
werden nicht nur generell alle Anthroposophen, sondern insbesondere jene jüdischen Glaubens oder
jüdischer Abstammung, die wohl kaum die Anthroposophie vertreten würden, wenn dieser oder ihrer
Tradition ein irgendwie gearteter Antisemitismus oder Rassismus immanent wäre. Allein in unserem
vergleichsweise kleinen Verlag publizieren jüdische Persönlichkeiten (darunter auch "Nicht
Anthroposophen") wie Rabbi Yonassan Gerschom (USA), Hana Arnostam-Wiesner (Israel),
Ammnon Reuveni (Israel/Schweiz) und Jesaiah Ben Ahron (Israel).
Nur am Rande sei bemerkt, und dies betrifft uns als mittelständische Firma direkt, dass die
Anthroposophie in der Regio einen nicht zu vernachlässigenden Wirtschaftsfaktor darstellt, was Ihnen
bekannt sein dürfte. Wir und andere Betriebe erleiden durch derartige "Informationsveranstaltungen",
die politisch in der Schweiz offensichtlich wieder opportun sind, einen nicht wieder gut zu machenden
und geschäftsschädigenden Imageverlust.
VERLAG AM GOETHEANUM
gez. Joseph Morel, Geschäftsleiter Ilija Karenovics, Lektor Humanwissenschaften
Kopien: an die beteiligten Veranstalter