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Anthroposophen
und ihre Institutionen im Nationalsozialismus
Jens Heisterkamp
Schatten der Vergangenheit
Wie verhielten sich Anthroposophen im Dritten Reich? Die lange erwartete,
umfassende geschichtswissenschaftliche Studie von Uwe Werner konfrontiert
mit einer Fülle an Materialien.
Nach der Anthroposophie in den Zeiten des Nationalsozialismus zu
fragen, hatte lange Zeit etwas Anrüchiges. Wie ein ganzheitliches
Verständnis des Menschen, das die Freiheit der Individualität
in den Mittelpunkt stellt, sich zur Herrschaft der Gewalt und des
Ungeistes stellt, schien sich von selbst zu verstehen. Nur von Kritikerseite
schien man auf den Gedanken verfallen zu können, daß
die Nachfolger der von Steiner begründeten Geisteswissenschaft
und ihre praktischen Felder mit jener Ideologie hätten konform
sein können, die dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte
angehört. Zugängliche Informationen zu diesem Komplex
gab es jedenfalls kaum, dafür Gerüchte und Mutmaßungen
zur Genüge. 66 Jahre nach 1933 liegt nun erstmals eine umfassende
geschichtliche Untersuchung der Anthroposophie im Dritten Reich
vor. Nach drei kleineren, bereits länger vorliegenden Aufsätzen
über die Waldorfschulen im Dritten Reich, verschiedenen Einzelstudien
und die von Arfst Wagner zusammengetragenen Dokumentationen kann
Uwe Werners Arbeit als Meilenstein auf diesem Gebiet gelten.
Werner hat eine überaus gründliche Arbeit vorgelegt. In
seiner unter Mitwirkung von Christoph Lindenberg erstellten Studie
wurden Unterlagen aus 50 öffentlichen Archiven und 35 privaten
Sammlungen verarbeitet. Viele der archivarischen Unterlagen waren
dabei erst nach 1990 überhaupt zugänglich. Die Studie
liefert minuziöse Schilderungen etwa der Vorgeschichte des
Verbotes der Anthroposophischen Gesellschaft am 1. November 1935
oder der Gestapo-Aktion gegen anthroposophische Einrichtungen vom
9. Juni 1941. Bei der ausführlichen Dokumenten- und Materialsammlung
möchte man keine der Fußnoten versäumen, schon allein
deshalb nicht, weil einem sonst hochinteressante Details wie Hitlers
Freundschaft zu dem der Christengemeinschaft angehörigen Architekten
Troost entgehen würden (Anm. 395 S. 145). Außerdem enthält
sie so erhellende Details wie jenen Aktenvermerk, wo ein Angehöriger
des Sicherheitsdienstes notiert: "Es ist interessant zu sehen,
daß die Anthroposophische Gesellschaft einen Neger als vollwertiges
Mitglied aufnimmt..." (S. 67, Fußnote 155). Oder wie
wären sonst solche Raritäten zugänglich geworden
wie der - trotz des traurigen Hintergrundes - so köstliche
Spitzelbericht, der über das allabendliche Treffen einer geheimnisvollen
Sekte berichtet, die rätselhaften Übungen zu gemurmelten
Lauten nachgeht? (Gemeint ist natürlich eine Eurythmiearbeitsgruppe,
S. 155f).
Die Studie folgt ihrem Gegenstand nicht primär nach Einzelgebieten
- Anthroposophische Gesellschaft, Waldorfschulen, Christengemeinschaft
- sondern geht in drei Phasen chronologisch vor, so daß die
sich verändernden politischen Rahmenbedingungen vom Januar
1933 an für die Handlungen der Akteure nachvollziehbar werden.
Die Darstellung setzt unmittelbar bei Hitlers Machtergreifung ein.
In einer Phase weitgehend schöngeistiger Orientierung wird
die Anthroposophenschaft in Deutschland damals auf einen Schlag
mit einem politischen System konfrontiert, dem die zivilisatorische
Reichweite und soziale Dimension der Ideen Steiners viel bewußter
zu sein scheint als den meisten von ihnen selbst. Ein Bewußtsein
der Gefahr, die der Nationalsozialismus sozial und kulturell bedeutet,
ist unter den Anthroposophen nicht vorhanden. Das neue System ist
weder Thema in den vielen Vorträgen (bis auf eine Ausnahme,
S. 73) noch je in einer der zahlreichen Zeitschriften der Bewegung.
Im Klima des "erwachten Deutschland" wird indessen Steiner
von einzelnen nazistischen Publizisten massiv angegriffen. Die folgenden
Versuche seitens der Anthroposophischen Gesellschaft, im Jahre der
Machtergreifung dem drohenden Verbot durch verschiedene "Erklärungen"
zuvorzukommen, lesen sich mit heutigem Blick kaum anders als eine
Geschichte der Hilflosigkeiten. Hier rächt sich nicht zuletzt
das Dogma, wonach ein ordentlicher Anthroposoph sich nicht um "die
Politik" zu kümmern habe - wiewohl das Verhalten ihres
Begründers Steiners zahlreiche eindrucksvolle Gegenbeispiele
aufweist. Auf die Attacken der Nationalsozialisten reagiert man
mit Beteuerungen der Kompatibilität von Anthroposophie und
"Deutschtum", ja glaubte zuletzt sogar durch Herbeischaffung
eines sogenannten "Ariernachweises" Steiner vor den Nachstellungen
eifernder Parteigenossen retten zu können. Außerdem wird
versucht, jede Reibungsfläche zu vermeiden. Die in Dornach
erscheinende und in Deutschland von den Mitgliedern gelesene Wochenschrift
Das Goetheanum beispielsweise streicht im Mai 1933 die Bezeichnung
"International" aus dem Titel, später auch die Bezeichnung
"für Dreigliederung".
Entscheidend wird in der Folgezeit die Frage, ob man die Attacken
gegen Steiner als unvermeidliche Gegnerschaft eines geistfeindlichen
Systems oder als "Mißverständnisse" innerhalb
einer an sich positiven deutschen Erneuerung ansieht. Die Mitgliedschaft
und ihre Führung ist da durchaus nicht einig. Der Vorstand
der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland lehnte den Nationalsozialismus
offenbar geschlossen ab. Werner hebt hervor, daß auch im Schweizerischen
Dornach, dem Zentrum und Sitz der Allgemeinen Anthroposophischen
Gesellschaft, der 1. Vorsitzende der Gesellschaft, Albert Steffen
dem NS ablehnend gegenüber stand. Dessen Vorstandskollege Günter
Wachsmuth gelangt jedoch zu eklatanten Fehleinschätzungen des
Nationalsozialismus. Über die Haltung des dritten damaligen
Vorstandsmitgliedes, Marie Steiners, erfährt man wenig - obwohl
übrigens die von Werner als "zuverlässig" zitierte
Quelle Hans Büchenbacher auch hier Wichtiges mitteilt. Hinsichtlich
des Marie Steiner nahestehenden Schweizer Juristen Roman Boos werden
dessen Versuche geschildert, den Nationalsozialismus für seine
Auffassung von "deutschem Recht" zu gewinnen (S. 13, S.
40). Auch ein anderer Autor geht in einer Publikation - indirekt
- auf die neuen Machtverhältnisse in Deutschland ein. Friedrich
Rittelmeyer von der Christengemeinschaft nahm 1934 in seinem Buch
"Deutschtum" Stellung zur neuen Lage im Reich. Die wiederholt
verständnisvolle (S.15), ja bewundernde (S. 323) Interpretation
dieses Buches durch Werner wird dem Kenner jedoch ebenso wie die
von ihm getroffene Zitatauswahl zumindest als einseitig auffallen.
Wie sich die Dornacher Führung schon kurze Zeit nach der Machtergreifung,
am 20. Mai 1933 mit einer "Denkschrift" unmittelbar an
die nationalsozialistische Führung wandte, um über Rudolf
Steiner und seine Leistungen für das "Deutschtum"
"aufzuklären", wirkt heute reichlich naiv und devot.
Der Münchener Arzt, Anthroposoph und Nazi Hanns Rascher wird
in Deutschland zu einer Art "Vertrauensmann" zwischen
NSDAP und Anthroposophischer Gesellschaft ( S. 36).
Das Verbot
Es dauert bis zum November 1935, bis die Anthroposophische Gesellschaft
wegen des Vorwurfs der "Staatsfeindlichkeit" und "Staatsgefährlichkeit"
verboten wurde - eine Entscheidung, die, wie Werner überzeugend
nachweist, von Seiten der staatlichen Entscheidungsträger trotz
der vorangegangenen Gesprächskontakte nie ernsthaft in Frage
stand. Abermals ergeht von Dornach aus eine Stellungnahme. In Deutschland
bemüht man sich weiter, den Eindruck einer harmlosen geistigen
Vereinigung zu vermitteln, die dem neuen System nicht nur nicht
im Wege stehen will, sondern ihm vielleicht sogar nützlich
sein könnte. Sowohl für die Anthroposophische Gesellschaft
als auch für die Waldorfpädagogik und erst Recht für
die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise gilt, daß die Unvereinbarkeit
von Anthroposophie und Nationalsozialismus von den Parteivertretern
weit klarer eingeschätzt - und vor allem auch ausgesprochen
- wurde als von anthroposophischer Seite.
Allerdings ist es schwer, ein Gesamturteil zu finden. Sind die hervorgetretenen
anthroposophischen Akteure, die mit den Machthabern verhandelten,
repräsentativ für die Anthroposophen? Sie bestimmen jedenfalls
das Bild der Anthroposophie in jener Zeit, das der Historiker aus
ihren Äußerungen rekonstruiert. Und sie prägen das
Schicksal dieser Bewegung. In einer zweiten "Dialogphase"
versucht da unter anderem der Priester Alfred Heidenreich einem
hohen Beamten des Geheimen Staatspolizeiamtes klarzumachen, daß
auch dem Nationalsozialismus an einer Überwindung des naturwissenschaftlichen
Materialismus gelegen sein müsse, wie ihn die Anthroposophie
enthalte (S. 194). Wo verläuft die Grenze zwischen Überlebenstrategie
und Überzeugung?
Ein führender Anthroposoph, der im Nationalsozialismus offensichtlich
ein der Anthroposophie verwandtes System gesehen hat, war Erhard
Bartsch, der in verantwortlicher Stellung für die biologisch-dynamische
Wirtschaftsweise tätig war. In einem Brief an Rudolf Hess beklagt
er sogar: "Es ist erstaunlich viel Geistesgut aus der anthroposophischen
Bewegung übernommen worden, ohne die Urheber zu nennen."
(S. 269). Sein Einsatz für die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise,
für die er zeitweilig auch den Reichsbauernführer und
Landwirtschaftsminister Darée gewann, war zweifellos Teil
seines Einsatzes für das "erwachte" Deutschland.
Einer der Höhepunkte solcher Anbiederung stellt das Titelblatt
von Bartsch's Zeitschrift Demeter vom Mai 1939 dar, das Hitler zusammen
mit drei Kindern in einer idyllischen Bergwelt zeigt (S. 280). Der
Septembernummer lag außerdem ein Flugblatt bei, in dem Bartsch
unverholen die biologisch-dynamischen Landwirte zur Unterstützung
des "Führers" aufruft (S. 281). Bartsch bemühte
sich offenbar sogar um eine Beteiligung an den Besiedlungsplänen
der SS für den künftig neu zu erschließenden Osten
(S. 281f). Ähnlich erschütternd wirkt der auf eigenen
Wunsch erfolgte Wechsel des Weleda-Spezialisten Franz Lippert zu
den Heilkräuterversuchsanlagen der SS, die dem KZ Dachau angeschlossen
waren (S. 285, S. 331). Als "Ehrenrettung" Lipperts zieht
Werner eine Reihe von Zeugnissen über dessen Tätigkeit
in Dachau heran, die von Lipperts Tochter gesammelt wurden und die
allesamt den "humanen" Aspekt seiner Arbeit betonen sollen.
Immerhin wurde ein Verfahren gegen Lippert in der Nachkriegszeit
mangels Belastungen eingestellt.
Die Rolle der Waldorfschulen
Anders als die heilpädagogischen Einrichtungen, die lange Zeit
von den Behörden fast unbemerkt weiterarbeiten konnten und
jedenfalls nicht als ganze attackiert wurden, waren die Waldorfschulen
dem NS-Staat von Beginn an ein besonderer Dorn im Auge. In den Verhandlungen
über ihren Erhalt kam bald der Dresdner Schulleiterin Elisabeth
Klein eine Schlüsselstellung für die Vertretung der Waldorfschulen
zu. Aufgrund gesellschaftlicher Verbindungen wußte sie sich
zu verschiedenen Nazigrößen in Verbindung zu setzen.
Den Grundirrtum ihrer Strategie hat Elisabeth Klein noch in ihren
1978 erschienenen Erinnerungen mit aller Überzeugung so erzählt:
"Beim Zusammensein mit Hess und Leitgen im Hotel Vier Jahreszeiten
in München stellte er (Hans Erdmenger, d.V.) die Frage: Was
ist eigentlich die Aufgabe des Amtes Hess? Herr Leitgen antwortete:
Wenn Sie es für sich behalten, will ich es Ihnen sagen.
Wir sehen unsere Aufgabe darin, alle Geistesrichtungen in Deutschland
zu schützen, die noch aufbauend im Geistesleben wirken können
und die von anderen Stellen des Nationalsozialismus ausradiert würden
(Klein, Erinnerungen S. 126). In dieser - übrigens auch von
Werner als wenig glaubwürdig eingestuften - Auffassung kommt
jene befremdende Glorifizierung von Hess und dem "guten"
Nationalsozialismus zum Ausdruck, für die wohl auch der BDM
eine Vorstufe zur Waldorfpädagogik gewesen sein mag. Klein
war - bei aller sonstigen Distanz - ganz offensichtlich der Meinung,
daß der Nationalsozialismus einen "guten Kern" habe,
an den man herandringen und dem man das, was sie unter Anthroposophie
verstand, nahebringen müsse. Bei Lotar Eickhoff, einem Vertreter
des Innenministeriums, der sich für eine Wiederzulassung der
Anthroposophie einsetzte, schienen die Dialogversuche von Elisabeth
Klein, Alfred Heidenreich (Christengemeinschaft) und Erhard Bartsch
sogar Erfolge zu zeitigen. Sie führten unter anderem zu Leitgens
Empfehlung, "daß wenn man dafür Zeit hätte,
eine eingehendere Auseinandersetzung mit diesen Leuten unter Umständen
für den Nationalsozialismus irgendwelche Vorteile bringen könnte."
(S. 204). "Dieses Engagement verdient es, hervorgehoben zu
werden", meint Uwe Werner (S. 204) und zieht eine Reihe von
positiven Charakterisierungen gegenüber Elisabeth Klein heran
- die freilich alle von Seiten damaliger Nazi-Funktionäre stammen
(S. 206). Das Kollegium der Berliner Waldorfschule indessen distanzierte
sich im Juni 1936 von Elisabeth Klein und zog die im nächsten
Jahr erfolgte Schließung einer Preisgabe der Eindeutigkeit
in Sachen Anthroposophie vor. 1938 fiel die Entscheidung, einige
der Waldorfschulen als "staatliche Versuchsschulen" aufrecht
zu erhalten.
Nach dem Englandflug von Hess am 10. Mai 1941 wurden jedoch die
Reste der organisierten Anthroposophie in Deutschland zerschlagen,
die verbliebenen Waldorfschulen aufgelöst und die biologisch-dynamische
Anbauweise beendet. Einige Nazis sind jetzt sogar der wahnwitzigen
Meinung, Hess sei von den Anthroposophen, ja von "Dornach"
okkult beeinflußt und zum Flug nach England bewegt worden
(S. 303ff). Es folgt eine Welle von Verhören und Verhaftungen
von Anthroposophen. Kurz darauf wurde auch die Christengemeinschaft
aufgelöst und die Priester kamen in Haft. Am längsten
von allen Anthroposophen blieb der Geschäftsführer von
Schloß Hamborn, Adolf Ammerschläger, mit neuneinhalb
Monaten in Staatspolizeilicher Schutzhaft (Werner, S. 316). Weitere
Versuche, dem Regime den Nutzen der Anthroposophie im angebrochenen
"Endkampf gegen den Bolschewismus" schmackhaft zu machen,
führten zu keinerlei Resonanz mehr.
Anbiederung oder Tarnung?
Uwe Werner hat für seine Studie eingangs die Aufgabe formuliert,
"Selbstdarstellung, Anbiederung und Widerstand, Verhandlungen
mit nationalsozialistischen Instanzen" zu untersuchen und dabei
"Versuche, sich mit den Machthabern zu arrangieren, von Täuschung
und Tarnung zu unterscheiden."(S. 1) Dieser Anspruch - im übrigen
ja sicher kein Nebenaspekt, schon gar nicht im Blick auf die erhoffte
öffentliche Wirkung der Studie - wird jedoch nur teilweise
eingelöst. Die Beurteilung des Verhaltens der Anthroposophen
fällt insgesamt wohlwollend aus, ein moralisch kritisches Urteil
ist selten. Man kann fragen, ob dies angesichts einer Bewegung,
die sich selbst in ihrer geistig-moralischen Bedeutung nicht eben
gering einstuft, angemessen ist. Wenn Werner den Begriff "Widerstand"
im Zusammenhang mit dem Verhalten der Anthroposophen erwähnt
(S. 19), dann zeigt die Studie deutlich, daß sich diese Art
von Widerstand mehr gegen bestandsbedrohende Maßnahmen als
gegen das Nationalsozialistische System richtete. Widerstandskämpfer
hat die anthroposophische Bewegung nicht hervorgebracht - dies nicht
als Tadel, sondern nur als Feststellung, die an die Größenordnungen
erinnert.
Das Verdienst von Werners Buch liegt in der Erschließung eines
schier unübersehbaren Materials, nicht zuletzt auch in der
Dokumentation von 25 Anlagen, die es zu einem Standardwerk jeder
weiteren Beschäftigung mit dem Thema machen. Es ist - trotz
der erschöpfenden Fülle - kein "Schlußstrich",
sondern kann in vieler Hinsicht als Ausgangspunkt weiterer Beschäftigung
mit dem Thema dienen. Ein Aspekt dazu möge noch genannt sein.
Er betrifft das Verhältnis zu den Anthroposophen jüdischer
Abstammung.
Noch vor dem Verbot der Anthroposophischen Gesellschaft im November
1935 kamen aus der Mitgliedschaft Vorschläge auf, alle jüdischen
Mitglieder sollten die deutsche Landesgesellschaft verlassen (S.
72). "Tatsächlich", so Werner, "gaben sämtliche
Zweigleiter jüdischer Abstammung ihre Ämter in dieser
Zeit ab. Auch ein Großteil der jüdischen Mitglieder trat
aus der deutschen Landesgesellschaft aus" (S. 72). Werner zitiert
aus den Erinnerungen eines jüdischen Mitgliedes, das nicht
einmal mehr an der gemeinsamen Eurythmie teilnehmen durfte. Selbst
wenn der Ausschluß der jüdischen Mitglieder überwiegend
nicht erzwungen, sondern wohl von ihnen selbst als entlastender
Akt für die bedrohte Anthroposophische Gesellschaft aufgefaßt
wurde, bleibt dieser Einbruch rassistischer Realität mitten
in das Leben der Anthroposophischen Gesellschaft doch ein bedrückender
Vorgang, ein Schicksalsfaktum, von dem man sich wünschte, daß
es zumindest einmal zur klärenden Sprache gebracht würde.
Wenn Werners Studie auf die Emigration führender Anthroposophen
und Waldorflehrer in den 30er Jahren zu sprechen kommt, dann scheut
sie sich noch immer, den in vielen Fällen - etwa bei Alexander
Strakosch, Hans Büchenbacher, Ernst Lehrs, Karl König
und anderen - maßgeblichen Grund für diese Emigrationen
beim Namen zu nennen, der eben in der jüdischen Herkunft dieser
Anthroposophen lag. Dies wäre wohl einmal ein eigenes Kapitel
der geschichtlichen Aufarbeitung wert.
Uwe Werner: Anthroposophen im Nationalsozialismus (1933-1945).
Oldenbourg Verlag, München 1999. 473 Seiten DM 98,-
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