Babro Karlén: Selbsternannte Wiedergeburt von Anne Frank

Israelitisches Wochenblatt 26. 5. 1998

Diese Woche fanden in Basel und Zürich Veranstaltungen mit der schwedischen Schriftstellerin Barbro Karlén statt, die sich in einem Buch als Wiedergeburt von Anne Frank beschreibt. Die Aktion Kinder des Holocaust machte gegen Karlén mobil und verurteilte "die Vereinnahmung" von Anne Frank und "den Missbrauch" ihrer Geschichte. Da sich Buddy Elias, Präsident des Anne Frank-Fonds, positiv zu Karlén stellt, verlangt die Aktion seinen Rücktritt. Zusammen mit Thomas Meyer, umstrittener Verleger des Basler Perseus-Verlags, hat der Jounalist Ronald Goldberger, der neuerdings auch als Heiler und Reinkarnationstherapeut firmiert, diese Woche zwei Abende zum Thema "Wiedergeburt: Fiktion und Realität" organisiert.

Im Zentrum der Podiumsdiskussionen war die schwedische Schriftstellerin und ehemaligen Polizistin Barbro Karlén, Autorin des im Perseus-Verlags erschienen Buchs "... und die Wölfe heulten", in dem sie sich als Wiedergeburt der 1945 im KZ Bergen-Belsen ermordeten Anne Frank beschreibt. Kernaussage ihres Buchs sei, dass "unser heutiges Leben nachhaltig von den Erfahrungen früherer" geprägt sei, erklärte Goldberger. Seiner Meinung nach vermittelt Karlén "unerschüttlich" eine Botschaft: "Weder Hass noch ewige Trauer, sondern von tiefem Verständnis für den Mitmenschen getragenen Liebe vermag die Narben der Vergangenheit am ehesten zu heilen".

Für Verleger Meyer bietet die Reinkarnation die Möglichkeit, den Holocaust tiefer zu verstehen. Sie sei kein Versuch, ihn zu verharmlosen. Die Idee des wiederkehrenden Lebens stellt für Meyer gar ein Heilmittel gegen Rassismus dar. Im Nachwort zum Buch stellt er die schwedische Schriftstellerin auf die gleiche Stufe wie Anne Frank: "Anne Frank wurde weltweit zum Symbol der sinnlosen Vernichtung "fremdrassischen Lebens". Babro Karlén verkörpert durch ihr Leben und Werk die absolute Unvernichtbarkeit der "Seele" oder Individualität des Menschen - der "Seele", welche mehr als Glied zu sein von irgendeiner Rasse, irgendeines Volkes, irgendeiner Religionsgemeinschaft in erster Lied Glied der ganzen Menschheit ist".

Als die Werbetrommeln für die Podiumsdiskussionen gerührt wurden, griff die Aktion Kinder des Holocaust ein: "Egal, was man vom Gedanken der Wiedergeburt halten mag, dieser Versuch einer öffentlichen Beweisführung der "absoluten Unvernichtbarkeit der Seele" anhand des wirkungsvollen Namens Anne Frank ist entschieden zu verurteilen. Es ist eine zusätzliche Vereinnahmung und ein Missbrauch ihrer Geschichte". Mit Briefen ans Basler Hotel Hilton und ans Zürcher Volkshaus versuchte die Aktion, die Abende -allerdings erfolglos - zu verhindern. Unterstützung erhielt sie durch Vincent C. Frank, ehemaliger Präsident des Anne Frank-Fonds, der sich kritisch gegenüber der Wiedergeburt in Karlén zeigt: Wenn man den Gedanken der Reinkarnation weiterdenke, hiesse dies doch, dass der Holocaust und das grausame Sterben von Anne Frank harmlos, ja heilsgeschichtlich erforderlich waren: " Sie stellten dann eine Voraussetzung für die Wiedergeburt von Anne und damit aller anderen Opfer dar", sagt Frank, der dies als "inakzeptable Vorstellung" bezeichnet.

Sein Nachfolger im Präsidium des Anne Frank-Fonds, Buddy Elias, stellt sich positiv zu Karlén: Er habe vor ihr grosse Achtung und sei einverstanden gewesen, dass sie ihr Buch veröffentlicht. Der Cousin von Anne Frank glaubt an die Möglichkeit der Reinkarnation: Es sei ihm aber nicht möglich, zu sagen, Karlén sei sein Cousine. Dafür habe er Anne Frank zu gut gekannt. Elias weist auf Rabbi Yonassan Gershom aus den USA, der sich intensiv mit Reinkarnation befasst habe. Für die Aktion ist Elias's Haltung unverständlich: Sie verlangt seinen Rücktritt als Präsident des Anne Frank-Fonds. Darauf angesprochen sagt Elias, dass er nicht daran denke zurückzutreten: Seine Meinung zu Karlén sei Privatsache und habe mit dem Anne Frank-Fonds überhaupt nichts zu tun. Wie gestalteten sich die Veranstaltungen? Im übervollen Saal des Basler Hotels Hilton gab sich Karlén sehr zurückhaltend. Sie habe erst nicht daran gedacht, ihre Erinnerungen zu veröffentlichen. Ihr Schreiben sei ein Art Therapie gewesen, um ihre Erinnerungen zu verarbeiten. Sie habe nicht die Absicht, zu beweisen, dass sie Anne Frank war. Sie habe der Publikation nach dem Einverständnis von Buddy Elias zugestimmt, um mit ihrer Botschaft der Reinkarnation anderen helfen zu können.

In dem von Goldberger straff geleiteten Podium mit Fragen und Antworten an und von Karlén, Reinkarnations-Therapeuten und Psychologen wurde allerdings nicht klar, warum für die Botschaft der Liebe zum Mitmenschen und für die Einsicht, dass alles in einem Leben seine Bedeutung hat, ausgerechnet die Reinkarnations-Idee notwendig ist. Kritische Töne kamen weder aus dem Publikum noch vom Podium. Einzig Edith Ackermann, Medium aus Birsfelden, argwöhnte, dass vielfach Wiedergeburten bekannter Personen wie zum Beispiel Cleopatra begehrt seien: "Wo bleibt aber die reinkarnierte einfache Bauersfrau ?". Nach Auskunft von Goldberger, gibt es allein in den USA vier Personen, die sich als Wiedergeburt Anne Franks bezeichnen.

So plätscherte der Abend ohne Tiefgang dahin . Mehr als eine nette Plauderei war wohl auch nicht vorgesehen. Das modische Gerede an diesem Abend brachte zumindest Werbung für das Buch Karléns und für die Dienste von Reinkarnations-Therapeuten. Ein halbe Stunde Pause war jedenfalls angesagt, in der man sich an Bücherständen verweilen konnte. Und Meyer nutzte die Gelegenheit, auf das umstrittene, in seinem Verlag erschiene Buch "Das Rätsel des Judentums" von Ludwig Thieben hinzuweisen: Da die Basler Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren wegen Verletzung der Antirassismusnorm diese Woche eingestellt hat, glaubt Meyer nun einen Persilschein für dieses von der Aktion Kinder des Holocaust bekämpfte Buch in Händen zu halten.

Iso Ambühl

 
 

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