Bedenkliche Ansichten Rudolf Steiners über Rassen

von Petrus van der Let
veröffentlicht in Tangram Nr. 6 (Bulletin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR, Bern)

«Seit 1983 haben Zitate Rudolf Steiners in den Medien zu heftigen Debatten hinsichtlich der Frage geführt: war Steiner Rassist. 1996 sollte diese Diskussion dann zu einer dramatischen Situation führen, als ein Vorstandsmitglied der Anthroposophischen Gesellschaft der Niederlande in einer Radiosendung versuchte, einige der beanstandeten Zitate Rudolf Steiners nachvollziehbar zu machen. Ausser der Tatsache, dass dies zum Rücktritt dieses Vorstandsmitgliedes führte, war es auch Anlass zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der anthroposophischen Bewegung» berichtet der Anthroposoph Jelle van der Meulen

Am 2. April 1996 war in der FRANKFURTER RUNDSCHAU zu lesen: «Die 'geistigen Europäer' seien 'die Rasse der Zukunft'. Schwarze Afrikaner stünden 'auf der Entwicklungsstufe eines siebenjährigen Kindes'. Diese und andere Äusserungen Rudolf Steiners hatten in der Anthroposophischen Vereinigung der Niederlande zu heftigen Auseinandersetzungen geführt.» Im Juni desselben Jahres wurden bei einer Tagung der IzAK (Initiative zur Anthroposophie-Kritik) in Paderborn Hefte von Waldorfschülern vorgelegt. Darunter ein Aufsatz über «Die Bantu Neger»: «Am Rande des Regenwaldes leben die Neger, wenn ein Forscher dort hingeht und einem Neger zum Beispiel eine Stereoanlage schenkt, kann er in 3 Minuten alle Knöpfe und Schalter gut bedienen.» (Vgl. auch Grandt 1997, S. 209) Am 13. November 1996 sendete der ORF die Fernsehdokumentation Erlöser, die sich mit den okkulten Wurzeln des Rassismus beschäftigt und auch erwähnt, dass Rudolf Steiner als langjähriger Generalsekretär der Theosophischen Gesellschaft die «Wurzelrassenlehre» der Helena Blavatsky in die Anthroposophie übernommen hat. Der Historiker Eduard Gugenberger sagt in diesem Film über die Wurzelrassentheorie:

«Die Wurzelrassenlehre der Theosophie ist ein rassistisches Denkgebäude, das der Menschheit aufzeigt, wie sie sich in Rassen, von niederen zu immer höheren Stadien entwickelt hat, mit der arischen Rasse als höchster Entwicklungsstufe, wobei die niederen Rassen dazu verdammt sind, nach und nach abzusterben, zum Wohle eben der höheren Rasse. Dieses Ideengebäude wurde später von der Ariosophie, von Lanz Liebenfels und Guido von List, aufgegriffen und sehr stark auf das Germanentum, auf die Ariergläubigkeit der Zeit umgemünzt.»

1997 - im Europaratsjahr gegen den Rassismus - werden die Beschwerden der Anthroposophischen Gesellschaft gegen den Film Erlöser von der österreichischen Rundfunkkommission abgewiesen, das Schwarzbuch wird aber in der Folge vom Markt geklagt.

Colin Goldner, der Leiter des Forums Kritische Psychologie, einer Informations- und Beratungsstelle für Therapiegeschädigte, meint diesbezüglich: «Die Reaktion der Anthroposophen auf vorgetragene Kritik entspricht vielfach der, die man von sektoiden Organisationen wie Scientology gewohnt ist: Protestbriefaktionen, Einstweilige Verfügungen, Klagen wegen Beleidigung, Verleumdung, Geschäftsschädigung; darüber hinaus persönliche Beschimpfung und Diffamierung der jeweiligen Kritiker.»

Anders verhielt sich die holländische Anthroposophische Gesellschaft. Noch 1996 gab sie eine Untersuchung zu Steiners Vorstellungen über Rassen in Auftrag. Die Wissenschafter waren selbst Anthroposophen und kamen 1998 zu dem Fazit, dass 62 Textstellen aus heutiger Sicht diskriminierend - ja sogar strafbar sind. Das noch vereinzelt an holländischen Waldorfschulen bestehende Fach «Rassenkunde» wurde abgeschafft und die Lehrmittel auf betreffende Aussagen hin überprüft. In Österreich und Deutschland sah man dagegen keinen Handlungsbedarf.

In einer Zeit, in der die Wissenschaft den Begriff «Rasse» beim Menschen für unhaltbar erklärt, haben offenbar viele Anthroposophen noch grosse Schwierigkeiten, sich von «Ariern, Lemuriern und Wurzelrassen» endgültig zu distanzieren. Das kritisieren auch Anthroposophen wie Jelle van der Meulen (S. 228f). So versucht Pietro Archiati in seinem 1997 erschienenen Text Die Überwindung des Rassismus durch die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners das Schwarzbuch Anthroposophie der Brüder Grandt zu widerlegen. Dabei versinkt er allerdings nur umso tiefer im alten System der hierarchischen, rassistischen Argumentation und verteidigt ein Steinerzitat, das die niederländische Anthroposophische Gesellschaft ein Jahr später sogar für aus heutiger Sicht strafbar erklären sollte: «Soll der vollkommene Geist ebensolche Voraussetzungen haben wie der unvollkommene? Soll Goethe die gleichen Bedingungen haben wie ein beliebiger Hottentotte? So wenig wie ein Fisch die gleichen Voraussetzungen hat wie ein Affe, so wenig hat der Goethesche Geist dieselben geistigen Vorbedingungen wie der des Wilden. Der Geist in Goethe hat mehr Vorfahren als der in dem Wilden.» (S. 55f.)

Was hier deutlich wird, ist eine falsch verstandene Evolutionstheorie, die seit dem vorigen Jahrhundert durch die Anthropologie geistert, von der Wissenschaft aber schon lange abgelehnt wird: das Bild einer Entwicklungs-Pyramide, wo die Hottentotten auf der untersten Stufe auf die Affen folgen und an deren Spitze der weisse Europäer als Krönung der menschlichen Entwicklung steht. Schautafeln dieser Art hat man schon längst aus den Museen entfernt.

René Freund (1997) verweist in seiner Besprechung des Schwarzbuch Anthroposophie auf den rassistischen Zusammenhang zwischen den völkischen Denkern Lanz und Steiner: «Als nicht weniger kurios erweist sich auch Steiners frühzeitiger Blondinenwitz: 'Die blonden Haare geben eigentlich Gescheitheit. Geradeso wie sie wenig in das Auge hineinschicken, so bleiben sie im Gehirn mit ihren Nahrungssäften, geben ihrem Gehirn die Gescheitheit. Die Braunhaarigen und die Schwarzhaarigen und die Schwarzäugigen, die treiben das, was die Blonden ins Gehirn treiben, in die Augen und Haare hinein.' Diese auf den ersten Blick nur absurden Sätze von Rudolf Steiner gewinnen eine erschreckende Dimension, wenn man weiss, dass zur selben Zeit ein gewisser Lanz von Liebenfels, ein geistiger Wegbereiter Hitlers, ganze Bücher mit seinen Fantasien von der Herrschaft der Blondhaarigen und Blauäugigen füllte. Fantasien, die wenige Jahre später durch den braunhaarigen Mann aus dem Innviertel grausame Wirklichkeit werden sollten.» (WIENER ZEITUNG, 7. März 1997)

«Blavatskys Rassismen sind milder und weniger hetzerisch im Ton als die ihrer wirkmächtigen Nachfolger. Von 'heruntergekommenen Nachfahren' (Steiner) oder gar von 'Sodomsschratten' (Lanz), ist bei ihr m.W. nirgends die Rede», meint Harald Strohm und findet auch bei Rudolf Steiner in der Akasha-Chronik die Niederwesen in Tierform: «Was aber in die Tierheit hinabgestossen worden ist, das ist entweder ausgestorben, oder es lebt in den verschiedenen höheren Tieren fort... Was aber im Gebiet des Menschlichen geblieben ist, hat einen ähnlichen Prozess, nur innerhalb des Menschlichen, durchgemacht. Auch in mancher wilden Völkerschaft haben wir die heruntergekommenen Nachfahren einstmals höher stehender Menschenformen zu sehen. Sie sanken nicht bis zur Stufe der Tierheit, sondern nur bis zur Wildheit ...» (Strohm 1977, S. 82) Man beachte, dass auch hier nicht mehr nur von den Zeiten 'Lemuriens und Atlantis' die Rede ist, sondern von heute: Der zweite Satz steht im Präsens!

Lanz von Liebenfels schrieb in seiner Theozoologie, dass die Frau durch den Geschlechtsverkehr mit dem Mann «imprägniert» werde, dass sie beim Verkehr mit «Tschandalen» (für Lanz minderwertige Tiermenschen) die arische Rasse ins Tierische herunterzüchte. Ganz ähnlich die Vorstellungen der Nazis, so etwa in der populärmedizinischen Zeitschrift Deutsche Volksgesundheit zum Thema Rassenschande:

«Für den Wissenden steht ewig fest: 'Artfremdes Eiweiss' ist der Same eines Mannes von anderer Rasse. Der männliche Same wird bei der Begattung ganz oder teilweise von dem weiblichen Mutterboden aufgesaugt und geht so in das Blut über. Ein einziger Beischlaf bei einer arischen Frau genügt, um deren Blut für immer zu vergiften. Sie kann nie mehr, auch wenn sie einen arischen Mann heiratet, rein arische Kinder bekommen, sondern nur Bastarde.» (Ley 1997, S. 82)

Bei Rudolf Steiner findet sich ganz Ähnliches, nur auf einer «geistigen» Ebene:

«Neulich bin ich in Basel in eine Buchhandlung gekommen, da fand ich das neueste Programm dessen, was gedruckt wird: ein Negerroman, wie überhaupt jetzt die Neger allmählich in die Zivilisation von Europa hereinkommen! Es werden überall Negertänze aufgeführt, Negertänze gehüpft. Aber wir haben ja sogar schon diesen Negerroman. Er ist urlangweilig, greulich langweilig, aber die Leute verschlingen ihn. Aber ich bin meinerseits davon überzeugt, wenn wir noch eine Anzahl Negerromane kriegen, und wir geben diese Negerromane den schwangeren Frauen zu lesen, in der ersten Zeit der Schwangerschaft namentlich, wo sie heute ja gerade solche Gelüste manchmal entwickeln können - wir geben diese Negerromane den schwangeren Frauen zu lesen, da braucht gar nicht dafür gesorgt werden, dass Neger nach Europa kommen, damit Mulatten entstehen; da entsteht durch rein geistiges Lesen von Negerromanen eine ganze Anzahl von Kindern in Europa, die ganz grau sind, Mulattenhaare haben, die mulattenähnlich aussehen werden.» (R. Steiner, GA 348, Dornach 1983, S.188-189)

1997 versucht Stefan Leber dieses Steinerzitat als «derben Witz vor Arbeitern» darzustellen. (S. 250) In Wirklichkeit beruhen die Behauptungen von Lanz, Steiner und später der Nazis auf derselben medizinischen Unkenntnis über den weiblichen Körper. Erst in den späten 20er Jahren veröffentlichten der österreichische Gynäkologe Hermann Knaus und der Japaner Ogino Kynsaku ihre Erkenntnisse über den Zyklus der Frau und leiteten daraus die natürliche Methode der Empfängnisverhütung «Knaus-Ogino» ab. Rudolf Steiner, der bereits 1925 starb, folgte also den Theorien seiner Zeit zur Empfängnis der Frau, Theorien, die bis heute in so manchem Hundezuchtverein kursieren, wenn behauptet wird, eine Rassehündin, die Kontakt mit einem Nicht-Rasse-Rüden hatte, sei für die Rein-Rassen-Aufzucht 'verdorben'.

Auch die Reinkarnationsvorstellungen der Theosophie und Anthroposophie treiben im heutigen Boom des Irrationalismus seltsame Blüten. Wenn etwa New-Age-Führer wie David Spangler, in den frühen 60er Jahren Mitbegründer der schottischen Esoterik-Kommune Findhorn (und dort als reinkarnierter Christus verehrt), oder der Theosoph und Findhornianer George Trevelyan, Träger des Alternativen Nobelpreises und «spiritueller Berater» von Prinz Charles, über die Beseitigung alter Menschen schwadronieren, die Platz schaffe für die neue, auserwählte Lichtrasse.

Es geht hier weniger darum nachzuweisen, dass Rudolf Steiner in seiner Zeit verhaftet war und trotz später Einsichten, in denen er sich, sich aufs Individuum Mensch konzentrierend, rassistischen Pauschalisierungen widersetzte, zeitlebens einem evolutionistischen und immanent rassistischen Bild der Menschheit verhaftet blieb. Es geht darum zu fragen, welche Lehren heutige Anthroposophen aus diesen Einsichten ziehen. Und dabei reicht es nicht, ein paar bedenkliche Stellen aus den Texten Steiners zu isolieren. Im selben Masse in dem man von christlichen Gläubigen erwartet, dass sie immer wieder neu die Botschaft Christi in die aktuelle Zeit umzusetzen haben, muss man von Anthroposophen fordern können, Inhalte und implizite Wertungen aller Bereiche der steinerschen Lehre immer wieder neu zu reflektieren. Von einer Vereinigung, die Schulen betreibt und einen grossen Einfluss auf Teile der Jugend ausübt, muss mehr Diskussions- und Aufklärungsbereitschaft erwartet werden können, als dies im deutschen Sprachraum m.W. bisher der Fall war. Die Niederländer haben ein gutes Beispiel gegeben. Vielleicht bewirken die neuen Bücher der Brüder Grandt, für die die Aktion Kinder des Holocaust eine Unterstützungserklärung abgegeben hat - Erlöser und Waldorf Connection -, die längst fällige Diskussion.

Petrus van der Let
1949 in Wien geboren, Studium der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Uni Wien, seit über 25 Jahren als freier Regisseur und Drehbuchautor tätig.

In bisher fünf Dokumentarfilmen hat er Wurzeln des Rassismus und Nationalsozialismus dargestellt: Wurzeln in der Religion (Adolf Lanz MEIN KRAMPF / 1994, Herrn Hitlers Religion / 1995), Wurzeln in der Kunst (Wagnerdämmerung / 1996), Wurzeln im Okkultismus (Erlöser / 1996) und Wurzeln in der Wissenschaft (Rasse Mensch / 1998). Alle Filme sind europäische Koproduktionen, wurden in über 20 Ländern ausgestrahlt, erhielten Preise und wurden von der Europaratskampagne gegen Rassismus unterstützt. Sie sind als Kaufkassetten bei Komplett-Video, München, und Alibri-Verlag, Aschaffenburg, erhältlich.

 
 


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