Die Reinkarnationstheorie ist ein
Streitfall
Leserbrief von Dr. Vincent C. Frank-Steiner
an die TAZ, 26. Oktober 1999
Vincent C. Frank war langjähriger Präsident des Anne Frank
Fonds Basel
Dieser religiöse Streitfall kann nicht
rational gelöst werden. Im Rahmen der Religionsfreiheit ist
es jedoch Jedermann und jeder Frau freigestellt, daran zu glauben
oder nicht. Wie jede Freiheit hat auch die Religionsfreiheit ihre
Grenzen. So ist es in unseren Breiten nicht erlaubt, aus religiösen
Gründen z.B. Menschenopfer zu bringen unter Berufung auf die
Religionsfreiheit.
Es ist auch nicht statthaft - und die Gerichte
werden dies einmal zu beurteilen haben - unter Berufung auf die
Religionsfreiheit (selbst unter Vorlage irgendwelcher stets fragwürdiger
Beweise, die niemand erbringen kann), die Wiedergeburt von Holocaust-Opfern
zu behaupten, wie dies z.B. im Bezug auf Anne Frank die ehemalige
schwedische Polizistin Barbro Karlén tut und wie es auch
in anderen Fällen vorkommt.
Begründung:
Nach der Reinkarnationstheorie ist Tod und
Wiedergeburt eine Stufe in der Heilsentwicklung der betreffenden
Person. Akzeptiert man die Wiedergeburt von Shoah-Opfern, so sagt
man damit, dass der Tod dieser Menschen zu ihrer Heilsentwicklung
notwendig gewesen sei.
Nach manchen Spielarten der Reinkarnationstheorie
ist ein schwerer Tod die Strafe für begangene Schlechtigkeiten
in einem früheren Leben. Dies bedeutet, dass die Opfer - ihres
Verhaltens in einem früheren Lebens wegen - im Holocaust umgekommen
sind. Dadurch wird unterstellt, dass die Opfer schuldig sind und
nicht die Täter.
Wer also jenseits der erlaubten Grenze der Religionsfreiheit behauptet,
die Holocaust-Opfer seien wiedergeboren, begibt sich damit in gefährliche
Nähe der Auschwitz-Leugner.
|