|
"Batuala"
- Vorbild für Steiners umstrittene "Neger-Zitate"
Öffentliche Vorwürfe, daß
Anthroposophie, auf deren Grundlage die Waldorfschulen unterrichten,
"rassistisch" sei, führten 1996 in den Niederlanden
zur Einsetzung einer Kommission "Antroposophie und die Rassenfrage"
durch die dortige "Anthroposophische Vereinigung" ("Antroposofische
Vereniging"). Gegen den Widerstand von 144 Mitgliedern präsentierte
der Vorstand der 5000 Mitglieder starken "Anthroposophischen
Vereinigung" zusammen mit dem Bund der niederländischen
Waldorfschulen am 4. Februar 1998 einen 300 Seiten umfassenden Bericht
in der Öffentlichkeit, in dem die Untersuchungskommission ihre
Ergebnisse formuliert:
Die Kommission hatte Steiners Gesamtwerk auf
Zitate hin abgesucht, in denen von Angehörigen verschiedener
Menschen-"Rassen" die Rede ist. Zur Beurteilung von Steiners
Ausführungen teilt der Bericht die Zitate in verschiedene Kategorien
ein: Von den knapp 150 untersuchten Steiner-Zitaten, die sich mit
Menschen-,"Rassen", "Negern", "Indianern"
usw. befassen, werden
50 als erklärungsbedürftig eingestuft;
12 weitere Passagen werden als nach heutigen gesetzlichen Maßstäben
diskriminierend bezeichnet (z. B. Steiners Vermutung, Indianer seien
"degeneriert" oder "unbrauchbare Menschen";
Äußerungen über "niedrige [sexuelle] Triebe"
bei dunkelhäutigen Menschen oder Sätze wie: "selbst
die Neger müssen wir als Menschen ansehen"); alle übrigen
untersuchten Passagen werden als unbedenklich eingestuft.
Über die Stellen mit diskriminierender
Wirkung hinaus bestreitet der Bericht das Vorliegen einer "Rassenlehre"
bei Steiner. Auch bleibt rätselhaft, daß die Kommission
ein Zitat Steiners als "unbedenklich" einstuft' wonach
sich - so Steiner - "Völker, welche schon in die Dekadenz
gekommen sind ... wie die Neger", durch ein "substantivisches
Denken" "vollständig von der geistigen Welt abschnüren"
(zit." Info 3" Nr. 3/1998, S. 29). Offenbar gibt es doch
eine "Rassenlehre", wonach "Völker" bzw~
"Neger" "in die Dekadenz" kommen können
(vgl. z. B "Flensburger Hefte" Nr. 41 [1993] - "Anthroposophie
und Rassismus" - wo ganz unbefangen ein "Rassebegriff"
[S. 4] oder eine "Rassenlehre" [S. 20] Steiners vorausgesetzt
wird)! Vielleicht wird diesbezüglich die für Mai angekündigte
autorisierte Kurzfassung des Berichts in deutscher Sprache weitere
Aufschlüsse bringen (erscheint im "Info 3-Verlag",
Frankfurt am Main).
Die Kommission gibt allerdings lt. "Info
3" (S. 23) ein weniger positives Bild von den niederländischen
Waldorfschulen: Der Geographieunterricht sieht an den Waldorfschulen,
abweichend vom deutschen Lehrplan, eine Epoche Völkerkunde
in der siebten und achten Klasse vor, der in einigen Fällen
als ,Rassenkunde' bezeichnet wird. Der Unterrichtsstoff ... geht
auf Anregungen aus den dreißiger (!) Jahren des Pädagogen
Max Stibbe zurück, der später auch die Apartheid in Südafrika
verteidigt hat." Man darf in der Tat fragen: Wenn es bei Steiner
gar keine "Rassenlehre" geben soll, wieso findet sich
ein solches Fach trotzdem an einigen niederländischen Steiner-Schulen?
Was anders als eine pseudowissenschaftliche Rassenlehre ist es beispielsweise,
wenn Steiner 1907 in einer Zeichnung die "Indianer" ebenso
als "dekadente Abzweigung" von der Hauptentwicklungslinie
der "Menschheit" darstellt wie das "Affengeschlecht"
(abgedruckt in: "Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit
in Deutschland", Sonderheft 5, 1995,S. 80)?
Unter den von der Kommission untersuchten
Steiner-Zitaten, wurde eine Passage als "schwer beleidigend"
eingestuft- nämlich eines der berüchtigten "Neger-Zitate"
aus Steiners Vortrag vor den Bauarbeitern des "Goetheanums"
in Dornach vom 30. 12. 1922, worin Steiner davor warnt, daß
Schwangere durch das Lesen von "Negerromanen" Mischlingskinder
gebären könnten! Ohne die vereinzelten rassistischen Ausfälle
Steiners in Abrede zu stellen, hat Martin Barckhoff Medienbeauftragter
der deutschen "Anthroposophischen Gesellschaft", eine
interessante Anmerkung über das literarische "Vorbild"
von Steiners diskriminierenden Ausfällen veröffentlicht,
woraus hervorgeht, wie sehr Steiner hier "Kind seiner Zeit"
war: Es handelt sich um das im Erscheinungsjahr 1921 mit dem "Prix
Goncourt" ausgezeichnete, auch in Steiners Bibliothek vorhandene
Buch des Kolonialbeamten René Maran: "Batuala - Ein
echter Negerroman", einem Musterbeispiel für den als hemmungslos
ausschweifend vorgestellten Schwarzen in der damaligen Literatur.
Dieses Klischee lebte damals aber nicht nur in fragwürdigen
Romanen, es erreichte vor allem durch die Unterhaltungsindustrie
auch die breite Masse der Bevölkerung, als sich in den krisengeschüttelten
zwanziger Jahren ein Hang zur Exotik, zum kulturell bis dahin Fremden,
insbesondere auch in der Musikkultur, ausbreitete, der sich einerseits
in einer "negrophilen" Vergötterung des Exotischen
bis hin zum Triebhaften äußerte, andererseits von vielen
Menschen aber auch als Bedrohung ihrer bisherigen kulturellen Identität
empfunden wurde. Die Vergötterung des "Ursprünglich-Animalischen"
im "Neger" in der Stimmung der zwanziger Jahre ist jedoch
nur eine andere Art des rassistischen Vorurteils. Dieser Stimmung
konnte sich offenbar auch ein Steiner nicht entziehen, indem er
das Vorurteil vom im "Neger" angeblich in besonderer Weise
verkörperten Triebhaft-Animalischen ernst nahm ("Der Neger
hat also ein starkes Triebleben" - zit. in "Mitteilungen",
a.a.O., S. 64), auch wenn er andererseits die Überwindung aller
"Rassen- und Stammeszusammenhänge" im Verlauf der
zukünftigen Menschheitsentwicklung lehrte (z.B. in: "Die
Theosophie des Rosenkreuzers", 1907, zit. in "Info 3",
S. 29, unter den von der Kommission als "unbedenklich"
eingestuften Passagen).Bleibt nur noch die Frage, oh sich darin
nicht ein letztes, subtiles Vorurteil der Natur und Kultur (Geist)
allzu sehr vermischenden Perspektive Steiners* verbirgt - als ob
es hier überhaupt in biologischer Hinsicht etwas zu "überwinden"
gäbe außer Vorurteilen! Der im Dezember letzten Jahres
verstorbene Antisemitismus-Forscher Léon Poliakov (1910 -
1997)** ist in seinem Werk "Der arische Mythos" der überaus
spannenden Entwicklung nachgegangen, wie seit den großen Entdeckungen
des 16. Jahrhunderts, insbesondere auch seit der Aufklärung,
zu der "biblischen Doktrin von der Einheit des Menschengeschlechts"
(S. 153) neue Anthropologien in ein Konkurrenzverhältnis traten
und gegen das biblische Postulat der fundamentalen Gleichheit aller
Menschen vor Gott, aber auch gegenüber der Natur, eine biologisch-rassistische
Perspektive einbrachten. Die Anwendung des der Tierkunde angehörenden
Begriffs der "Rasse" auf den Menschen ist ein ziemlich
junges Ergebnis dieser Wegentwicklung der Anthropologie von der
jüdisch-christlichen, biblischen Perspektive und hat sich erst
im 19. Jahrhundert im Deutschen eingebürgert (zu seiner vollständigen
Entbehrlichkeit vgl. das Interview mit dem Anthropologen Prof. Karl
Sommer in "Flensburger Hefte", a.a.O., S. 38 ff). Diese
Entwicklung hatte sich nach Poliakov v.a. seit der Aufklärung
angebahnt'. "Der Artikel ,Neger' in der berühmten Enzyklopädie
Diderots und d'Alemberts verrät kaum mehr Wohlwollen. Was Diderot
selbst betrifft, so verkündete er die Überlegenheit der
Weißen, indem er diese Meinung sei-nem tahitianischen ,edlen
Wilden' in den Mund legte." (S. 194) Ausgerechnet Voltaire,
der als Apostel der "Toleranz" im Gedächtnis der
Menschheit weiterlebt, war nicht nur Antisemit, sondern vertrat
auch eine rassistische Exklusivität, wonach die Weißen
"diesen Negern überlegen (seien), wie die Neger den Affen
und wie die Affen den Austern" (Zit. S. 201). "So legten
einige der angesehensten Aufklärer" nach Poliakov "die
Fundamente für den wissenschaftlichen Rassismus des folgenden
Jahrhunderts."
Allerdings unterstützten andere Aufklärer
"universalistische Anschauungen" (Montesquieu; Helvetius;
Condorcet; vgl. S. 194). Und vor allem zwei Denker der europäischen
Geistesgeschichte haben als Vertreter einer "universalistischen
Perspektive" nach Poliakov dazu beigetragen, daß der
Begriff der "Rasse" in Beziehung auf den Menschen als
fragwürdig und überflüssig erkannt werden konnte:
Johann Gottfried Herder lehnte gegenüber der "Veterinärphilosophie"
des Szientismus den Begriff einer Menschen-"Rasse" überhaupt
ab (S. 199), und Alexander von Humboldt schrieb: "Indem wir
die Einheit des Menschengeschlechts behaupten, widerstreben wir
auch jener unerfreulichen Annahme von höheren und niederen
Menschenrassen... Alle sind gleichmäßig zur Freiheit
bestimmt." (Zit. S. 200)
Das Problem pseudowissenschaftlicher rassistischer
Theorien, so faßt Poliakov abschließend zusammen, resultiert
letztlich aus "der anscheinend immer und überall feststellbaren
Tendenz, den Menschen mit seiner Umwelt, mit der ,Natur' zu identifizieren".
Indem die jüdisch-christliche, biblische Anthropologie den
Menschen von allen anderen Geschöpfen isoliert, hält sie
fest, daß er ein besonderes Wesen ist, ein "kulturelles"
und kein "natürliches" (S. 368). Von daher ist die
jüdisch-christliche Tradition prinzipiell "antirassistisch"
(S. 365) und steht in ständigem Konflikt mit Versu-chen, die
Kluft, die zwischen Mensch und Natur ebenso besteht wie zwischen
Gott und seiner Schöpfung, einzuebnen (S. 367). ru
* Vgl. zu dieser zentralen Thematik jetzt
die Habilitationsschrift von K. Bannacfi: "Anthroposophie und
chrfsteorom" Göttingen 19981; eine Rezen-sion folgt in
einer der nächsten Ausgaben des "Materialdienstes".
** Vgl. den Nachruf von Rudolf Pfisterer im "Deutschen Pfarrerblatt"
2/t 998, 5. 72f.
Evangelische Zentralstelle
für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80
10117 Berlin
FAX.: 030/28395-212
E-Mail: EZW@compuserve.com
|
|